Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 11.01.2025, Seite 15 / Geschichte
Saarlandabstimmung

Sie gaben nicht auf!

Vor 90 Jahren stimmte die Mehrheit der Saarländer für den Anschluss an Nazideutschland
Von Michael Polster
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Antihitlerkundgebung am 6. Januar 1935 in Saarbrücken

Am 13. Januar 1935 fand die Volksabstimmung im vom Völkerbund verwalteten Saargebiet statt. Die Bevölkerung sollte sich zwischen der Zugehörigkeit des Landes zum Deutschen Reich, zu Frankreich oder der Beibehaltung des Status quo als Mandatsgebiet entscheiden. Die »Saarlandabstimmung 1935« fand unter Aufsicht des Völkerbunds statt, der seit dem Ersten Weltkrieg das Saargebiet administrativ und politisch verwaltete. Das Ergebnis war erschreckend eindeutig: 91,2 Prozent der Wahlbeteiligten stimmten für die Rückkehr zu Deutschland, 8,1 Prozent für einen Anschluss an die Französische Republik und nur 0,7 Prozent für die Beibehaltung des Status quo. Drei Tage nach der Wahl erklärte Adolf Hitler, dass mit diesem Ergebnis »einer der Versailler Unrechtsakte endgültig beseitigt« sei.

Ziemlich schnell, am 18. Januar 1935, wurde das Ergebnis umgesetzt und das Saargebiet wieder ins Deutsche Reich eingegliedert, als »Gau Saarland«. Damit fand eine der größten Propagandaschlachten der deutschen Faschisten am Vorabend des nahenden Weltkrieges ihr Ende: über fünf Millionen Briefsendungen, 1.500 Versammlungen, 1.500 »kulturelle Veranstaltungen«, über 80.000 Plakate. Ausgeführt wurde das Unternehmen von der Deutschen Front, einem Zusammenschluss bürgerlicher und nationalistische Parteien, angeleitet aber durch das Goebbels-Ministerium. Vom Deutschen Reich aus waren schon Monate vor der Abstimmung Anstrengungen unternommen worden, das Saargebiet per Rundfunkpropaganda zu erreichen: »Volksempfänger« wurden verteilt. Federführender Finanzier der Propagandaschlacht war der Stahlbaron und Waffenindustrielle Hermann Röchling, der mit seiner Broschüre »Wir halten die Saar!« die Auseinandersetzung um die Köpfe befeuerte; nach 1945 wurde er zweifach als Kriegsverbrecher verurteilt. Zudem stellten sich fast alle saarländischen Autoren in den Dienst der Deutschen Front, indem sie Gedichte, Lieder, Sprechchöre oder Politdramen veröffentlichten.

Am 4. Juni 1934 war auf Beschluss des Völkerbunds der 13. Januar 1935 als Tag der Volksabstimmung festgelegt wurden. In den Wochen vor dem Referendum erschienen in Nazideutschland wie an der Saar zahlreiche Artikel, Broschüren und Flugblätter, in denen vor der Gefahr des Anschlusses gewarnt wurde. Bertolt Brecht schrieb den Text für das Lied »Haltet die Saar, Genossen!«, das von Hanns Eisler vertont wurde. Darin heißt es: »Haltet die Saar, Genossen, Genossen, haltet die Saar! Dann werden das Blatt wir wenden. Ab 13. Januar.« Gustav Regler veröffentlichte seinen Roman »Im Kreuzfeuer«. Erich Weinert sprach in rund 150 Wahlkampfauftritten, und weitere prominente Schriftsteller – Klaus Mann, Henri Barbusse, Willi Münzenberg, Alfred Kerr, Willi Bredel, Alfred Kantorowicz, Erwin Piscator, Theodor Balk und Ernst Toller – stellten sich, aus dem Exil, mit ihren Beiträgen auf die Seite der antifaschistischen Einheitsfront.

Am 13. Januar 1935 waren zahlreiche Abstimmungsberechtigte aus allen Landesteilen des Deutschen Reichs mit Sonderzügen herangekarrt worden, darunter nicht wenige Berliner, die schon gleich bei ihrer Rückkehr auf dem Berliner Anhalter Bahnhof in Euphorie verfielen. Ilja Ehrenburg, der sich zu dieser Zeit zum Zweck der Berichterstattung für sowjetische Zeitungen im Saargebiet aufhielt, zeichnete in seiner Reportage »Die Saar« zwar ein plastisches Bild der sozialen und politischen Verhältnisse, schätzte die politische Lage dort aber falsch ein: »Riesige Teile der Saarbevölkerung werden für den Status quo stimmen.« Auch Heinrich Mann war dieser Meinung. Die Mehrheit der Saarländer, sagte er am 3. Januar voraus, habe kein Interesse daran, nach Deutschland in seinem gegenwärtigen Zustand zurückzukehren. Solchen Fehlprognosen lag wohl der Annahme zugrunde, dass die Berichte über Verfolgung und Terror im Nazireich, vermittelt durch Tausende Menschen, die seit 1933 ins Saarland geflohen waren, den Bewohnern des Mandatsgebiets eine Warnung sein mussten.

Aber der Nationalismus an der Saar war stärker. Man sah sich als Opfer: Die Abtrennung vom Deutschen Reich und die Völkerbundverwaltung galten vielen als ungesetzlicher Zustand, entsprechend wurde der Vertrag von Versailles als »Schande« wahrgenommen. Die Linke kämpfte in der Propagandaschlacht gegen einen übermächtigen Gegner, an dessen Spitze die NSDAP stand. Unter der Losung »Deutsch ist die Saar, immerdar!« warb man mit Kampagnen und Großkundgebungen für die Rückkehr des Saarlandes »heim ins Reich«. Der Slogan der Deutschen Front »Deutsche Mutter – heim zu Dir!« verfing. Die »Erbfeindschaft« zwischen Deutschland und Frankreich tat den Rest.

Freiheit gegen Knechtschaft

Die Volksfront der Saarjugend machte noch am 8. Dezember 1934 den katholischen Jugendverbänden ein Angebot zur Volksfront und rief am 15. Dezember zu einer Riesenheerschau der Volksfront gegen Hitler auf. Im Saarbrücker Stadion am Kieselhumes fand diese dann, am 6. Januar 1935, als die letzte große antifaschistische Kundgebung für den Status quo statt. Am selben Tag wie die »Deutsche Front« veranstaltete damit auch die »Einheitsfront« ihre Abschlusskundgebung. Mehr als 60.000 Menschen, saarländische Hitlergegner, Kommunisten, Sozialdemokraten und Anhänger christlicher Oppositionsparteien, sprachen sich noch einmal für »Frieden und gegen den Krieg«, für »Deutschland und gegen Hitler«, für die »Freiheit und gegen die Knechtschaft« aus. Doch es zeigte sich, dass die Gegner des Anschlusses an Hitlerdeutschland letztlich der propagandistischen und finanziellen Unterstützung aus dem Reich nur wenig entgegenzusetzen hatten.

So blieben die Antifaschisten am 13. Januar 1935 – trotz großer Anstrengungen der antifaschistischen Einheitsfront – in der Minderheit. Ehrenburg schrieb zum Schluss seines nach der Abstimmung publizierten Berichts: »Die Schlacht ist vielleicht verloren. Doch der Krieg – niemals.«

Durch Lüge, Betrug und Terror verfälscht

13. Januar 1935

Ich klage die Deutsche Front und ihre Drahtzieher in Berlin an, gelogen, betrogen und terrorisiert zu haben. Ich klage die Regierungskommission des Völkerbundes an, Lüge, Betrug und Terror geduldet zu haben. SA und SS versehen als »Hilfspolizei« den Ordnungsdienst im Abstimmungskampf. Die Regierungskommission des Völkerbundes im Saargebiet hat vor dem Nationalsozialismus kapituliert. Und ich erkläre vor aller Öffentlichkeit und nehme diese Erklärung auf meinen Eid, dass die Abstimmung, die heute stattfindet, gleich wie sie ausgeht, durch Lüge, Betrug und Terror der Deutschen Front verfälscht ist und damit nicht den Erfordernissen des Saarstatutes entspricht.

14. Januar 1935

(…) Die demokratischen Staaten der Welt unternehmen nicht das geringste, die Minderheit, die alle Aussicht hatte, in einem Fair Play Mehrheit zu werden, gegen den Terror jener zu schützen, die nicht verständigungsbereit, nicht ehrlich und nicht demokratisch gesinnt, das Saarland als Vorstufe für Elsaß-Lothringen, als den Anfang einer Annexionspolitik betrachten, der auch Österreich zum Opfer fallen soll und die unbedingt zu einer neuen Weltkatastrophe führen muss. Der Abstimmungskampf ist nun vorüber: Hitler hat bereits angekündigt, dass er auf weitere Erwerbungen verzichte. Die alten Tanten und senilen Großpapas vom Völkerbund werden sich beruhigt schlafen legen. Aber eins soll doch noch gesagt werden: für das parlamentarische England, das die Deutsche Front an der Saar gewähren ließ, für alle jene Staaten, denen ihre »wirtschaftlichen Beziehungen« wichtiger sind als die Freiheit eines Volkes, als die Freiheit Europas und der Welt, wird es noch ein grausames Erwachen geben …

Joseph Dunner: Lüge, Betrug und Terror. Zit. n. Ralph Schock (Hg.): Haltet die Saar, Genossen! Berlin/Bonn 1984, S. 60 f.

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