Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 11.01.2025, Seite 8 / Ansichten

Im Durchschnitt

Weidel, Hitler und die AfD
Von Nico Popp
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Nimmt sich Zeit: Alice Weidel (Berlin, 7.12.2024)

Es ist ziemlich albern, auf ­Alice Weidels Mitteilung, Hitler sei Kommunist gewesen und die Nazis hätten »alle Privatunternehmen« verstaatlicht, mit dem Hinweis zu reagieren, dass schon eine nur flüchtige Befassung mit dem historischen Material zeigt, dass das »nicht stimmt«. Wer einen mörderischen Antikommunisten, der sich in Reden vor »Wirtschaftsführern« stets damit empfohlen hat, er werde den Marxismus und die kommunistische Bewegung in Deutschland »ausrotten«, und der 1933 den Terror zuerst gegen die KPD richtete, hinterher zum Kommunisten erklärt, hat deutlich gemacht, dass Tatsachen nicht interessieren.

Interessanter ist die Frage, wie es möglich ist, dass die Vorsitzende einer Partei, die Aussichten hat, demnächst die zweitstärkste Fraktion im Bundestag zu stellen, zu der Ansicht gelangt, dass sie für dieses Geschwätz nicht ausgelacht wird. Natürlich ist das ein vernichtendes Zeugnis für das Niveau historisch-politischer Bildung in Deutschland. Die einschlägige Begriffslosigkeit ermöglicht eine charakteristische Dynamik der Denunziation: Den Eifer bei der Vergabe des Prädikats »Nazi« beantwortet Weidel, indem sie zeigt, dass »Hitler« sich »überhitlern« lässt, indem man ihn zum Kommunisten erklärt. Das Kalkül geht dort, wo der Antikommunismus stets stärkere Bataillone aufbieten konnte als der Antifaschismus, durchaus auf.

Eine deutsche Spezialität ist das aber nicht, und schon gar nicht hat Weidel hier einen eigenen Gedanken entwickelt. Dass Hitler Sozialist gewesen sei und die NSDAP eine linke Partei, ist ein Standard in der neoliberal-»libertären« Ideologieproduktion, von der Weidel zehrt. Es ist genau diese Linie, auf der sie am Freitag noch einmal nachlegte: »Ich bin Ökonomin und für uns ist völlig klar, dass Adolf Hitler ein Linker war.«

Der Befund bedient ein weithin geteiltes Interesse: Ein Ziel ist, die Nazis aus der Geschichte der politischen Rechten und – in einem umfassenderen Sinne – aus der Geschichte des bürgerlichen Parteienwesens auszugliedern. Um den Nachweis, dass die NSDAP – die in den Wohnquartieren des Bürgertums stets deutlich mehr Stimmen erhalten hat als in den Arbeitervierteln – gar keine Partei des Bürgertums, sondern eine »Volkspartei« gewesen sei, bemühen sich deutsche Historiker seit Jahrzehnten. Und vor zwanzig Jahren gab es einen Bestseller, der die Agenda 2010 mit der Botschaft flankierte, Hitler sei der Schöpfer des deutschen Sozialstaats gewesen. Kurz: Weidel und die AfD sind nur so durchgeknallt wie der deutsche politische Durchschnitt. Ihr »Extremismus« besteht in dessen Übersteigerung.

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