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Aus: Ausgabe vom 14.01.2025, Seite 10 / Feuilleton
Kino

Im globalen Dorf

München 1972, als die ganze Welt live ins Fernsehen kam: Tim Fehlbaums Spielfilm »September 5«
Von Holger Römers
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Der Blick auf die Welt aus dem Regieraum

Das einzige Mal, dass die Kamera in »September 5« für einen Moment das Tageslicht einfängt, wirkt der Sonnenschein sogleich blendend. Leichte Überbelichtung macht dann um so deutlicher bewusst, dass die Handlung dieses Dokudramas sich ansonsten fast nur im schummrigen Regieraum eines provisorischen Fernsehstudios sowie in angrenzenden Kammern und Fluren abspielt. Als der Protagonist Geoffrey Mason (John Magaro) zu Beginn auf dem Weg zur Arbeit zu sehen ist, ist es draußen ebenso nachtdunkel wie zum Schluss, wenn dieser Mitarbeiter des US-amerikanischen TV-Senders ABC die Rückfahrt in ein Münchner Hotel antritt.

In der Zwischenzeit leitet Mason eine jener TV-Live-Übertragungen, die 1972 bei Olympischen Spielen erstmalig weltweit (konkret in 98 Ländern) angeboten wurden. Diesen medienhistorischen Aspekt hebt die Anfangssequenz hervor, indem sie in Form eines vermeintlich zeitgenössischen Fernsehbeitrags die technischen Bedingungen dieser Berichterstattung beleuchtet. Damit etabliert Regisseur Tim Fehlbaum, der als Koautor des Drehbuchs unter anderem auf die Erinnerungen des realen Vorbildes seiner Hauptfigur zurückgriff, eine fruchtbare Binnenperspektive, aus der sich die Eigen-dynamiken des Fernsehgeschäfts samt seiner (betriebs-)blinden Flecken subtil reflektieren lassen. Entsprechende Aspekte kommen freilich um so prägnanter zur Geltung, da die Handlungszeit, auf deren Datum der Filmtitel anspielt, das Attentat auf die israelische Mannschaft der Olympischen Spiele in München umfasst.

Bevor Mason und sein Vorgesetzter Roone Arledge (Peter Sarsgaard) von den Entführungen und Morden in der Unterkunft der israelischen Olympioniken erfahren, sind sie mit der Wahl eines schmissigen Slogans beschäftigt, um dem heimischen Publikum einen anstehenden Boxkampf zwischen einem US-Amerikaner und einem Kubaner schmackhaft zu machen. »Wie wär’s mit: ›Der Kalte Krieg heizt sich wieder auf‹? Oder: ›Kuba feuert eine Rakete auf Amerikas Hoffnungsträger‹?« Und Arledge diskutiert mit Studioleiter Marvin Bader (Ben Chaplin), inwiefern es geschmacklos ist, einen geplanten Bericht über das KZ Dachau auf eine Sportübertragung folgen zu lassen – selbst wenn man dafür die vielen Siege von Mark Spitz zum Anlass nimmt, die der Schwimmer als Jude »in Hitlers Hinterhof« errungen habe.

Auch wenn das Olympische Dorf, nachdem Schüsse zu hören waren, bald von der Polizei abgeriegelt ist, können sich einzelne ABC-Mitarbeiter heimlich dem nur wenige hundert Meter vom Sendezentrum entfernten Tatort nähern. Doch das dortige Geschehen vermittelt sich dem Kinopublikum wie auch den meisten Filmfiguren bloß durch – teils historische, teils nachgestellte – Bilder, die über Studiomonitore flimmern. Entsprechend schemenhaft bleiben in »September 5« alle Hintergründe der Bluttat sowie deren palästinensische Täter. Das heißt allerdings auch, dass sie der Dramaturgie nicht als die eigentlichen Antagonisten dienen. Für Spannung sorgt indes das Katz-und-Maus-Spiel, das die mehrheitlich US-amerikanischen Journalisten und Techniker, die um eine (mutmaßlich erfundene) deutsche Übersetzerin (Leonie Benesch) ergänzt werden, mit der lokalen Polizei veranstalten, bis die überforderten Beamten schließlich zur Kontrolle des Informationsflusses den Strom kappen wollen. Weitere Konflikte ergeben sich aus der schnöden Konkurrenz mit einem anderen US-Sender sowie mit eigenen Kollegen: CBS macht den turnusgemäßen Wechsel des Zugriffsrechtes auf einen Übertragungssatelliten geltend, während die ABC-Politikredaktion in New York die Kommentierung des Geschehens übernehmen will.

Dieser paradoxen Fokussierung auf Nebensächlichkeiten ist angemessen, dass der 1982 geborene Schweizer Fehlbaum, dessen bisherige Langfilme die Postapokalypse-Genrestücke »Hell« (2011) und »Tides« (2021) waren, die Spannungsdramaturgie maßvoll einsetzt. Zwar suggerieren die engen Bildausschnitte, die Markus Förderer mit einer unaufdringlichen Handkamera einfängt, unablässige Hektik. Aber die präzise Montage von Hansjörg Weißbrich lässt dem hermetischen Geschehen dennoch einen erfreulichen Resonanzraum. So kann diese in München auf Englisch gedrehte deutsche Kinoproduktion, bevor in Dialogen regelmäßig von »den Terroristen« die Rede ist, sogar nüchtern daran erinnern, dass solche wertenden Begriffe im TV-Journalismus der USA lange vermieden wurden.

»September 5« , Regie: Tim Fehlbaum, BRD/USA 2024, 95 Min., bereits angelaufen

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