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Aus: Ausgabe vom 15.01.2025, Seite 6 / Ausland
Italien

In den Tod gejagt

Ramy Elgaml: Proteste gegen tödliche Polizeigewalt in Italien. Regierung stellt sich hinter Täter
Von Gerhard Feldbauer
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»Wahrheit und Gerechtigkeit für Ramy!« – Demo am Sonnabend in Mailand

Scheiße, er ist nicht heruntergefallen.« Ein in der vergangenen Woche neu veröffentlichtes Video aus einem Auto der italienischen Carabinieri, die den 19jährigen Ramy Elgaml im vergangenen November durch ganz Mailand verfolgten, hat am Wochenende zu erneuten Protesten gegen Polizeigewalt geführt. Das Video zeigt, wie der auf dem Rücksitz des Motorrollers seines Freundes sitzende Ägypter mehrmals von den Einsatzkräften gerammt wird, bis er bei einem »Unfall« am Ende stirbt. Als die Polizisten an ihre Dienststelle melden, die Verfolgten seien gefasst, erhalten sie die Antwort »gut«. Das Vergehen der beiden jungen Männer: Sie hatten an einem Kontrollpunkt nicht angehalten.

»Ganze Kollektive autonomer Zentren, darunter sehr junge Menschen, füllten die Plätze der Revolte«, berichtete ANSA über die Proteste in mehreren italienischen Städten. Ihr gemeinsamer Nenner: »Gerechtigkeit für Ramy ­Elgaml«. In Rom versammelten sich am Samstag abend Hunderte Menschen im Stadtteil San Lorenzo zu einer von linken Parteien und Studentengruppen organisierten Kundgebung. Auch der bekannte Comiczeichner Zerocalcare nahm daran teil. Die Polizisten, gegen die Molotowcocktails und andere Gegenstände geworfen wurden, gingen mit Knüppelattacken gegen die Demoteilnehmer vor. Bei dem Handgemenge sollen acht Polizisten verletzt worden sein. Über Opfer auf seiten der Demonstranten liegen keine Angaben vor.

Die mit dem Fall befassten Mailänder Staatsanwälte ermitteln derzeit gegen den Polizisten am Steuer des Polizeiwagens wegen fahrlässiger Tötung. Gegen zwei weitere Polizisten wird wegen Verfahrensbetrugs und Irreführung sowie Beihilfe ermittelt. Sie sollen einen Zeugen, der die Umstände des Todes Elgamls mit seinem Handy filmte, gezwungen haben, das Video zu löschen. Auch der 22jährige tunesischstämmige Fahrer des Motorrollers, Fares Bouzidi, wird der fahrlässigen Tötung beschuldigt.

Das rechte Regierungslager unter der Führung von Premierministerin Giorgia Meloni hat sich geeint hinter die des Mordes beschuldigten Einsatzkräfte gestellt. Parlamentspräsident Lorenzo Fontana von der Lega übermittelte seine »Solidarität mit den Beamten«. Zudem nutzen rechte Politiker die Proteste, um für die Beschleunigung der Verabschiedung des geplanten »Sicherheitsdekrets« zu werben. Der formal parteilose Innenminister Matteo Piantedosi forderte gar weitere »wichtige zusätzliche Schutzmaßnahmen für die komplizierte Arbeit der Polizei«. Notwendig seien ein verstärkter Rechtsschutz für Einsatzkräfte und schärfere Strafmaße bei Vergehen gegen Vertreter der Polizei.

Im Gros der Medien und Öffentlichkeit wird die tödliche Polizeigewalt dagegen entschieden verurteilt und das Sicherheitsdekret kritisiert. Ilaria Cucchi, Senatsmitglied für das linksliberale Wahlbündnis Alleanza Verdi e Sinistra (Allianz der Grünen und Linken), forderte den Generalkommandanten der Carabinieri, Salvatore Luongo, auf, die beschuldigten Polizisten zu entlassen. Selbst der frühere Polizeichef von Mailand, Franco Gabrielli, verurteilte die Methoden der Carabinieri als übermäßige Kriminalisierung eines Verkehrsdelikts, für das es keine Legitimität gebe. Der Motorroller habe ein Nummernschild gehabt, das hätte notiert werden können.

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