Kindersoldaten weiter Thema
Von Sara Meyer, Bogotá
Insgesamt 297 Fälle von rekrutierten Minderjährigen sind in Kolumbien 2024 gemeldet worden, 37 Prozent davon Mädchen. Wie aus den Zahlen der Ombudsstelle der kolumbianischen Regierung hervorgeht, ist außerdem mehr als die Hälfte der Zwangsrekrutierten Teil der indigenen Bevölkerung und acht Prozent sind afrokolumbianischer Herkunft. Dass indigene und afrokolumbianische Kinder besonders gefährdet sind, wird auch deutlich, wenn man bedenkt, dass Indigene nur drei Prozent der Gesamtbevölkerung stellen und Afrokolumbianer etwa 13 Prozent.
Mit 214 Fällen allein in Cauca fanden sieben von zehn Zwangsrekrutierungen laut dem Bericht der Ombudsstelle in der südwestlichen Region statt. Das Gebiet hat, verglichen mit anderen Landesteilen, sehr viele indigene Einwohner. Doch dass die offiziellen Zahlen weit unter den tatsächlichen liegen könnten, legen Berichte des Regionalrats der Indigenen des Cauca dar. Sie sprechen von mindestens 800 zwangsrekrutierten Kindern seit 2017, die Mehrzahl davon sei weiblich gewesen. Einer der jüngsten Fälle ist der eines 15jährigen Jungen. Er wurde am 21. Dezember getötet, als er versuchte, vor den FARC-Dissidenten zu fliehen, die ihn in dem Dorf La Hacienda in der Region Cauca rekrutiert hatten. Mindestens 20 weitere solche Morde an Kindern und Jugendlichen hat es im vergangenen Jahr gegeben.
In Cauca befindet sich die Micayschlucht, ein Gebiet, das seit Jahrzehnten für den Kokaanbau genutzt wird und geografisch günstig nahe den Meeresrouten für den Drogentransport ins Ausland liegt. Die Region ist umkämpft, mindestens sieben bewaffnete Gruppen und Drogenkartelle ringen um die Vorherrschaft. Neben dem Drogengeschäft verdienen sie ihr Geld durch den illegalen Abbau von Kohle, Nickel, Smaragden und Gold, die häufig für den Export bestimmt sind.
In Zusammenarbeit mit den Gemeinden hat die Ombudsstelle jüngst eine Erhebung durchgeführt. Diese hat gezeigt, dass die bewaffnete Gruppe mit dem höchsten Anteil an Zwangsrekrutierungen mit etwa 78 Prozent FARC-Splittergruppen waren, die sich dem Friedensabkommen von 2016 nicht angeschlossen hatten. Die Nationale Befreiungsarmee (ELN) und demobilisierte Paramilitärs sowie kriminelle Banden seien für die übrigen Zwangsrekrutierungen verantwortlich.
Indigene Gemeinschaften bleiben gegenüber den Zwangsrekrutierungen nicht untätig: Die Indigene Wache, eine friedliche Verteidigungstruppe mit 400 Mitgliedern, konnte im vergangenen Jahr 73 verschwundene Kinder zurückbringen. Außerdem nimmt sie Gespräche mit den Anführern bewaffneter Gruppen auf, warnt die Bevölkerung und hilft den Familien.
Zwischen 2013 und 2022, so die kolumbianische Regierung, sind über 2.000 Kinder und Jugendliche aus bewaffneten Gruppen ausgetreten. Doch diese Zahlen zeigen nur einen Bruchteil der Realität. Die tatsächliche Dimension des Problems bleibt durch hohe Dunkelziffern, die verbreitete Angst in den betroffenen Gemeinschaften und das Schweigen, das daraus resultiert, im Verborgenen. Hinzu kommen neue Methoden, wie der Einsatz sozialer Netzwerke zur Anwerbung von Minderjährigen, die das Problem weiter verschärfen und die Bekämpfung erheblich erschweren.
Kindersoldaten werden laut UNICEF nicht nur zum Dienst an der Waffe eingesetzt, sondern auch als Boten, Wachen, zum Kochen, als menschliche Schutzschilde und für sexuelle Dienste missbraucht. Die Vereinten Nationen zählten 2023 weltweit 8.655 bekanntgewordene Fälle von Rekrutierungen oder Einsatz von Kindersoldaten. Laut dem UN-Bericht 2023 wurden die meisten Kindersoldaten nachweislich in Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo, Myanmar, Syrien, Nigeria, Somalia und Mali eingesetzt. UNICEF bezeichnete das Jahr 2024 »als eines der schlimmsten für Kinder in Konfliktsituationen«. Weltweit leben derzeit über 473 Millionen Kinder – mehr als jedes sechste Kind – in Konfliktgebieten.
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