Zuckerbergs Gewissen
Von Felix BartelsNeues von Marx Zuckerberg? Von Groucho jedenfalls stammt das schöne Wort: »Das sind meine Prinzipien. Wenn Sie Ihnen nicht gefallen, ich habe auch noch andere.« 2013 schon hatte Zuckerberg, der es mit der Privatsphäre seiner Nutzer nicht allzu genau nimmt, seiner eigenen Privatsphäre zuliebe vier Grundstücke gekauft, die sein Anwesen im kalifornischen Palo Alto umgeben. Nun hat der Vorkämpfer gegen Fake News einen weiteren U-Turn hingelegt. Sein Konzern Meta will bei der Verbreitung von Lügen künftig weniger eingreifen. In einem Beitrag auf Facebook sprach er von einer »Zensur«, die zu weit gegangen sei. Die Kooperation mit Faktencheckdiensten werde beendet.
Man könnte Zuckerbergs Counterpart Musk fast liebgewinnen. Als der 2022 Twitter übernahm, schaffte er die Kontrolle sofort ab. Seither macht er dort ausgiebig vom Recht Gebrauch, kontrafaktische Scheiße zu labern. Ein notorischer Lügner, aber bekennend.
Die Einführung von Faktenchecks war eine Reaktion auf jene Strategie der neueren Rechten, die Steve Bannon in den Worten »flood the zone with shit« zusammenfasste. Dahinter steckt die Entdeckung, dass sich Äußerungen in der unübersichtlichen, flüchtigen und rasch getakteten Öffentlichkeit Internet kaum je ernstlich prüfen lassen. Auf diese Strategie gibt es bislang keine Antwort. Insofern ließe sich Zuckerbergs Begründung zustimmen, dass Fact-Checking im Verhältnis zum Nutzen zu viel Schaden anrichtet. Glaubwürdig wäre das auch, wäre da nicht der Umstand, dass die amerikanische Rechte erneut nach dem Oval Office greift. Zuckerberg – der Wolf im Schafspelz – schließt Frieden mit Trump – dem Wolf im Wolfspelz. Legt er bloß die Ohren an, oder bringt er sich in Stellung, um Musk zu beerben, der vermutlich Trump beerben will?
Viel interessanter indessen als dieses Puppentheater ist der unreflektierte Umgang mit dem Begriff der Wahrheit. Die nämlich zu verbreiten, nimmt das republikanische Amerika ebenso für sich in Anspruch wie das demokratische. Um zu wissen, was Unwahrheit ist, müsste man erst mal wissen, was Wahrheit ist. »Die Engländer«, notiert Oscar Wilde, er hätte auch schreiben können: Die Menschen »entwerten Wahrheiten zu Fakten. Wo eine Wahrheit zum Faktum wird, verliert sie jeden intellektuellen Wert«. Es gibt das isolierte Faktum, das sich mitunter checken lässt. Aber ein Fakt kann bereits durch Wording (suggestive Wortwahl) entstellt werden. Oder durch Framing (suggestive Kontexte). Er kann für sich richtig sein, aber einer falschen oder nicht zwingenden Ableitung dienen. Oder eingebettet in ein obskures Konstrukt von Ideologemen. Es gibt unzählige Möglichkeiten, Unwahrheit zu verbreiten. Die Lüge ist bloß eine, und nicht mal die wirksamste.
Die Demokraten halten sich einiges darauf zugute, weniger zu lügen. Mag sein sogar, dass das stimmt. Mit der Wahrheit jedenfalls halten sie es ebenso wenig.
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