Recht auf Widerstand
Von Helga BaumgartenMein Student aus Tulkarem kommt nicht raus aus der Stadt. Alle Straßen sind hermetisch abgeriegelt. Er verpasst deshalb sein wöchentliches Doktorandenseminar in Birzeit. Was ist passiert? Früh am Montag morgen griffen bewaffnete Palästinenser einen Bus aus einer der kolonialistischen Siedlungen in der Westbank an. Laut Presseberichten wurden drei Passagiere getötet, mehrere verletzt. Eine der Getöteten hat die Siedlung Kedumim mitgegründet und war immer noch Freiwillige bei den Einsatzkräften dort, auch wenn sie schon über siebzig war. Der getötete Mann war Polizist in der Siedlung Ariel.
Die Reaktion der israelischen Regierung: Alle Straßen im Norden wurden abgeriegelt. Siedlerführer, an erster Stelle der extrem rechte Finanzminister Bezalel Smotrich, wollen den Norden der Westbank zu einem zweiten Dschabalija machen – das Geflüchtetenlager in Gaza wurde in Schutt und Asche gelegt. Smotrichs ebenso rassistischer, ja faschistischer Kollege Itamar Ben-Gvir, Minister für nationale Sicherheit in Israel und vorbestraft wegen seiner Unterstützung des Rassisten Meir Kahane, legt noch eins drauf: »Wer für einen Waffenstillstand in Gaza arbeitet, wird Krieg in ›Judäa und Samaria‹ bekommen.«
Derweil wütet die palästinensische »Regierung« in Ramallah im Lager von Dschenin als treuer Agent Israels: Jeglicher Widerstand gegen die Besetzung soll zerschlagen werden. Palästinenser kritisieren Präsident Mahmud Abbas als den schlimmsten Kollaborateur in der Geschichte nationaler Befreiungsbewegungen. Sie halten daran fest: Widerstand gegen Siedlerkolonialismus ist nach internationalem Recht legal. Angegriffen würden, so hört man, die Armee und bewaffnete Siedler: »Wenn dabei unschuldige Zivilisten umkommen, dann ist das – analog den Verlautbarungen der israelischen Armee – ›Kollateralschaden‹.«
Im Gazastreifen leisten die Palästinenser immer noch Widerstand. Fast täglich werden israelische Soldaten attackiert. Der Völkermord konnte aber nicht gestoppt werden. Die Zerstörungen durch die israelische Armee gehen weiter, solange es der vom Internationalen Strafgerichtshof angeklagte Premierminister Benjamin Netanjahu, auf den ein Strafbefehl ausgestellt ist, will. Und er will nur eines: Krieg, am besten überall und gegen alle in der Region. Die israelische Gesellschaft unterstützt ihn dabei voll und ganz. Ein Teil fordert zwar einen Austausch der Geiseln in Gaza gegen palästinensische Gefangene in israelischer Haft. Danach kann der Krieg aber weitergehen.
Nur eine winzige Minderheit erhebt ihre Stimme klar gegen den Völkermord und gegen die Besetzung. Am Dienstag demonstrierten Mitglieder des »Radikalen Blocks« vor dem Armeehauptquartier (HQ) in Tel Aviv mit Plakaten, auf denen sie anklagen: »Ihr alle nehmt am Völkermord teil, auch wenn ihr nur Kaffee kocht im HQ.« Die einzige Alternative: Jeder Israeli müsse den Wehrdienst verweigern, kompromisslos.
Dies ist der 20. »Brief aus Jerusalem« von Helga Baumgarten, emeritierter Professorin für Politik der Universität Birzeit.
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