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Aus: Ausgabe vom 10.01.2025, Seite 15 / Feminismus
Buchrezension

Künstlerin mit feministischem Anspruch

Hochgebirgsmalerei in einem männerdominierten Kunstbetrieb: Biographie würdigt Bertha Züricher
Von Christiana Puschak
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Fasziniert von der hochalpinen Landschaft und 1920 von Bertha Züricher im Bild festgehalten

Einer der bekanntesten deutschen Landschaftsmaler, Otto Modersohn, notierte in seinem Tagebuch, »die Landschaft im Gebirge ist dramatischer, packender«. Ohne Frage sind Berge in der Landschaftsmalerei ein beliebtes Motiv. Wenn jedoch in der Kunstgeschichte von Hochgebirgsmalerei die Rede ist, wird meist an männliche Künstler gedacht, etwa an Ferdinand Hodler oder Giovanni Segantini. Kaum Erwähnung finden Frauen, obwohl es der Publizistin Ingrid Runggaldier zufolge nicht wenige Malerinnen im Hochgebirge gab: »Frauen waren von Anfang an dabei (…) Man kennt nur ihre Namen nicht.«

Zu den wenigen namentlich erwähnten Hochgebirgsmalerinnen zählt die Schweizer Künstlerin Bertha Züricher (1869–1949), die nicht allein von der hochalpinen Landschaft fasziniert war, sondern keine Mühen und Gefahren scheute, dort mit Staffelei, Skizzenblock, Rucksack voller Pinsel und anderen Malutensilien unterwegs zu sein. Sie schuf großartige Gemälde, meisterhafte Aquarelle in leuchtender Farbigkeit, die die Schönheiten der Landschaft einfingen und ihre tiefe emotionale Verbundenheit mit der Natur und den Menschen widerspiegeln, sowie bestechende Druckgraphiken.

Einen exzellenten Eindruck davon vermittelt jetzt ein überaus schön gestaltetes, mit vielen eindrucksvollen Reproduktionen versehenes Buch, das sich erstmalig in einer Gesamtdarstellung dem Leben und Werk dieser vielseitigen Künstlerin widmet, die sich als Feministin verstand und weitgehend ein selbstbestimmtes Leben führte.

Bereits früh prägte sie den Kampf der Künstlerinnen um Gleichberechtigung in den offiziellen Kunstorganisationen entscheidend mit. Sie wurde eine wichtige weibliche Stimme der Berner Kunstszene, ja, sie war »das Gesicht des Widerstands«. Mit ihren Kolleginnen kämpfte sie für die Vollmitgliedschaft von Frauen in der Gesellschaft Schweizerischer Maler. Dort war Ferdinand Hodler ihr Gegenspieler, der die Mitgliedschaft von Frauen rigoros ablehnte. Daraufhin gründeten Künstlerinnen ihre eigene Vertretung und organisierten selbst Künstlerinnenausstellungen, für die sie beim Bundesrat finanzielle Mittel einklagten. Bertha Zürichers fortgesetztes Engagement für eine Gleichbehandlung der Frauen im Kunstbetrieb hatte jedoch für sie, wie in dem Bildband nachzulesen ist, Konsequenzen. Von männlichen Ausstellungsmachern wurden ihre eingereichten Arbeiten entweder ignoriert oder aber in hintere Säle verbannt.

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Die Schönheit der Natur auf Leinwand festhalten: Züricher unterwegs mit ihren Malutensilien in den 1920ern

Aufgewachsen ist Bertha Züricher in einem liberalen und kulturinteressierten Elternhaus mit drei Brüdern und einer Schwester. Von der Kindheit bis ins Alter galt ihre Leidenschaft neben der Malerei dem Bergwandern. Bevor sie ihrer künstlerischen Berufung nachging, arbeitete sie als erste Frau in Festanstellung an der neu gegründeten Berner Frauenarbeitsschule, wo sie Kurse leitete. Um sich ganz auf die Kunst fokussieren zu können, verzichtete Züricher auf diese Form der Beschäftigung sowie auf Ehe und Kinder und nahm vielerlei Unverständnis ihrer Umwelt in Kauf.

Über München, wo sie sich im dortigen Künstlerinnenverein engagierte und wo sie erstmals Bilder ausstellen konnte, ging sie in die Kunstmetropole Paris. Hier errang sie Erfolge im Salon d’Automne. Und hier knüpfte sie viele Bekanntschaften, so zu dem Pazifisten und Schriftsteller Romain Rolland, über den sie ein ausdrucksstarkes Porträt schuf, oder zu Paula Modersohn-Becker, über die sie eine kurze, aber eindringliche Erinnerung verfasste – abgedruckt in dem Buch neben ausgewählten Manuskripten, Presseartikeln und Briefen.

Da mit der Kunst auf Dauer nur unregelmäßig Einkünfte zu erzielen waren, wurde Bertha Züricher zur »Unternehmerin in eigener Sache«. Sie vertrieb ihre Bilder selbst, schaltete Inserate, gestaltete beeindruckende Werbepostkarten sowie gut verkäufliche Holzschnitte mit Blumen- und Tiermotiven und organisierte Atelierausstellungen in einem von ihr entwickelten Format. In diesen zeigte sie die ganze Bandbreite ihres Könnens, von der Landschaftsmalerei über Blumenstillleben bis hin zu Porträts.

All das und noch vieles mehr, wie ihre Aktivitäten in der »Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit« oder ihr Einsatz für das weibliche Stimmrecht in der Schweiz, ist der hervorragend und sorgfältig recherchierten Monographie zu entnehmen.

Matthias Fischer (Hg): Bertha Züricher »Aus dem Kaleidoscop meines Lebens« Autobiografie einer Berner Malerin. Hier-und-Jetzt-Verlag, Zürich 2024, 351 Seiten, 285 farbige und 39 schwarz-weiß Abb., 34 Euro

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