Endlich normale Menschen
Von Frank SchäferWir treffen uns in Barnaby’s Blues Bar, denn hier hat Till »einen Deckel bis Meppen«, wie er gern prahlt, und hier kennt man die spezifischen Getränkepräferenzen eines ausgepichten Kombinationstrinkers. »Till«, herzt ihn die freundliche Thekenkraft, wenn sie ihm die dritte Whiskey-Cola-Mische kredenzt, »ich glaube, es wird jetzt langsam mal Zeit für einen Ouzo.« Der so liebevoll Angesprochene lehnt sich behaglich zurück, macht dieses Vorstandsvorsitzendengesicht, dem gerade die Rekordgewinne des letzten Quartals vorgelegt werden, und ächzt vor Glück. »Endlich normale Menschen!«
Die Frau ist aber auch wirklich ein Ausnahmetalent. Sie gibt sich der Wissenschaft vom Trunk mit einer grundgelehrten Ernsthaftigkeit hin, die man nur noch selten findet. Sie ist eben keine Politikstudentin im siebten Semester, die kein BAföG mehr bekommt und hier ein paar Stunden abreißt, um nicht unter der Brücke zu landen. Nein! Sie erzählt mit vor Glück blitzenden Schneidezähnen, sie habe ihren Sachbearbeiterjob bei der Stadt jetzt endlich geschmissen, um sich noch intensiver ihren Studien widmen zu können. Die mithörende Einzelsäuferbelegschaft am Tresen jault Beifall. Nichts mögen sie weniger, als jeden Abend Wildfremden erklären zu müssen, was sie trinken. Diese Wirtschaftsweise hat das alles intus, kennt den Schluckrhythmus ihrer Patienten, antizipiert das nächste Pils, lange bevor sie es selbst wissen, und kann in ihren Stirnfalten lesen, wann es mit einem Sambuca gekontert werden muss. Muss!
Sie schafft die Voraussetzungen, für den Rest sorgen die Gäste schon selbst. An diesem Abend ist es ein Jüngling vom Nebentisch, der uns bereits bei unserer Ankunft eindringlich gemustert hat. Der Tüp schaut immer mal wieder nach dem Rechten, nicht unfreundlich oder mit aggressivem Mauljucken, er nimmt uns einfach nur freundlich interessiert in Augenschein.
»Kennst du den?« Till schüttelt den Kopf. »Als Privatdetektiv wäre er lausig«, gibt er zu bedenken. Da muss unser Sonderbewacher mal um die Ecke. Er verrenkt sich extra noch einmal den Hals, bevor er verschwindet, man könnte ja was verpassen. Seine Begleiterin lächelt beruhigend, als wir mit fragend hochgezogenen Augenbrauen und Schultern eine Erklärung erbitten. »Er guckt gerne!«
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