Immer noch eine Schippe mehr
Von Jörg KronauerRund 75 Minuten dauerte das Gespräch, bis zu 210.000 Personen hörten zu, die gesamte Bundesrepublik redet darüber: Breitere Wahlwerbung für die AfD als das Geplaudere auf X, das der Besitzer der Plattform, Elon Musk, und AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel am Donnerstag abend führten, kann man sich kaum vorstellen. Seit Musk am 20. Dezember auf X verkündet hatte, »nur die AfD« könne »Deutschland retten«, hat er immer wieder eine Schippe draufgelegt: Ende Dezember mit einem Namensartikel in der Welt am Sonntag, in dem er behauptete, die AfD sei »der letzte Funke Hoffnung für dieses Land«; sodann mit der Ankündigung, sich mit Weidel öffentlich austauschen zu wollen. Der Dialog der beiden, in dem die AfD-Bundessprecherin die Programmatik ihrer Partei präsentieren konnte, während Musk sich immer wieder zustimmend äußerte, war der bisherige Gipfel der Privatkampagne, mit der der US-Oligarch die extrem rechte Partei vor der Bundestagswahl unterstützt – mit einer Breitenwirkung, von der andere nur träumen können.
Was treibt Musk dazu, sich für die AfD in die Bresche zu werfen, anstatt im fernen Europa auf die etablierten, bewährten transatlantischen Netzwerke zu setzen? Nun, zunächst dasselbe Motiv, das im vergangenen Jahr eine starke Milliardärsfraktion aus dem Silicon Valley veranlasst hat, nicht mehr – wie zuvor – die US-Demokraten, sondern Donald Trump zu unterstützen. Für die Bosse der US-Techbranche steht in den nächsten Jahren vor allem zweierlei an: rasante Vorstöße auf dem Feld der künstlichen Intelligenz (KI) und der Versuch, zugleich bei den Kryptowährungen Durchbrüche zu erzielen. Um damit schneller vorwärtszukommen – dies, nebenbei, in Konkurrenz zum boomenden Techsektor in China – , dringen zahlreiche Silicon-Valley-Unternehmer auf eine weitreichende Deregulierung ihrer Branche, vor allem bei KI und Krypto. Die US-Demokraten verweigern dies; Trump jedoch ist dazu bereit. Als Symbol, mit dem für die Deregulierung geworben wird, kann der jüngst von Facebook beschlossene Verzicht auf regulierende Faktenchecker gelten, die eine gewisse politische Kontrolle im Sinne der herrschenden Eliten ermöglichten.
Ein ähnlicher Kurswechsel in Europa käme dem Silicon Valley sehr gelegen. Musk etwa ist schon in der Vergangenheit heftig mit dem damaligen EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton aneinandergeraten. Der verlangte von X die strikte Einhaltung von Regeln, während Musk – gern unter dem Banner der freien Rede – deren Lockerung verlangte. In seinem Welt-Namensartikel beklagte er, in Deutschland versinke die Wirtschaft in »Bürokratie und erdrückenden Vorschriften«. Die AfD hingegen strebe den »Abbau staatlicher Überregulierung« und eine »Deregulierung des Marktes« an; man solle also auf sie setzen. Das stößt im transatlantischen Establishment der Bundesrepublik auf Unmut. FDP-Chef Christian Lindner etwa vertritt die Position, deregulieren könnten auch die alten Parteien, und er plädierte im Dezember im Handelsblatt dafür, von Musk und Javier Milei zu »lernen«. Musk hingegen glaubt nicht mehr, dass die Deregulierung mit dem alten Establishment gelingt.
Apropos Welt am Sonntag: Der Springer-Verlag, in dem das Blatt erscheint, steckt in einem Umbruch. Man kann spekulieren, ob Konzernchef Mathias Döpfner eine Koalition aus Union und AfD favorisiert; dem mag so sein. Klar ist aber: Sein Konzern gruppiert sich um, hat das Geschäft mit Kleinanzeigen und Immobilien abgestoßen und will nun über seinen deutschen (Welt, Bild) und seinen bisherigen US-amerikanischen Besitzstand hinaus (Politico, Business Insider) vor allem in den Vereinigten Staaten weiter wachsen. Mit Musk sucht er seit spätestens 2020 hartnäckig anzubandeln; der X-Chef bekam damals den Axel Springer Award. Will Döpfner die Springer-Expansion in den Vereinigten Staaten durchsetzen, dann tut er auf jeden Fall gut daran, sich mit Trump und seinem Umfeld gut zu stellen. Musk ist auch deshalb besonders interessant, weil er ab dem 20. Januar das Department of Governance Efficiency (DOGE) leiten soll, dessen Aufgabe darin besteht, die staatlichen Apparate, den Staatshaushalt und auch Gesetze zu schrumpfen – also zu deregulieren.
Last but not least: In einer Zeit, in der die äußerste Rechte in Europa dramatisch erstarkt, liegt es im Interesse der US-Rechten wie auch transatlantisch orientierter Wirtschaftskreise, jene äußerste Rechte transatlantisch einzubinden. Zumindest programmatisch setzt die AfD auf die deutsche NATO-Mitgliedschaft und auf gedeihliche Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und den USA. Dass dies so bleibt, daran haben Leute wie Musk und Döpfner ein klares Interesse. Musks Einsatz für die AfD stärkt deren transatlantische Bindungen. »Er bindet die Partei … enger an die USA«, hielt am 31. Dezember Götz Kubitschek, Vordenker der extremen Rechten, fest. »Zwar fremdel(e)« die AfD »mit dem Westen«, vor allem mit »der transatlantischen Bevormundung«, »der populär-ordinären Kulturhoheit des Hegemons«; doch sei »aus Rußland« bis zum heutigen Tage »nichts« gekommen, »das die AfD auf ihrem Weg zur Entdämonisierung hätte unterstützen können«. Zu der ersehnten »Entdämonisierung« tragen nun Musk und mit ihm die USA bei. Die AfD dürfte es ihnen danken.
Hintergrund: Musk und Reform UK
Zu den Ländern, deren äußerste Rechte Elon Musk auf X unterstützt, zählt neben Italien und Deutschland auch Großbritannien. Schon im Sommer hatte Musk die rassistischen Riots angefeuert, die für eine gute Woche im Königreich wüteten. Ende November erklärte er dann, er sei überzeugt, die Partei Reform UK werde die nächsten Wahlen gewinnen. Reform UK ist die ultrarechte Partei von Nigel Farage, der auch im Ausland bekannt ist, seit er auf der britischen Rechten für den Brexit agitierte. Die Dinge schienen gut zu laufen; Farage und der neue Reform -UK-Schatzmeister Nick Candy, ein Immobilienmilliardär, fanden sich – Farage kennt Donald Trump seit Jahren – Mitte Dezember in Mar-a-Lago ein, wo sie auch mit Musk zusammentrafen. Und plötzlich war davon die Rede, Musk könne für Reform UK spenden; genannt wurde die Summe von 100 Millionen US-Dollar. Bestätigt hat das der X-Chef freilich nie.
Musk trommelte auf seiner Plattform immer weiter für Reform UK und für Farage, ging dann dazu über, Premier Keir Starmer zu beleidigen; und schließlich forderte er die Freilassung von Stephen Yaxley-Lennon, bekannt als Tommy Robinson, der aktuell im Königreich wohl einflussreichste Aktivist der extremen Rechten. Yaxley-Lennon sitzt zur Zeit eine Strafe wegen Missachtung eines Gerichts ab, dessen Urteil – er darf einen Syrer nicht mehr mobben – er konsequent ignorierte. Farage kritisierte die Forderung, ihn freizulassen, vorsichtig: Yaxley-Lennon ist selbst für die Reform-UK-Mehrheit eine Spur zu krass.
Musk wurde wütend, verkündete auf X, Farage habe nicht das Zeug zum Reform-UK-Chef; er solle durch einen anderen Rechtsaußen namens Rupert Lowe abgelöst werden. Das ist Unfug; Reform UK lebt schließlich von Farages Popularität; daran aber stört Musk sich nicht. Farage, zunächst perplex, fand Anfang dieser Woche die Sprache wieder. Er werde zu Trumps Amtseinführung nach Washington reisen und dann auch Musk treffen, teilte er mit. (jk)
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