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Aus: Ausgabe vom 10.01.2025, Seite 11 / Feuilleton
Field Recordings

Geschenke des Zufalls

Für und mit Philip Jeck: Das Tribute-Album »rpm« sucht mit Klangexperimenten nach Ordnung im Chaos
Von Alexander Kasbohm
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Jecks Arbeit wirkt häufig wie ein Versuch, die Absurdität des Daseins greifbar zu machen

Am 25. März 2022 starb der englische Klangkünstler Philip Jeck. Es liegt in der Natur der Klangkunst, dass sein Name nicht so bekannt ist, wie Jeck es verdient gehabt hätte. Sein Label Touch versucht dem, wenngleich etwas verspätet, entgegenzuwirken. Das Album »rpm« versammelt Künstler, mit denen Jeck im Laufe der letzten drei Jahrzehnte zusammengearbeitet hat: Christian Fennesz, Jah Wobble, Gavin Bryars, David Sylvian, Hildur Gudnadottir und andere. Auf dem Cover ist Jeck als Künstler notiert, was wegen des Tribute-Charakters von »rpm« stimmig erscheint. Viele der Stücke enthalten Elemente seiner Kunst – konkrete aus der Zusammenarbeit, abstraktere in Form verarbeiteter Erinnerung an den Künstler selbst.

Jecks Arbeit wirkt häufig wie ein Versuch, die Absurdität des Daseins greifbar zu machen, einen Ansatz zu finden, die Existenz lebbar zu machen, ihr zumindest Fragmente eines Sinns abzugewinnen. Er verwendete Field Recordings alltäglicher Geräusche, Schallplatten, die er stark verlangsamt abspielte, er zoomte sich gewissermaßen in die Klänge hinein, stellte sie einander gegenüber, sorgte für etwas Ordnung im Chaos. Er nahm die Geschenke des Zufalls an, schuf Hörspiele ohne Stimmen oder Handlung.

Das Album beginnt mit »Dancer«, Fennesz’ flächigem Tribut an Jeck, der ja gerade zu Beginn seiner Karriere in den 1990ern öfter mit Tanzgruppen arbeitete. Es folgt »1 Piste«, eine von drei Arbeiten Jecks mit dem Avantgardekomponisten Gavin Bryars, die für dessen Ballett »Pneuma« entstanden sind und Vokalsamples mit Streichern verbinden.

Chris Watson, mit dem Jeck das Album »Oxmardyke« veröffentlichte, ist mit »Saltmarshe Station« vertreten. Wie bei »Oxmardyke« liefern Geräusche, die Watson an einer alten Bahnstrecke im Niemandsland an der Mündung des Flusses Humber aufgenommen hatte, das Ausgangsmaterial. Vogelstimmen, Schilfrohr im Wind, akzentuiert von durchfahrenden Zügen oder den Geistern von Zügen sowie Klänge unbestimmter Herkunft. Eine angedeutete Landschaft, deren Details wohl deutlich sind, deren Gesamtheit aber im Nebel des Marschlands verschwimmt.

Kirchenglocken und Klänge, die Cris Cheek in der Umgebung seines neubezogenen Hauses in der englischen Countryside aufgenommen hat, bilden das Gerüst seines Beitrags. Dazu kommen Samples aus dem Stück »Lonely House«, welches auf dem zweiten Album des Experimental-Ensembles Slant (nicht zu verwechseln mit der koreanischen Hardcore-Band selben Namens) erschien, das Jeck und Cheek mit der Cellistin Sianed Jones vor 30 Jahren bildeten.

Der einzige Track mit einer Stimme, die nicht Teil von Umweltgeräuschen ist, ist die Vertonung von Emily Dickinsons Gedicht »I Measure Every Grief I Meet«. Die isländische Komponistin Hildur Gudnadottir (für ihre Filmmusik zu dem Film »Joker« gewann sie 2020 einen Oscar) liefert ein getragenes, aber nicht sentimentales Streicherbett, David Sylvian, der sich leider vor einigen Jahren weitgehend in den Ruhestand zurückgezogen hat, liest darüber die Zeilen von Jecks Lieblingsdichterin.

Bis zuletzt hatte Jeck in seinem Krankenhausbett an Tracks gearbeitet. Wenige Tage vor seinem Tod befasste er sich mit Aufnahmen von Walgesängen, die die norwegische Künstlerin Jana Winderen ihm geschickt hatte. Das Ergebnis der Zusammenarbeit ist »Pilots«, mit dem das Album schließt. Jeder der 18 Tracks des Doppelalbums zeigt eine andere Facette von Philip Jeck, und doch sind alle beseelt von einer psychogeographischen Neugier, durchdrungen von einer instruktiven Beschäftigung mit der Interdependenz von Menschen und Orten.

Philip Jeck: »rpm« (Touch)

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