»Eine Bedrohung für uns alle«
Am Sonnabend diskutierte junge Welt-Chefredakteur Nick Brauns mit Ulrike Eifler (Sprecherin BAG Betrieb und Gewerkschaft, Vorstandsmitglied der Partei Die Linke), Mark Ellmann (Mitglied der DKP-Friedenskommission und der GEW), Petra Erler (Mitglied der SPD, ehemalige Staatssekretärin in der Regierung de Maizière) und Willem (Rheinmetall entwaffnen) zum Thema »Kriegstüchtig? Nie wieder! Wie stoppen wir die Aufrüstung in Deutschland?« Wir dokumentieren an dieser Stelle das Podiumsgespräch in Auszügen. (jW)
Nick Brauns: Das Thema der heutigen Podiumsdiskussion lautet »Kriegstüchtig. Nie wieder. Wie stoppen wir die Aufrüstung in Deutschland?« Nun ist es bald drei Jahre her, dass ein sozialdemokratischer Kanzler ohne große gesellschaftliche Debatte eine Zeitenwende ausgerufen hat. Was diese Zeitenwende bedeuten sollte, machte dann im letzten Jahr Boris Pistorius deutlich, als er sagte, »wir müssen bis zum Jahr 2029 kriegstüchtig sein«. Gemeint ist ein direkter Krieg gegen Russland. Denn der NATO-Stellvertreterkrieg gegen Russland läuft ja schon längst. Und jetzt gerade erleben wir einen Rüstungswettlauf. Aufrüstung ist direkte Kriegsvorbereitung und sie geschieht auf Kosten vor allem der arbeitenden Bevölkerung. Die arbeitenden Klassen haben in dieser Zeitenwende nichts zu gewinnen, aber alles zu verlieren. Was bedeutet die Zeitenwende mit dem Ziel der Kriegstüchtigkeit für die Arbeitswelt?
Ulrike Eifler: Die Zeitenwende ist vor allem ein Frontalangriff auf die Interessen der abhängig Beschäftigten, ein Frontalangriff auf die Welt der Arbeit. Wie sagte Rosa Luxemburg? »In Kriegen steigen die Dividenden und die Proletarier fallen.« Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Es sind nicht die Söhne und Töchter der Oligarchen, die in den Schützengräben kämpfen, sondern es sind die Söhne und Töchter unserer Kolleginnen und Kollegen. Es ist die arbeitende Bevölkerung, die in die Kriege geschickt und dort auch verheizt wird. Die Zeitenwende wird von den abhängig Beschäftigten bezahlt. Sie sollen den Gürtel enger schnallen, heißt es. 3,5 Prozent des BIP für die Militarisierung, dafür aber keine Kindergrundsicherung. In dieser Atmosphäre werden gewerkschaftliche Kämpfe schwieriger. Gleichzeitig erleben wir, dass die Zeitenwende ein riesiges Umverteilungsprogramm ist. Ein einziger Panzer kostet 27,5 Millionen Euro. Ein einziger Schuss des neuen Panzerabwehrsystems der Bundeswehr kostet 100.000 Euro. Die Bundesregierung hat eine ganz klare Vorstellung davon, wo das Geld für solche Anschaffungen hergeholt werden soll, das steht nämlich in der nationalen Sicherheitsstrategie. Die Rede ist da von Umverteilung im Haushalt, und das heißt: Kürzungen bei anderen Etatposten. Das Rentenniveau soll eingefroren werden, der Angriff auf die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall hatte jüngst einen Testlauf, die Kindergrundsicherung ist vom Tisch. Es wird gespart werden, bis es quietscht, um die Zeitenwende zu finanzieren. Insbesondere dann, wenn Friedrich Merz Bundeskanzler wird. Im übrigen wird die Zeitenwende den Klimawandel beschleunigen. Eine Flugstunde des »Eurofighters« oder der F-35 stößt mehr CO2 aus, als jeder einzelne von uns im Jahr verursacht. Und Zeitenwende heißt auch Angriff auf die Demokratie und auf die betriebliche Mitbestimmung. Die Grundrechte werden eingeschränkt. Die Bundesregierung hat Anfang September ein Gesetz vorgelegt, wonach die Anwendung der Notstandsgesetze erleichtert werden soll. Demgemäß können alle Frauen zwischen 18 und 50 zwangsverpflichtet werden, in den zivilen Sanitätsdienst einzutreten. Diese Notstandsgesetzgebung ist eine elementare Bedrohung für die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben, für uns alle.
Brauns: Die DKP spricht von einem militaristisch-reaktionären Staatsumbau. Wo besteht da der Zusammenhang zwischen der Forderung nach Kriegstüchtigkeit? Was hat die Zeitenwende mit dem Abbau von Grundrechten zu tun?
Mark Ellmann: Der deutsche Imperialismus hat bereits vor fünf Jahren damit angefangen, die Grundrechte einzuschränken. Das stand vor dem Hintergrund, dass Deutschland wieder Führungsmacht werden sollte. Wir wollen die Triebkräfte dieses Umbaus deutlich machen. Und es gibt weitere Beispiele für diesen Umbau, etwa die neuen Polizeigesetze in den Bundesländern. Während der Pandemie wurden gleichsam über Nacht die Grundrechte eingeschränkt. In Bayern hat es ein Dreivierteljahr gedauert, bis sich im Landtag mal irgendeine Opposition kritisch geäußert hat. Doch die Zeitenwende stellt eine neue Qualität dar, und zwar deshalb, weil die Herrschenden für ihre kriegerische Auseinandersetzung mit Russland und China rüsten. Überall ist inzwischen die Bundeswehr sichtbar. Das THW wurde kaputtgespart, die Bundeswehr springt beim Katastrophenschutz ein. Großflächige Werbung der Bundeswehr im städtische Raum, an Hauswänden, auf Straßenbahnen und so weiter. In Bayern sind Schulen verpflichtet, die Bundeswehr Werbung unter Schülern machen zu lassen. Neben den erwähnten Gesetzesänderungen ändert sich natürlich auch der öffentliche Diskurs. Da geht die Rede von Lumpenpazifisten, wenn die Waffenlieferungen an die Ukraine kritisiert werden. Ich erlebe, dass sich Freunde und Kollege kaum mehr trauen, ihren kritischen Standpunkt zu artikulieren.
Brauns: Die Aufrüstung der Bundeswehr wird mit der Behauptung begründet, dass Russland eine Gefahr für die NATO-Staaten und speziell auch für Deutschland darstelle. Was entgegnen Sie denjenigen, die sagen, wir brauchen die Hochrüstung, um ein aggressives Russland zu stoppen?
Petra Erler: In dem Buch, das ich zusammen mit Günter Verheugen verfasst habe, stellen wir uns gegen das Narrativ, dass Russland quasi genetisch bedingt aggressiv und imperial agiert. Statt dessen hat der Westen die große Chance der Jahre 1989 bis 1991 verpasst, diese Welt im Sinne der Vereinten Nationen in Ordnung zu bringen, eine Ordnung, in der die Menschheit gemeinsam ihre großen kollektiven Probleme in Angriff nimmt. Das widersprach dem erklärten Willen der USA, die sich als einzig verbliebene Supermacht nun ausersehen fühlten, die Welt zu dominieren, und die einen extrem militaristischen Kurs eingeschlagen haben, den mit der Zeitenwende nun auch die Bundesrepublik Deutschland einschlägt. Wir leben in einer irre gewordenen Welt, in der uns einzig das Versprechen, niemals Atomkriege führen zu wollen, noch vom Untergang trennt. Dabei gibt es Leute, die sagen, vielleicht lässt sich ja doch ein begrenzter Atomschlag riskieren. Da sind ferner der Klimawandel, die großen Umweltprobleme, und seit Jahrzehnten tut sich nichts. Da sind die großen Probleme von Armut und Migration, verursacht durch kriegerische Konflikte. Da sind die Multimilliardäre, die aufgrund ihres Vermögens erheblichen Einfluss auf die Politik nehmen; nicht im Interesse von Arbeitern, Rentnern, jungen Müttern und kleinen Kindern, sondern im eigenen Interesse der Vermögensanhäufung. Die Frage, die wir heute diskutieren, ist also nicht nur ein deutsches Problem. Wir sind Teil einer Menschheit und das müssen wir begreifen. So unterschiedlich wir auch sind, wir werden es nur gemeinsam schaffen oder wir gehen gemeinsam unter.
Brauns: Reden wir über die Rüstungsindustrie. Welche Rolle spielt sie, was macht Rheinmetall unter den Rüstungsschmieden so besonders?
Willem: Rheinmetall ist der größte deutsche Rüstungskonzern. Rheinmetall war im Zweiten Weltkrieg ein großer Waffenproduzent und hat sich in den Jahren danach reingewaschen. In der öffentlichen Wahrnehmung ist der Konzern sein Schmuddelimage inzwischen losgeworden. Rheinmetall-Arbeiter geben Interviews und sagen, sie freuen sich, dass ihre Arbeit endlich anerkannt wird. Dennoch steht Rheinmetall nur stellvertretend für alle Rüstungskonzerne, für die fortschreitende Militarisierung, für den industriell-militärischen Komplex insgesamt. Und dagegen richten sich unsere Aktionen. Die Rüstungskonzerne spielen eine enorme Rolle. Rheinmetall baut Waffen in der Ukraine, in Litauen und weltweit in 28 Ländern. Rheinmetall hat also einen Einfluss auf den Krieg in der Ukraine. Auch in Gaza stößt man immer wieder auf Reste von Waffen, die von Rheinmetall stammen. In der Türkei, in Syrien, in Kurdistan, überall hat Rheinmetall seine Finger im Spiel, aber natürlich auch die anderen deutschen Rüstungskonzerne. Wir von der Initiative »Rheinmetall entwaffnen« machen vor den Toren der Waffenschmieden Aktionscamps und wollen so die Rüstungsindustrie effektiv blockieren. Zwar nur für ein paar Tage, aber damit setzen wir ein Zeichen: In Deutschland werden Waffen produziert, mit denen weltweit gemordet wird.
Brauns: Wie steht es um den Antimilitarismus in der Partei Die Linke? Wie verhält sie sich in der Friedensfrage? Das Bündnis Sahra Wagenknecht scheint da in vielen Fragen viel konsequenter als Die Linke aufzutreten.
Eifler: Die Linke wird von der Friedensbewegung immer weniger als Friedenspartei wahrgenommen. Das hat zu tun mit bestimmten Entscheidungen, die in der jüngsten Vergangenheit getroffen wurden. Und das hat auch etwas zu tun mit der Schwerpunktsetzung im jetzigen Wahlkampf. Wenn alle Parteien über Kanonen statt über Butter reden, die SPD vielleicht noch über Kanonen und Butter, ist es Aufgabe der Linken, auch über die Kanonen zu reden und nicht nur über die Butter. Ich halte es für einen großen strategischen Fehler, dass Die Linke sich vor dem jetzt anlaufenden Bundestagswahlkampf dazu entschlossen hat, dies nicht in der notwendigen Schärfe zu thematisieren. Eine zögerliche Linke schwächt die Friedensbewegung. Die Friedensbewegung hat seit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999, den die rot-grüne Bundesregierung mitgeführt hat, kein organisatorisches Rückgrat mehr. Aufgabe von Die Linke, schließlich war das ja auch Konsens bei der Parteigründung 2004, sollte jedenfalls sein, sich klar gegen Kriege zu positionieren. Es sollte selbstverständlich für eine linke Partei sein, sich sehr klar als Teil der Friedensbewegung zu verstehen. Das zögerliche Verhalten der Partei hat ihre Ursachen. Linke Parteien sind immer in die Krise geraten, wenn es große Kriege gegeben hat. Man denke an das Jahr 1914, man denke an den Vietnamkrieg, an den Kosovo-Krieg. Irrtümer gab es immer. Wir sind alle tagtäglich dem ideologischen Dreck ausgesetzt. Eines möchte ich aber noch sagen. Die Partei Die Linke befürwortet diese Zeitenwende nicht, sie befürwortet auch kein Zwei-, Drei- oder Fünf-Prozent-Ziel in der Aufrüstung und auch nicht die 100 Milliarden Euro Sondervermögen. Da äußert sie Kritik. Und es gibt viele Genossinnen und Genossen, die wollen, dass Die Linke, dass ihre Partei sich stolz und selbstbewusst in die Friedensbewegung einreiht.
Brauns: Petra Erler, Sie gehören der SPD an und haben in den letzten Jahren gemeinsam mit Günter Verheugen mehrere Aufrufe und Appelle unterschrieben, die zur Beendigung des Krieges in der Ukraine durch diplomatische Maßnahmen aufrufen. Es gibt also auch innerhalb der SPD noch Stimmen der Vernunft. Gleichzeitig stellt Ihre Partei den Kanzler, der die Zeitenwende ausgerufen hat, und den Verteidigungsminister, der uns kriegsfähig machen will. Ihr Genosse Ralf Stegner erntete dementsprechend bei der Friedenskundgebung am 3. Oktober in Berlin viel Häme für seine Aussage, die SPD sei stets eine Friedenspartei gewesen. Da erinnerten einige an 1914, andere an 1999, also den Kosovo-Krieg, den ersten Angriffskrieg in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Haben Sie noch Hoffnung, dass die SPD tatsächlich eine friedenspolitische Rolle spielen kann? Oder ist sie nicht selbst längst Teil des Problems geworden?
Erler: Ich habe aufgrund der Umfragen in der Bundesrepublik Deutschland die begründete Hoffnung. Es muss in allen Parteien eine Diskussion darüber stattfinden, wie wir aus der gegenwärtigen Unsicherheitslage herauskommen. Es stimmt ja, dass wir seit dem 24. Februar 2022 mit einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf Teile der Ukraine konfrontiert sind. Ich sage Teile der Ukraine, weil zwei abtrünnige Donbassrepubliken auf der russischen Seite kämpfen. Insofern ist es nicht nur ein Stellvertreterkrieg, es ist auch ein Bruderkrieg und die Fortsetzung dieses Krieges seit 2014. Wenn wir jetzt in Europa nach 1999 und der Bombardierung Serbiens wieder Krieg haben, dann ist es die gottverdammte Pflicht aller, diesen Krieg so schnell wie möglich zu beenden. Trotz Zeitenwende war der Bundeskanzler anfangs für eine Verhandlungslösung. Er will das heute nicht mehr wissen. Wir waren nahe daran in Istanbul, bis zum 15. April. Wer hat denn den Frieden nicht gewollt? Es war nicht Putin, es war der Westen. Allen voran waren es die Amerikaner und die Briten, die gesagt haben: Es ist zu früh. Seitdem ist alles, was in diesem Krieg passiert, nicht allein mehr nur Putins Schuld. Es ist auch unsere Mitschuld. Wer weiß, wie viele Ukrainerinnen und Ukrainer mittlerweile gefallen sind? Sind es 30.000 oder 40.000, von denen Selenskij spricht? Sind es vielleicht eine Million Verwundete oder Getötete? Wie können wir da mit ruhigem Gewissen zugucken? Bei uns herrscht immer noch die Ansicht: Jeder tote Russe ist ein Gewinn, weil sich ja herausgestellt hat, dass sich dieser Krieg in Wahrheit gar nicht um die Ukraine dreht. Er geht in Wahrheit gegen Russland. Dessen strategische Schwächung, dessen potentielle Zerschlagung ist das Kriegsziel. Wer das mitträgt, und derzeit ist es die Mehrheit des Bundestags, aber nicht die Mehrheit in der Bevölkerung, der muss wissen, dass er uns an den Rand des Atomkrieges bringt. Und dann haben wir noch 20 Minuten Zeit und sind hoffentlich in der Nähe derer, die wir noch mal in den Arm nehmen wollen. Denn danach ist alles vorbei. Das ist eine unverantwortliche Politik. Meine Partei ist die Partei von Willy Brandt, die Partei der Entspannungspolitik, und eben die fordere ich wieder ein, so wie viele andere auch.
Brauns: Nun hört man auch von Seiten der AfD Stimmen, die sich sehr deutlich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und gegen den NATO-Kriegskurs aussprechen. Die AfD versucht sich als Friedenspartei darzustellen und hat damit, wie die Wahlergebnisse in den östlichen Bundesländern zeigen, offensichtlich einigen Erfolg. Wie glaubwürdig ist denn die AfD als Friedenspartei? Man hört ja mitunter sogar Stimmen, die sagen, auch wenn wir sonst das Programm dieser Partei völlig ablehnen, müssen wir doch in der Friedensfrage mit ihnen zusammengehen.
Ellmann: Weil AfD-Politiker Positionen äußern, die dem ähneln, was wir als Friedensbewegung fordern, heißt das noch lange nicht, dass wir als Friedensbewegung die Position der AfD teilen oder in irgendeiner Form rechtsoffen sind, wie uns das die Medien erzählen wollen. Aber im Gegensatz zu allen anderen parlamentarischen Parteien spricht die AfD – neben ihrer ganzen rassistischen und völkischen Hetze – Zusammenhänge an, die existieren. Vorhin wurde erwähnt, dass die Preise durch die Energiepolitik der Regierung gestiegen sind. Das spricht die AfD an, und es wird dadurch nicht falsch, dass sie es ist, die das tut. Dass Menschen auf die AfD reinfallen, ist dramatisch. Wir müssen daher die AfD als das entlarven, was sie wirklich ist: eine völkische und nationalistische Formation mit einem starken faschistischen Flügel, die an allen Ecken und Enden für deutsche Aufrüstung eintritt. Das ist nicht kompatibel mit der Friedensbewegung. Zu behaupten, die AfD sei eine Friedenspartei, ist plumpe Propaganda, um die Friedensbewegung zu diskreditieren. Am Ende ist die AfD doch nur eine Alternative für das herrschende Monopolkapital in diesem Land und dessen Großmachtambitionen. Unsere Kritik sollte sich an den Klassenpositionen der AfD abarbeiten. Aber eines noch: Ich finde es wichtig, dass wir nicht in das Geheule der Herrschenden einstimmen, die AfD würde deutsche Interessen verraten, wie es bei der letzten EU-Wahl hieß. Das ist nicht unsere Klassenposition, von der aus wir die AfD kritisieren. Wir kritisieren sie dafür, dass sie Fleisch vom Fleische der CDU ist. Die AfD ist keine Friedenspartei, sie ist der Stichwortgeber für die reaktionäre Regierungspolitik in diesem Land.
Brauns: Die Angst vor dem Krieg, aber auch die Sorgen um die sozialen Folgen der Hochrüstung und des Wirtschaftskrieges gegen Russland setzen sehr unterschiedliche Milieus in Bewegung. Gerade im Osten reichen die Antikriegsproteste oft bis in weit rechts stehende Milieus. Umgekehrt haben wir die absurde Situation, dass bellizistisch gewendete Liberale und Grüne und selbst einige ehemalige radikale Linke oder Teile der Antifa die Friedensbewegung insgesamt als rechts oder rechtsoffen diffamieren wollen. Wie sollen linke Kriegsgegner und Antimilitaristen in so einer Gemengelage agieren?
Willem: Diese Gemengelage rührt daher, dass es sowohl in der Linken als auch in der Friedensbewegung eine gewisse Orientierungslosigkeit gibt. Die Linkspartei tut nicht das, wofür sie mal angetreten ist. Sie stiftet keine Orientierung in der Friedensbewegung. Wir haben Rechte, die sich – gepusht durch den medialen Diskurs – als Anti-Establishment- und als Antikriegskräfte darstellen. Zugleich war die Friedensbewegung ja noch nie eine homogene Bewegung. Die Friedensbewegung, die ich kenne, geht von K bis K, also von Kirche bis Kommunismus. Für uns ist wichtig, dass wir eine Klassenposition in sie hineintragen. Die arbeitende Klasse hat kein Interesse am Krieg. Dann gibt es die alte Losung von Karl Liebknecht: Der Hauptfeind steht im eigenen Land. Und da werden dann die Unterschiede deutlich. Denn es sind nicht die US-Konzerne allein, die diesen Krieg führen. Nein, es sind deutsche Konzerne, Konzerne, gegen die wir hier vor Ort vorgehen können. Das ist der Unterschied zur AfD und anderen Rechten: Der Feind ist hier bei uns. Grundsätzlich würde ich sagen, dass es unsere Aufgabe ist, eine antikapitalistische Orientierung in die Friedensbewegung hineinzutragen und deutlich zu machen, dass der Krieg dem Kapitalismus inhärent ist. Einen wirklich langfristigen Frieden kann es nur in einer Gesellschaft jenseits von Lohnsklaverei und Kapitaldiktatur geben. Die radikale Linke ist in weiten Teilen umgekippt. Es gibt Leute, die fordern Waffenlieferungen an die Ukraine oder unterstützen Israel beim Krieg in Gaza. Dagegen wenden wir uns bei »Rheinmetall entwaffnen«. Bei uns gibt es sehr viele unterschiedliche Akteure, aber es gibt klare, feste Prinzipien: internationale Solidarität, Antikapitalismus, das Einstehen gegen Waffenlieferungen und für einen langfristigen Frieden. In den entscheidenden Fragen, in der Solidarität mit Kurdistan und mit Palästina sowie in der Hauptfeindfrage sind wir uns einig.
Brauns: Nun droht uns ab 2026 die Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen. Welche Gefahren ruft das hervor? Und was müsste eigentlich geschehen, um das noch zu verhindern?
Erler: 2017 sind in den USA die Grundsatzbeschlüsse zu der Stationierung gefasst worden. Lange vor dem Ukraine-Krieg, lange vor der einseitigen Kündigung des INF-Vertrags über Mittelstreckenwaffen durch die Amerikaner. Die Russen sind damals nachgezogen. Alle Vermittlungsversuch sind seinerzeit gescheitert. Die Außenminister der Europäischen Union wollten diesen Vertrag behalten. Aber die NATO hat es nun mal so gewollt, weil es in der NATO einen Primus inter pares gibt, und das sind die USA. Was wir tun, ist das Nachvollziehen amerikanischer Beschlüsse. Nicht mehr und nicht weniger. Wir sind wie Knechte. Ich hätte schon erwartet, dass in einer so weitreichenden Frage wie der Stationierung von Angriffswaffen auf unserem Territorium – denn es geht ja nicht um Verteidigung, es geht um Angriff – eine öffentliche Diskussion stattfindet, zumindest im Bundestag. In den US-Medien kann man die Gründe dafür lesen, warum diese Waffen stationiert werden sollen. Da geht es nicht um russische Waffen in Kaliningrad. Da geht es darum, dass die US-Armee aktuell weltweit nicht mehr überall so handeln kann, wie sie das gerne möchte. Weil nämlich China und Russland territoriale Verteidigungssysteme aufgebaut haben. Die will die amerikanische Armee knacken. Da kann man dann Kaliningrad einnehmen und ist rasch in Sankt Petersburg. Und es wird nicht bei diesen Waffen bleiben, es wird sich weiter hochschaukeln. Erinnern wir uns, wie es im Fall der Ukraine war. Am Anfang waren es Helme, dann Patronen, dann Panzer. Nur bei Taurus steht der Bundeskanzler noch gerade, weil wir glücklicherweise schwatzhafte Generäle hatten, die geäußert haben, dass das einer direkten deutschen Kriegsbeteiligung gleichkomme. Verdammt noch mal, wissen wir wirklich nicht mehr, was wir im Zweiten Weltkrieg in der Sowjetunion angerichtet haben?
Brauns: Welche Initiativen gibt es denn momentan in den Gewerkschaften, um in Sachen Hochrüstung Druck zu machen?
Eifler: Die Debatte in den Gewerkschaften ist natürlich nicht einfach. Das hat auch damit zu tun, dass wir einen sozialdemokratischen Bundeskanzler haben und die Gewerkschaften in den Regierungskurs integriert sind. Es gibt aber eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen, die eine Debatte darüber führen, dass die Gewerkschaften Teil der Friedensbewegung sein müssen und die auch die Stationierung von Mittelstreckenraketen ablehnen. Die war schon ein Fehler, als Trump noch nicht gewählt war. Mit Trump allerdings, der Grönland bedroht, der Dänemark bedroht, der das NATO-Zwei-Prozent-Ziel auf fünf Prozent erhöhen will, steht ein Wahnsinniger an der Spitze der USA. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen erwarten, dass die Bundesregierung daraus ihre Schlüsse zieht und die Stationierung der Mittelstreckenraketen rückgängig macht. Die Friedensfrage spielt in den Gewerkschaften durchaus eine Rolle. Wir haben die gewerkschaftspolitische Friedenskonferenz vor zwei Jahren in Hanau organisiert. Wir haben sie letztes Jahr in Stuttgart wiederholt, jeweils in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Auch in diesem Jahr wird es wieder eine solche Gewerkschaftskonferenz für den Frieden geben, im Juli in Salzgitter. Die Gewerkschaften sind unersetzlich für die Friedensbewegung. Nur durch die Gewerkschaften wird die Friedensbewegung breiter.
Ellmann: Ich glaube auch, dass wir diese Auseinandersetzung letztendlich wieder in die Betriebe tragen müssen. Ich komme aus München, dort haben die GEW und Verdi zusammen mit dem Friedensbündnis am 12. Oktober zum Protest aufgerufen: »Soziales rauf, Rüstung runter«. Das ist ein wichtiges Signal. Wir müssen die soziale Frage mit dieser Kriegspolitik verbinden, auch mit Blick auf die Tarifrunde im öffentlichen Dienst zum Beispiel. Was wollen wir denn da groß rausholen, wenn wir weiterhin die Füße stillhalten?
Am Mittwoch, 29. Januar in junge Welt: Beilage »30. Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz« mit den Beiträgen der Referenten
Ende März erscheint die Broschüre zur Konferenz.
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