Stressabbau: Das Altersheim zieht um
Von Marc HieronimusWenn es schnell gehen muss, wird es teuer oder unangenehm, meistens beides. Anfang der 2000er musste ein jüdisches Altersheim in Köln sehr eilig in einen Neubau ziehen. Der hatte sich verzögert, das Gebäude war auch am Umzugstag kaum bewohnbar. Es roch nach Mörtel und Farbe, die Decken waren noch nicht verkleidet, die Küche geliefert, aber nicht montiert und dergleichen mehr. Das alte Heim musste aber unbedingt bis Montag von Einwohnern und Mobiliar geräumt sein, die Arbeiter der Abriss- und Baufirmen saßen quasi schon auf ihren laufenden Maschinen. Sie dort wieder herunterzuholen und alles um einen Monat zu verschieben, hätte hohe Vertragsstrafen bedeutet.
Nur dass ein Hauruckhauswechsel inklusive Entrümpelung am Wochenende auch ins Geld geht. Die Betten kosteten das Vierfache. Die neu angeschafften waren allem Anschein nach auch gar nicht nötig, die absolut funktionstüchtigen alten hätte man zumindest teuer verkaufen können, weggeschmissen, statt vom Sperrmüll abgeholt, kosteten sie teures Containervolumen, und die Studenten hatten mit dem Rauswurf ihre liebe, weil bezahlte Mühe. Die schweren Stahlgestelle sollten nämlich aus einem Fenster gereicht werden, unter dem der Container stand, die Fenster im Parterre waren jedoch aus Panzerglas und ließen sich nicht öffnen.
Einer der vom sonntags verdoppelten Hungerlohn angelockten Studenten war ein langhaariger Schluffi, mit dem man sich großartig über Heavy Metal hätte unterhalten können, wenn er je den Mund geöffnet hätte. In seinen Augen leuchtete es, als der Anweiser von der Firma mit dem Vorschlaghammer kam. Bis die Scheibe zertrümmert und restlos aus dem Fenster gehauen war, hat er bestimmt eine halbe Stunde auf sie ein- und sich in Verzückung gehämmert. Auch die anderen hatten ihre Freude beim Zerkleinern des Interieurs auf Entsorgungsgröße. Eine Stunde Möbel zerdeppern hilft über jeden Prüfungsstress oder Liebeskummer hinweg und kann später ohne weiteres zwei Jahre Paartherapie ersetzen. Unterm Strich hat sich der Tag also doch gelohnt.
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