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Aus: Ausgabe vom 15.01.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Wohnungsnot

Toolkit gegen Obdachlosigkeit

Wohnungslosigkeit auf Rekordniveau. OECD vergleicht Strategien gegen Obdachlosigkeit und verspricht Lösungen per Werkzeugkasten
Von Max Ongsiek
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Am Ende der Armutsspirale: In der BRD summierte sich die Zahl wohnungsloser Menschen 2024 auf rund 532.000

Immer mehr Mieter in Deutschland müssen über ein Drittel ihres Einkommens für die Miete ausgeben. Selbst Besserverdiener haben inzwischen erhebliche Probleme, eine Wohnung zu bekommen. Entsprechend gebeutelt sind diejenigen, die eh nichts haben. Vor kurzem veröffentlichte Zahlen lassen aufhorchen: Immer mehr Menschen werden obdachlos. Allein in der BRD lag die Zahl der registrierten Wohnungslosen im vergangenen Jahr bei rund 532.000 Menschen, so der von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Wohnungslosenbericht 2024.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Berlin hat sich Gedanken darüber gemacht, wie hier Linderung geschaffen werden kann: Am Montag stellte sie der deutschsprachigen Öffentlichkeit ein Werkzeugset, ein »Toolkit«, vor, das verspricht, Wohnungslosigkeit effektiv zu bekämpfen. In dem Zusammenhang informierte die Organisation über Strategien zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

26 von 43 Ländern, also mehr als die Hälfte der OECD- und EU-Länder, verfügen bereits über Strategien, um das Problem anzugehen, heißt es im Bericht »OECD-Toolkit zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit« – in Deutschland zum Beispiel in Form des »Nationalen Aktionsplans der Bundesregierung«. Das vom OECD-Politikanalysten Ali Bargu vorgestellte Toolkit gegen Wohnungslosigkeit enthält insgesamt neun Bausteine. Die Schwerpunkte liegen dabei auf den Aspekten »Prävention priorisieren«, »langfristige Sicherung von Wohnraumlösungen (inkl. Housing First)« und »niedrigschwellige, angepasste Serviceangebote«. Was ist damit gemeint?

»Prävention priorisieren« heißt, so Bargu, dass Wohnungslosigkeit erst gar nicht entstehen soll. So sollen zum Beispiel in Schulen Umfragebögen verteilt werden, um auf Kinder aufmerksam zu werden, die von Wohnungslosigkeit bedroht sein könnten. Der »Elefant im Raum«, so Bargu, sei Housing First: Statt einer Notunterkunft soll dem Obdachlosen eine dauerhafte Wohnung ohne bindende Konditionen bereitgestellt werden. Das heißt, Obdachlose müssen vorab keine verpflichtenden Beratungsprogramme in Anspruch genommen oder ihren Drogenkonsum beendet haben. Mit »niedrigschwelligen, angepassten Serviceangeboten« seien »kleine Lösungen« gemeint, die Wohnungslose direkt erreichen. So soll die Stadt Den Haag vor dem Rathaus Briefkästen für die Obdachlosen eingerichtet haben, um sie bei Leistungsansprüchen kontaktieren zu können.

Im anschließenden Expertengespräch wurde deutlich, dass auch Housing First von den Rahmenbedingungen vor Ort abhängt. Veronika Scharer vom Fonds Soziales Wien (FSW) betonte, dass sich dieser Ansatz besonders für Wien eigne, da die Stadt über ein breites Angebot an kommunalem und gefördertem Wohnraum mit bezahlbaren Mieten verfüge. Damit könne der Immobilienpreisentwicklung entgegengesteuert werden. Nina Behlau, Housing First Hamburg, erklärte, die Hansestadt habe den Auftrag erteilt, zunächst 30 Wohnungen innerhalb von drei Jahren zu vermitteln. »Im Sommer 2024 war das Ziel weit vor dem geplanten Ende bereits erreicht, und wir konnten aufstocken«, so Behlau. Kilian Koch, Housing First Zürich, berichtete, die Stadt habe wenig Leerstand, daher sei es grundsätzlich schwierig, in der teuren Stadt eine Wohnung zu finden. Bisher habe man daher noch keine Wohnungen vermitteln können. Die Initiative laufe allerdings erst ein Jahr, mehrere Wohnungen stünden in Aussicht.

Die Diskussion machte deutlich, dass das Kernproblem bleibt: Wie soll Obdachlosen Wohnraum zur Verfügung stehen, wenn dieser knapp und teuer ist – und an diesem Mangel ein gewisses Interesse besteht? So äußerte sich der Stadtplaner Frank Eckhardt am Dienstag im Tagesspiegel: »Für einen Investor macht es keinen Sinn, ein Haus mit fünf Zweizimmerwohnungen zu bauen. Das rentiert sich nicht. Da baut man lieber große Apartmentwohnungen, die man einfacher und schneller vermieten oder verkaufen kann.«

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