Agenden aus der Mottenkiste
Von Gudrun Giese
Mit vermeintlich sozialem Touch hat es Nochkanzler Olaf Scholz (SPD) am Wochenende vermocht, die Reihen seiner Partei während eines Bundesparteitags in Berlin hinter sich zu schließen. »Eine gute Zukunft für Deutschland gewinnen wir, wenn die ganz normalen Leute gut über die Runden kommen«, sagte Scholz. Er forderte die Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro, die Senkung der Mehrwertsteuer für Lebensmittel von sieben auf fünf Prozent sowie Steuerentlastungen für »95 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer«. Mit Blick auf die Union sagte Scholz, durch deren politische Pläne drohten »bittere Einschnitte« bei Pflege, Gesundheit und Rente. Die von CDU und CSU versprochenen Steuersenkungen brächten »noch mehr Vergünstigungen für Millionäre und Milliardäre«, so der Kanzler.
Doch die Bezieher von Bürgergeld müssen sich nach Einschätzung von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil auch 2026 mit einer Nullrunde abfinden, sollte die Inflation nicht wieder deutlich anziehen. Dies sei »durchaus wahrscheinlich«, sagte der SPD-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) laut Meldung vom Sonntag. Rund 5,5 Millionen Menschen beziehen Bürgergeld, in diesem Jahr hatte es bereits eine Nullrunde gegeben.
CDU und CSU wollen das Bürgergeld abschaffen und durch eine »Neue Grundsicherung« ersetzen. Am Wochenende haben die beiden Parteien auf einer Klausurtagung in Hamburg, wie berichtet, das Wirtschaftsprogramm »Agenda 2030« beschlossen. Inhaltlich steuern sie einen neoliberalen Kurs an. Um die potentielle Wählerschaft zu ködern, heißt es im Programm, dass die Bundesrepublik »wieder eine Politik für die hart arbeitende Bevölkerung – eine Agenda für die Fleißigen« brauche. Tausendfach strapaziertes Motto: Leistung müsse sich wieder lohnen. Die Köder dafür sollen aus einer Senkung der Sozialversicherungsbeiträge entstehen, steuerfreien Überstundenzuschlägen, einer höheren Pendlerpauschale und steuerfreien Zuverdienstmöglichkeiten von bis zu 2.000 Euro für Rentner. Die lohnenden Brocken sind für Unternehmen und Wohlhabende reserviert: Der Spitzensteuersatz soll erst ab einem Jahreseinkommen von 80.000 Euro fällig, die Steuerlast für Firmen bei maximal 25 Prozent gedeckelt und der Solidaritätszuschlag für Reiche gestrichen werden.
Die Kritik an der »Agenda 2030« ließ nicht lange auf sich warten. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bezeichnete die Pläne laut dpa als »Rolle rückwärts«. »Die Herausforderungen der Zeit löst die CDU mit ihrer Agenda nicht«, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell. Kürzungen beim Bürgergeld hätten keinen mobilisierenden Effekt auf dringend benötigte Fachkräfte. Und eine wöchentliche statt einer täglichen Höchstarbeitszeit sei »nichts anderes als eine Attacke auf die Beschäftigten«. Die Steuerentlastungen kämen vor allem Spitzenverdienern zugute und würden den Bundeshaushalt mit bis zu 100 Milliarden Euro belasten. Für versprochene Investitionen in Bildung, Sicherheit und Infrastruktur fehle angesichts der »Schuldenbremse« das Geld.
Die Nochregierungspartei Bündnis 90/Die Grünen bezeichnete die CDU-Agenda als »Rückwärtskurs, der Innovation, Arbeitsplätze und den Klimaschutz aufs Spiel setzt«, zitierte AFP die Fraktionschefin Katharina Dröge. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, beurteilte laut dpa die Steuerbefreiung für zusätzliche Einkommen von Rentnern als »kluges Element«. Doch sei der »Dreiklang von geringeren Steuern, höheren Investitionen und weniger Schulden ein Widerspruch in sich und erfordert die Quadratur des Kreises«.
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