Die Angst von Maus und Mensch
Von Eileen Heerdegen»When you walk through a storm / Hold your head up high / And don’t be afraid of the dark.« Walk alone oder nicht – ohne Angst, wie soll das gehen, wenn du Zeuge der letzten Tage der Menschheit wirst, wenn Charlie Chaplins Tanz mit der Weltkugel plötzlich irre Realität wird? Wenn du nach dem Lichtchen von irgendwoher suchst, wenn du glaubst, nur die Madonna kann uns retten, dann grätscht dir plötzlich Alex Kapranos mit seinem berühmten Bühnensprung in die trüben Gedanken: »But don’t stop feeling audacious / There’s no one to save us / So just carry on« – Bleib kühn, mutig, verwegen, niemand wird dich retten, also bleib dran.
Franz Ferdinand, das klingt nach grantigen Kellnern und Grinzinger Wein, ist aber in diesem Fall durch und durch schottisch, und, vergessen wir mal den Walfang und ähnliches, wie sympathisch ist ein Volk, dessen Nationaldichter Robert Burns (1759–1796) nicht nur das wunderbare »Auld Lang Syne« (»We’ll take a cup of kindness«) geschrieben hat, sondern, nachdem er versehentlich ein Mäusenest zerstört hatte, mit »To a mouse« auch ein Gedicht über die Angst von Maus und Mensch.
Man kann also von alter Tradition sprechen, wenn die Band aus Glasgow mit »The Human Fear«, ihrem siebten Studioalbum (inkl. FFS mit den Sparks) eins der archaischsten Gefühle in den Fokus stellt: »Angst zieht sich als Thema durch das Album. Sich mit seinen Ängsten zu konfrontieren, ist eine der lebensbejahendsten Erfahrungen überhaupt«, erklärt Leadsänger und Gitarrist Alex Kapranos im Interview mit Kulturnews.
Doch nicht nur der Opener »Audacious« beweist, dass alles nicht so düster gegessen wie gekocht wird, auch die Story, dass Bassist Bob Hardy seinem angeblich fallschirmspringbegeisterten Kollegen Alex zum 40. einen Sprung geschenkt hat, der auch 13 Jahre später noch nicht eingelöst wurde, passt. Und Hardy sagt dazu: »Ich selbst habe absolut kein Verlangen danach, irgendwo runterzuspringen, selbst Skifahren ist mir zu extrem. Ich mag Billard!« Und so weicht der hehre Anspruch dem britischen Humor auch im Video, das den Text zu »Audacious« karikaturenhaft visualisiert: eine Traumsequenz mit herumwirbelnden, ekstatisch lachenden Künstlern in Samtanzügen, mit Brillis, Tand und Talmi vs. verschwitzte, ausgelaugte Bandmitglieder in Trainingsjacke und Plastiktüten im Regen – reality sucks, egal, bleib dran. Viel Ironie, aber auch ein schöner Text, »Feel the fabric of existence – come unspun … And don’t go blaming the neighbours / You know they’re the same as us«, musikalisch 100 Prozent Franz Ferdinand. Eine hübsche (Brit-)Pop-Hymne, zu der man sich in eine bessere Welt tanzen kann, nachdem man Arm in Arm »You’ll never walk alone« singend vom verlorenen Fußballmatch heimgekehrt ist.
Ganz anders der »Everydaydreamer«, aber auch unverkennbar ein Song der Band, der es seit 2004 gelingt, trotz neuer Einflüsse und Ausflüge, bei hohem Wiedererkennungswert unverwechselbar zu bleiben. Die 2017er Neuzugänge Dino Bardot (Gitarre), Julian Corrie (Keyboard) und Drummerin Audrey Tait (seit 2021) haben die Gründungsmitglieder Hardy und Kapranos in bester Weise komplettiert. Eine Konstante ist auch Alex Kapranos’ Baritonstimme, die er hart und spöttisch, sexy und weich einzusetzen versteht – so in den Schlaf gesungen zu werden könnte ein echter Everydaydream sein. Doch in diesen Genuss kommen seit vergangenem Jahr nur noch Baby und Ehefrau Clara Luciani, und interessanterweise kommt der Albumtiteltext »Human Fear« nur genau einmal vor, ausgerechnet in »Hooked«, dem ganz persönlichen Lovesong.
»I thought I knew what love was / And then I met you.« Für mich werden die schönen Worte durch den sehr bratzigen Dancefloor-Beat zerstört – hatte da jemand Angst vor einem zu gefühlvollen Liebeslied? Dabei geht es durch fast alle Stücke hindurch ohnehin nur um die Liebe – oder vielmehr um die Angst, sie zu verlieren. »Build It Up«, ein sanftes und doch sehr rhythmisches Gitarrenstück über Sprachlosigkeit, wie »Night Or Day« ein typischer Song der Band und trotzdem anders, trotzdem neu. Ungewöhnlich hingegen »Tell Me I Should Stay«, das wie ein klassisches Klavierstück beginnt und dessen melancholischer Text sich irgendwann plötzlich in einen Beach-Boys-Hit wirbelt. Mit »Black Eyelashes« hat sich Alex Kapranos der griechischen Kultur seines Vaters angenähert, ehrenwert, aber so gar nicht meins. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur in letzter Zeit zu oft, ob auf Partys oder Beerdigungen, mit Udo Jürgens unsäglichem Griechenwein belästigt worden.
So poppig hymnisch das Album beginnt, so hart endet es im Gitarrengewitter von »The Birds«: »We all do things / That we wish we hadn’t done / Thank you for accepting me / Despite what I have done.« »The Human Fear«, die durch und durch menschliche Angst, nicht geliebt zu werden.
Franz Ferdinand: »The Human Fear« (Domino/GoodToGo)
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