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Aus: Ausgabe vom 15.01.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Ethecon-Schmähpreis

Amtliche Schmähung

Die junge Welt versteht sich als tägliche Zeitung gegen Krieg und hat damit Erfolg. Das deutsche Establishment reagiert entsprechend
Von Arnold Schölzel
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Als der NATO-Krieg gegen Jugoslawien begann, bezog die junge Welt als einzige deutsche Tageszeitung Position gegen diesen völkerrechtswidrigen Angriff (Titelseite der Ausgabe vom 25. März 1999)

Am 10. Januar übergab die Ethecon-Stiftung Ethik und Ökonomie den Schmähpreis Internationaler ethecon Dead Planet Award 2024 im Rahmen einer Kundgebung vor der Zentrale des Axel-Springer-Konzerns in Berlin. Er wurde von einem Vertreter des Unternehmens in Empfang genommen. Junge Welt war eingeladen, sich im Rahmen der Kundgebung zum Umgang mit der Pressefreiheit in der BRD am eigenen Beispiel zu äußern. Für die Zeitung sprach Arnold Schölzel, Mitglied der Chefredaktion. Wir dokumentieren seinen Text in Auszügen:

Nach dem NATO-Angriffskrieg von 1999 gegen Serbien formulierten wir in der jungen Welt als unser Selbstverständnis: Wir stellen täglich eine Zeitung gegen den Krieg her. Dabei ist es bis heute geblieben. Verändert allerdings haben sich in diesen bald 26 Jahren die Bundesrepublik und die NATO.

1999 bezog die junge Welt als einzige deutsche Tageszeitung die Position: Dieser Krieg ist völkerrechtswidrig und nicht zu rechtfertigen. Bekanntlich benötigte Gerhard Schröder, der damals als Bundeskanzler die deutsche Teilnahme damit rechtfertigte, es handele sich um keinen Krieg, 15 Jahre, um das einzugestehen. Wir waren der Auffassung, dass dieser Krieg nicht zufällig geführt wurde: Die Einflusssphäre des Westens sollte ausgedehnt werden, was bedeutete: Seine Interessen und die Russlands treffen aufeinander, was Weltkriegsgefahr bedeutet. Sie zeigte sich im Beinahe-Zusammenstoß von NATO-Einheiten mit russischen Truppen auf einem serbischen Flughafen – bei damals noch guten Beziehungen zwischen NATO und Russland.

Primakows Umkehr

Die beiden wichtigsten Komponenten der US-geführten Kriege seit dem Ende der Sowjetunion 1991 wurden damals sichtbar: der kaum kaschierte Bruch des Völkerrechts und die Missachtung Russlands. Dem Land, das damals wirtschaftlich und politisch am Boden lag, bedeutete der Westen bereits damals: Ihr erhaltet von uns nichts – keine Anerkennung gleicher Staatenrechte, keine Anerkennung eigener Sicherheitsinteressen. Als US-Präsident Bill Clinton am 24. März 1999 den Bombardierungsbefehl erteilte, befand sich der damalige russische Ministerpräsident Jewgeni Primakow gerade auf einem Flug nach Washington zu Gesprächen. Er ließ das Flugzeug über dem Atlantik umkehren. Das ist bis heute das Symbol für das, was danach kam und die jetzige Weltkriegsgefahr herbeiführte.

Der jungen Welt schlug 1999 eine Welle des Unverständnisses entgegen. Es hieß, die Zeitung stelle sich auf die Seite des »Schlächters vom Amselfeld«, des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic, denn der verübe an den Kosovo-Albanern einen Völkermord. Der Vorwurf war fabriziert. Immerhin deckte das damals nach dem Krieg noch eine WDR-Dokumentation auf: »Es begann mit einer Lüge«. Es war damals noch möglich, die antiserbische Greuelpropaganda von Politikern wie Verteidigungsminister Rudolf Scharping oder Außenminister Joseph Fischer oder erfundene Massaker, die angeblich von Serben verübt worden waren, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu widerlegen.

Zu den Veränderungen in diesem Land seither gehört, dass Ähnliches bereits bei den nächsten Kriegen – dem Feldzug gegen Afghanistan 2001, erst recht aber bei dem gegen den Irak 2003 – undenkbar wurde. Nach den Attacken des 11. September 2001 auf New York und Washington fehlte dazu nicht nur der Mut. Wer die »Landesverteidigung am Hindukusch« als grundgesetz- und völkerrechtswidrig bezeichnete, war raus. Die Medien im Konzernbesitz oder im öffentlich-rechtlichen Sektor sind seither vollständig »embedded« – »eingebettet«. Sie veröffentlichen im wesentlichen nur, was von der Zensur der kriegführenden Armeen genehmigt wird. So war es kein Zufall, dass der erste Bericht über das Foltergefängnis Abu-Ghraib der USA in Bagdad in der kleinen jungen Welt Ende 2003 erschien. Das war, bevor Seymour Hersh 2004 mit seiner Enthüllung über die Zustände dort auf der ganzen Welt Aufsehen erregte.

Krieg verschwiegen

Nach dem von USA und EU finanzierten Putsch in Kiew im Februar 2014 hat sich die Lage in den deutschen Medien erneut zum Negativen verändert. Die junge Welt war die einzige deutsche Tageszeitung, die umfassend über die terroristischen Attacken von ukrainischen Nationalisten und Faschisten auf russischsprachige Ukrainer berichtete und über den als »antiterroristische Operation« von Kiew aus geführten Krieg gegen die Ostukraine. Symbol für ihn war und ist das Verbrennen und Erschlagen von wahrscheinlich weit mehr als 100 Menschen im ehemaligen Gewerkschaftshaus von Odessa am 2. Mai 2014. Von Anfang an wurde dieser Auftakt in den Konzern- und öffentlich-rechtlichen Medien der Bundesrepublik verharmlost, heruntergespielt oder verschwiegen. Für viele Ukrainer ist es bis heute ein Fanal – ebenso wie das Massaker faschistischer Bataillone in Mariupol am 9. Mai 2014, der damals beginnende Artilleriebeschuss von Wohngebieten einer Millionenstadt wie Donezk durch Kiewer Truppen – ein Kriegsverbrechen – oder die Bombardierung von Lugansk am 2. Juni 2014 durch die Luftwaffe. Alle diese Angriffe Kiews haben medial in der Bundesrepublik nicht stattgefunden. Der gesamte Krieg in der Ukraine bis zum Februar 2022 wurde faktisch verschwiegen – außer in der jungen Welt.

Die deutschen Medien ersetzten Berichterstattung durch eine Welle von Russenhass, wie es sie in gleichem Ausmaß zu Beginn des Ersten Weltkrieges, in der faschistischen Bewegung der 20er und 30er Jahre und seit der Ausrufung des Kalten Krieges durch Churchill und Truman 1946/1947 in Westdeutschland gegeben hat. Seit 2022 sind sie unmittelbar Teil des »Cognitive warfare«, wie psychologische Kriegführung der NATO heute heißt. Oskar Lafontaine hatte recht, als er konstatierte, der 24. Februar 2022 markiere das Ende des Journalismus in Deutschland. Er sei durch Propaganda ersetzt worden. Leider vergisst er dabei immer wieder die junge Welt, die weiterhin Gegeninformationen zum Thema Krieg liefert.

Rechtliche Grauzone

Das hat zu einer Entwicklung geführt, die einerseits allen Mut machen sollte, die sich gegen Krieg und all die Zerstörungen, die der Kapitalismus schon im Friedenszustand produziert, wenden. Denn die junge Welt konnte seit 1999 ihre Reichweite erheblich erhöhen. Andererseits missfällt genau das dem deutschen Sicherheitsapparat und dem politischen Establishment. (...) Als die Linkspartei-Abgeordneten Ulla Jelpke, André Hahn und Sevim Dagdelen 2021 von der Bundesregierung per Kleiner Anfrage wissen wollten, warum die junge Welt als einzige Tageszeitung in den Jahresberichten des Bundesamtes für Verfassungsschutz auftauche, erklärte der zuständige Innenstaatssekretär im Bundestag: Es gehe darum, dadurch der Zeitung »den wirtschaftlichen Nährboden« zu entziehen.

In dieser rechtlichen Grauzone bewegt sich der Verfassungsschutz generell, ein hart durchgesetztes Verbot schließt das nicht aus. Auch wenn uns nichts mit dem Neofaschistenblatt Compact verbindet: Dessen Verbot mit Hilfe der Behauptung, es handele sich nicht um eine Zeitschrift, sondern um einen Verein, der dem Vereinsrecht unterliege, ist jetzt in der Welt – wenngleich juristisch vorläufig gescheitert. Der Verfassungsschutz bemüht sich jedenfalls auch im Verfahren, das die junge Welt gegen die Erwähnung im Jahresbericht angestrengt hat, um den Nachweis, dass es sich bei der Redaktion um eine politische Gruppierung handelt, nicht um professionelle Journalisten. Hinzu kommt, dass Begriffe wie »Extremismus« oder »freiheitlich-demokratische Grundordnung« selbst in einschlägigen Handbüchern als »von bedauerlicher Unschärfe geprägt« bezeichnet werden. Die Schwammigkeit hat System. Solange das direkte Verbot aus politischen Gründen als nicht ratsam erscheint, kann der Verfassungssschutz, den es in dieser Form in keinem anderen Land Westeuropas oder Nordamerikas gibt, seiner eigentlichen Funktion nachkommen: Der Jurist Jürgen Seifert hat sie in den 70er Jahren als »hoheitliche Verrufung« glänzend definiert.

Diese Verrufung, also Schmähung, gilt auch der Rosa-Luxemburg-Konferenz. Deren Organisation ist den Juristen des Verfassungsschutzes ein Beleg dafür, dass diese Zeitung keine Zeitung ist. Eine Zeitung gegen den Krieg kann in Kriegszeiten nur durch die Solidarität ihrer Leserinnen und Leser, ihrer Autorinnen und Autoren existieren. Ihnen haben wir zu danken.

Hintergrund: Stiftung und Preise

Die Stiftung Ethik und Ökonomie (Ethecon) verleiht seit 2006 jährlich zwei internationale Preise, einen Positiv- und einen Negativpreis: den Internationalen ethecon Blue Planet Award und den Internationalen ethecon Dead Planet Award.

Die Stiftung geht davon aus, dass die derzeitigen Wirtschaftsprinzipien von privatem Profit, Shareholder value und Gewinnmaximierung eine an den Interessen und Notwendigkeiten von Mensch und Umwelt orientierte Entwicklung verunmöglichen und so den Planeten Erde immer weiter an den Rand des sozialen und ökologischen Ruins treiben. Mit der Gefahr des Untergangs, sollte dieser Prozess nicht gestoppt werden. Nach Meinung von Ethecon ist entsprechend ein grundlegender Wandel, der die Diktatur des Profitprinzips überwindet, zugunsten umweltgerechter und menschenwürdiger Wirtschafts- und Gesellschaftsmodelle dringend erforderlich.

Der Ethecon-Blue-Planet-Award zeichnet den Einsatz für den Erhalt beziehungsweise die Rettung des Planeten Erde aus und soll damit auf Möglichkeiten und Chancen für einen notwendigen Eingriff in den gegenwärtigen Weltenlauf aufmerksam machen. Mit dem Ethecon- Dead-Planet-Award werden Schändung und Ruin des Planeten gebrandmarkt. Seine Verleihung soll die Gefahr eines Systemkollapses, der ökologischen und sozialen Katastrophe verdeutlichen. Grundsätzlich werden mit den beiden internationalen Ethecon-Preisen nur Personen und keine Institutionen ausgezeichnet. Der dahinterstehende Gedanke: Der fortschreitenden und gezielt betriebenen Anonymisierung von Entscheidungen soll entgegengearbeitet werden. Sowohl im Positiven wie auch im Negativen sind es stets Menschen, die Entscheidungen treffen und Verantwortung tragen. Vor allem bei negativen Entwicklungen verstecken sich Entscheidungsträger oftmals hinter der Fassade ihrer jeweiligen Institution und verweisen auf angebliche Sachzwänge, denen solche Entscheidungen geschuldet sein sollen.

Die Trophäe des Dead Planet Award besteht aus einem mit schwarzer Farbe bedeckten Kunststoffglobus, die sich wie ein Ölteppich über den stilisierten Planeten legt. Unter den Preisträgern waren in den vergangenen Jahren Armin Papperger und Ulrich Grillo, stellvertretend für den Rüstungskonzern Rheinmetall, Herbert Diess, Hans Dieter Pötsch, Wolfgang Porsche und Stephan Weil, stellvertretend für den Automobilkonzern Volkswagen, und Jeffrey Preston Bezos, stellvertretend für den Onlineversandhändler Amazon. (jW)

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Norbert S. aus Berlin (15. Januar 2025 um 10:32 Uhr)
    Seit nunmehr rund 60 Jahren lese ich mit kleinen Unterbrechungen meine junge Welt. Sie ist mein ältester täglicher Begleiter in meinem Leben. Für diese Treue liebe ich sie, denn sie begleitete mich vom frühen Morgen an durch helle, sonnige, aber auch graue, trübe und regnerische Tage. In all dieser Zeit erwies sie sich konsequent als engagierte Zeitung im Kampf für den Frieden und gegen die Kriege auf dieser, unserer Erde. Sei es der grausame verbrecherische Krieg der USA gegen Vietnam, Laos und Kambodscha von 1965 bis 1975 unter Einsatz von Agent Orange und Napalm mit Millionen Toten, der systematischen Zerstörung von Fauna und Flora, die Interventionen in Grenada 1983, Libyen 1986, Panama 1989 - die junge Welt stand immer aktiv solidarisch an der Seite der Überfallenen. Sie kämpfte unablässig und unbeirrbar für den Frieden, der Hoffnung unseres Planeten. Und so, wie sie auch immer treu an der Seite der Entrechteten und Unterdrückten dieser Welt stand, Solidaritäts-Kampagnen zum Beispiel für die Befreiung von Angela Davis organisierte, so kann die junge Welt heute gleichfalls fest auf die allseitige Unterstützung ihrer Leser bauen, wenn es um die Einschränkung ihrer gesetzlich zustehenden Rechte im Rahmen der Pressefreiheit geht.

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