»Es geht nicht nur um Mouhamed allein«
Interview: David BieberWie beurteilen Sie als Sprecher des Solidaritätskreises den Prozess gegen die Polizisten im Fall Mouhamed Dramé?
Keiner der beiden Brüder von Mouhamed und auch niemand vom Solidaritätskreis »Jusitice4Mouhamed« hatte Verständnis für das Urteil. Dieser Prozess ist leider von Anfang an eine Farce gewesen. Nehmen wir nur die unzähligen Ungerechtigkeiten, die da im Gericht vorgekommen sind: Die Art und Weise, wie etwa die Familie Dramé behandelt worden ist, wie die zivilgesellschaftlichen Akteure und neugierigen Zuschauer des Prozesses drangsaliert worden sind. Uns wurde im Gericht noch nicht einmal erlaubt, auf die Toilette zu gehen. Der Hintereingang, den wir benutzen mussten, ist nicht geeignet für mobilitätseingeschränkte Menschen.
Was sagt der fünffache Freispruch über die deutsche Justiz und die angeklagten Polizisten aus?
Der Freispruch der fünf angeklagten Polizisten ist ein Zeichen der kompletten Ungerechtigkeit. Dass noch nicht einmal der Dienstgruppenleiter verurteilt worden ist, ist nicht nachvollziehbar.
Man darf nicht vergessen, dass nicht einmal zwei Prozent der Fälle von Polizeigewalt vor Gericht landen. Dieses Urteil ist eine Botschaft: Es gibt ein Recht für Menschen und eines für Polizisten. Es gibt auch keine Gerechtigkeit für schwarze Menschen.
Am Abend nach dem Urteil führten Sie eine Demonstration durch die Dortmunder Innenstadt. Dort kam es laut Polizei auch zu Beleidigungen und Anfeindungen.
Bei der spontanen Demonstration mit rund 400 Menschen am Abend nach dem Urteil war nicht nur Wut, sondern jede Menge Enttäuschung und Ratlosigkeit dabei. Aber es war auch Solidarität auf der Demonstration zu spüren. Da war eine Empathie, die wir im Gerichtssaal niemals finden konnten, vor allem nicht vom Richter. Menschen haben sich umarmt und haben zusammen geweint. Das zeigt abermals, dass es nicht nur um Mouhamed allein geht, sondern auch um viele andere Menschen, die unter Diskriminierung leiden.
Der Fall ist juristisch noch nicht abgeschlossen. Die Nebenklägerin kündigte Revision an. Was sind die weiteren Schritte des Solidaritätskreises?
Wir werden zusammen mit der Nebenklägerin Lisa Grüter, die die Familie Dramé vertritt, in Revision gehen. Wir wollen für Mouhamed, für seine Familie, aber auch für alle anderen Betroffenen Polizeigewalt und Rassismus anprangern und weiter dagegen kämpfen. Dass man auf einen jungen Mann in einer Jugendhilfeeinrichtung schießt, ihn umbringt und ohne jegliche Verantwortung freigesprochen wird, kann nicht die Botschaft der Gerechtigkeit in der Bundesrepublik sein. Hier zeigt sich ein systematisches Problem, nämlich strukturelle Diskriminierung und Rassismus. Darüber muss natürlich weiter gesprochen werden. Mit der Revision wollen wir einerseits für Gerechtigkeit kämpfen, aber auch das Vermächtnis und das Andenken an Mouhamed so positiv halten, wie sich seine Mutter in Senegal an ihn erinnert.
Wie stehen Sie zu der Idee, nach Alternativen zur Polizei zu suchen?
Wir im Solidaritätskreis denken, dass die Polizei als Institution von Grund auf reformiert werden muss. Diese Institution entwickelt sich wie die Gesellschaft. Andere Formen sowie Methoden sollten weiterentwickelt werden, unter Einbeziehung von wirklichen Expertinnen und Experten. Nur das könnte zu einer besseren Form der Polizei führen. Wir wissen: Jede Gesellschaft braucht Ordnung, braucht entsprechende Institutionen. Nur, wie soll die Institution aussehen, mit welchen Methoden soll sie arbeiten, mit welchen Gesetzen soll sie ausgestattet sein? Das sind zentralen Fragen. Andere Länder machen es vor. In Dänemark zum Beispiel diskutiert man alternative Formen der Polizei. Und auch bei uns in der Bundesrepublik sollte man stark darüber nachdenken.
William Dountio ist Mitgründer und Sprecher des Solidaritätskreises »Justice4Mouhamed«
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