Lähmender Stillstand
Von Reinhard Lauterbach, PoznańDer polnische Parlamentspräsident Szymon Hołownia hat am Mittwoch die Daten für die im Frühjahr anstehende Präsidentenwahl verkündet. Demnach soll die erste Runde am 11. Mai stattfinden, die wahrscheinlich notwendige Stichwahl zwei Wochen später. Als Favoriten für die letztere gelten der Kandidat der regierenden »Bürgerkoalition« von Ministerpräsident Donald Tusk, Rafał Trzaskowski, und der von der PiS aufgestellte »Bürgerkandidat« Karol Nawrocki, bisher Chef der konservativen nationalen Gedenkbehörde IPN.
Zum Stand um den Jahreswechsel hat Trzaskowski in den Umfragen einen soliden Vorsprung: 36 zu 29 Prozent für die erste Runde, 56 zu 35 für die entscheidende zweite. Aber bis dahin kann noch einiges passieren, und vor allem ist offen, welcher Kandidat Unentschlossene besser mobilisieren kann. Trzaskowski steht dabei vor einem Dilemma: Wenn er zu sehr an sein eher linksliberales Stammpublikum appelliert, wird es für ihn schwieriger, die gemäßigt konservativen Wähler und generell das flache Land für sich zu gewinnen. Bewegt er sich aber in die sogenannte Mitte, ist es nicht unwahrscheinlich, dass die linksliberalen Wählerschichten frustriert zu Hause bleiben. Und dann kann Trzaskowski einpacken, denn es waren genau diese jungen und progressiven Kohorten, die der heutigen Regierungskoalition 2023 den Wahlsieg verschafft haben.
Jetzt sind diese Milieus frustriert davon, dass die Koalition ihren Versprechen keine Taten folgen lässt oder auch nicht folgen lassen kann. Weder ist bisher das Abtreibungsrecht liberalisiert, noch sind gleichgeschlechtliche Partnerschaften eingeführt worden. Bildungsministerin Barbara Nowacka kämpft einen einsamen Kampf darum, die Zahl der wöchentlichen Religionsstunden in den Stundentafeln der polnischen Schulen von zweien auf eine zu reduzieren. Denn die mitregierende Bauernpartei PSL verhält sich wie ein politischer Arm des katholischen Episkopats und verzögert jede Entscheidung, so dass wahrscheinlich auch zum zweiten Schuljahr, das im September unter Nowackas Verantwortung beginnt, keine Änderung zu erwarten ist.
Von ehrgeizigen Reformen, die viel Geld kosten würden, etwa dem Beginn eines Programms zum Bau günstiger kommunaler Mietwohnungen oder der Wiederbelebung des öffentlichen Nahverkehrs in der Fläche – heute ist etwa ein Drittel der polnischen Ortschaften mit Bus oder Bahn nicht zu erreichen – ist ohnehin keine Rede mehr. Denn alles verfügbare Geld fließt in die »Sicherheit«, worunter die Regierung sowohl die Erweiterung als auch die Aufrüstung der polnischen Armee versteht, außerdem die Befestigung der Grenzgebiete zu Russland und Belarus. Die Zielgröße von Verteidigungsminister Władysław Kosiniak-Kamysz von der PSL ist ein Anteil von 4,5 Prozent Verteidigungsausgaben am Sozialprodukt – also ein doppelt so hoher wie in Deutschland.
Zu diesem Bild vom lähmenden Stillstand trägt der weiter anhaltende Streit um die Legitimität der polnischen Justiz bei. Zuletzt ging es dort um die Frage der staatlichen Parteienfinanzierung für die PiS. Die Staatliche Wahlkommission hatte festgestellt, dass die damalige Regierungspartei im Wahlkampf 2023 Haushaltsmittel gesetzwidrig für Wahlkampfevents ausgegeben hatte und in einem ersten Beschluss entschieden, der PiS umgerechnet etwa 30 Millionen Euro staatlicher Gelder vorzuenthalten. Auf einen Widerspruch der PiS hin entschied der Oberste Gerichtshof, dass das Geld der Partei doch zustehe. Aber die Entscheidung traf eine von der PiS neu eingerichtete Kammer für »öffentliche Angelegenheiten«. Donald Tusk und sein Finanzminister Andrzej Domański stehen auf dem Standpunkt, diese sei vom Europäischen Gerichtshof nicht als »unabhängiges Gericht« im Sinne des EU-Rechts anerkannt worden. Sie verweigern deshalb die Zahlung, jetzt hat die PiS Anzeige gegen den Finanzminister erstattet.
Die Pointe ist, dass dieselbe Kammer aus PiS-Richtern aber auch dafür zuständig ist, die Gültigkeit von Wahlen zu bestätigen, darunter die des Staatspräsidenten. Da kann noch einiges passieren. Was etwa, wenn Trzaskowski die Wahl gewinnt und das Gericht dies nicht anerkennt – die politischen Folgen wären unabsehbar. Noch delikater wäre das Gegenteil: Ist es dann auch »kein Gericht«, oder muss die Regierungskoalition dann im Streit um die Justiz klein beigeben?
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