Musk erschüttert Welt
Von Kristian StemmlerGinge es nur um Aufmerksamkeit, wäre der Welt am Sonntag mit dem Gastbeitrag des US-Milliardärs Elon Musk kurz vor dem Jahreswechsel ein echter Scoop gelungen. Auch knapp zwei Wochen nach Veröffentlichung sorgt der Text, in dem der Buddy und Berater des künftigen US-Präsidenten Donald Trump die AfD als »letzten Funken Hoffnung« für eine heruntergewirtschaftete BRD bezeichnet, für hitzige Diskussionen. Die Freude darüber dürfte sich bei Welt-Gruppe und Springer-Verlag allerdings in Grenzen halten. Zum einen reißt die Kritik von Politikern und Medien nicht ab, problematischer für den Verlag dürfte aber sein, dass es in den Welt-Redaktionen weiter rumort. Jetzt hat ein zweiter Topjournalist den Verlag wegen des Musk-Kommentars verlassen.
Wie am Montag zuerst das Branchenportal Medieninsider berichtete, hat Hans-Martin Tillack, Chefreporter der Welt, Ende vergangener Woche seine Kündigung eingereicht. Das Portal berief sich auf »mehrere Quellen aus Redaktionskreisen«, Tillack äußerte sich nicht. Unmittelbar nach Erscheinen des Musk-Beitrags hatte bereits Eva Marie Kogel, Chefin des Meinungsressorts der Welt, dem Blatt den Rücken gekehrt. Zugleich war öffentlich geworden, dass der Gastkommentar in der Redaktion heftig umstritten war. Mehrere Redakteure, darunter der stellvertretende Chefredakteur Robin Alexander und die Redakteurin Franziska Zimmerer, äußerten öffentlich ihren Unmut und betonten, dass ein solcher Text nie hätte gedruckt werden dürfen.
Tillack hat sich vor allem als Investigativjournalist einen Namen gemacht. Er arbeitete von 1988 bis 1993 für die Taz, wechselte dann zum Stern, für den er erst in Bonn, dann in Brüssel und schließlich in Berlin arbeitete und diverse Skandale aufdeckte. So recherchierte er 2002 die so genannte »Tanzpartner-Affäre« um den damaligen Arbeitsminister Walter Riester (SPD), bei der es um Unregelmäßigkeiten bei einer Auftragsvergabe durch Mitarbeiter des Ministers ging. Tillack berichtete auch über Fälle von Korruption bei Siemens und der Hypo Real Estate.
Unterdessen scheint auch die Frage geklärt zu sein, wer die Idee hatte, den Gastbeitrag von Musk für die Welt am Sonntag anzufordern. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Anfang des Jahres berichtete, soll der Urheber der Idee Martín Varsavsky gewesen sein, ein Aufsichtsratsmitglied des Springer-Verlags und »Freund von Elon Musk«, wie er sich auf seinem X-Account selbst bezeichnet. Varsavsky, der in Argentinien aufwuchs und im Alter von 16 Jahren mit seiner Familie in die USA übersiedelte, hat diverse Unternehmen in den Bereichen Biotechnologie und Kommunikation gegründet. Im Springer-Aufsichtsrat ist er seit 2014.
Der FAZ zufolge hielt Varsavsky es für sinnvoll, Musk eine Plattform zu bieten, um seine zuvor getätigte Aussage, nur die AfD könne Deutschland retten, in einem Gastbeitrag zu erklären. Nachdem der Argentiner die Chefredakteurin der Welt, Jennifer Wilton, kontaktiert habe, habe diese »aufgrund des großen Nachrichtenwertes« zugestimmt. Daraufhin soll sich Varsavsky an Musk gewandt haben. So stellte der Unternehmer es bei X dar und veröffentlichte zudem den gesamten Text von Musk im englischen Original. Der US-Milliardär hat inzwischen bestätigt, dass Varsavsky ihn angesprochen hatte.
Am Montagabend befasste sich der ZDF-Talk »Markus Lanz« mit dem Thema. Marc Felix Serrao, Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung in Deutschland, verteidigte die Entscheidung der Welt-Chefredaktion, den Beitrag von Musk zu drucken. »Natürlich verbreiten wir das, wenn der reichste Mann der Welt, einer der erfolgreichsten Unternehmer, sagt: Ich möchte einen Meinungsbeitrag äußern«, erklärte er. Die NZZ vertritt in den vergangenen Jahren ähnlich reaktionäre Positionen wie das Flaggschiff des Springer-Konzerns. Kristina Dunz vom Redaktionsnetzwerk Deutschland sah es anders als Serrao. Dass Deutschland am Ende und heruntergewirtschaftet sei, »das ist eine falsche Analyse«, sagte Dunz. Der Musk-Text sei eine Wahlwerbung, die sie nicht gedruckt hätte.
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