Solidarität mit Sahrauis
Von Jakob Reimann, BoujdourAm Ende »kämpfen wir alle gegen einen gemeinsamen Feind«, stellt die sahrauische Aktivistin Najla Mohamed-Lamin klar, »und das ist das kapitalistische System«. Der Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel und die Befreiung der Menschen in der Westsahara gingen beide auf die Notwendigkeit des Kapitalismus zur rücksichtslosen Ausbeutung von Ressourcen zurück, erklärt die Frauen- und Umweltrechtlerin auf dem Sahrawi Solidarity Summit. Die Konferenz mit Teilnehmenden aus 13 Ländern fand vom 4. bis 7. Januar im sahrauischen Geflüchtetencamp Boujdour im äußersten Westen Algeriens statt.
»Die Westsahara ist ein Musterbeispiel für Klimaungerechtigkeit«, betont vor Ort auch Greta Thunberg. Marokko versuche, sein Vorgehen in der Westsahara »grün zu waschen« und zu beschönigen, einschließlich des Baus »ökologisch nachhaltiger« Projekte auf besetztem Land und der Ausbeutung natürlicher Ressourcen ohne Zustimmung der Sahrauis. »Dekolonialisierung ist keine Metapher«, sondern die aktive Praxis der Befreiung unterdrückter Völker, so die schwedische Aktivistin. »Ohne grundlegende Menschenrechte« könne auch nicht über Klimagerechtigkeit debattiert werden.
Anlass der Konferenz im Camp Boujdour war das Ende einer zweieinhalbjährigen Welttour der Aktivisten Sanna Ghotbi und Benjamin Ladraa, die von Schweden aus mit dem Fahrrad durch Dutzende Länder in Europa, Asien und Afrika und bis in die sahrauischen Camps fuhren, um durch Vorlesungen, Workshops und Interviews auf den Befreiungskampf der Sahrauis aufmerksam zu machen.
Die Westsahara gilt als letzte Kolonie Afrikas und wurde nach dem Abzug der spanischen Krone 1975 von Marokko und Mauretanien besetzt, seit 1979 ist sie vollständig unter marokkanischer Kontrolle. Die Kolonialmacht beging Massaker und ließ Phosphorbomben auf fliehende Sahrauis abwerfen, wird Teilnehmenden der Konferenz im Widerstandsmuseum im Camp Rabouni erklärt. Ab 1975 begann im besetzten Gebiet auch eine massenhafte Besiedlung. Marokko errichtete zudem eine über 2.700 Kilometer lange militärische Befestigungsanlage, die mit ihren geschätzt zehn Millionen Sprengfallen als längstes Minenfeld der Welt gilt.
Als Folge der kolonialen Gewalt wurden in der Umgebung der algerischen Stadt Tindouf mehrere Camps für die vertriebenen Sahrauis errichtet. In fünf Distrikten leben rund 180.000 Menschen, die formal von der sozialistischen sahrauischen Befreiungsbewegung Frente Polisario regiert werden, doch die Einwohner organisieren sich zu großen Teilen auch selbst. Trotz der extremen Bedingungen in der Saharawüste konnte in den Camps ein solides Maß an Infrastruktur errichtet werden, erklärt Aktivistin Mohamed-Lamin. Es gibt rund 30 Kliniken, die Alphabetisierungsrate liegt nahe der 100-Prozent-Marke. Dennoch: Ohne internationale Hilfen wären die Camps nicht überlebensfähig. Die Gesellschaft und politische Organisation ist darauf ausgerichtet, eines Tages in die ressourcenreichen besetzten Gebiete zurückzukehren. »Wir werden siegen und unser Land zurückerobern – oder wir werden sterben«, zitiert Mohamed-Lamin ein sahrauisches Sprichwort.
Ein von den Vereinten Nationen gefordertes Unabhängigkeitsreferendum wird seit Jahrzehnten von Marokko blockiert. Rabat habe in der UNO mit den USA und Frankreich »mächtige Freunde«, erklärt der UN-Vertreter der Frente Polisario, Sidi Omar. Diese ermöglichten der Besatzungsmacht überhaupt erst die Missachtung des Völkerrechts. Darüber hinaus profitieren ausländische Konzerne, darunter viele deutsche, von der Ausbeutung der sahrauischen Ressourcen wie Fisch, Sonne und vor allem Phosphat, so Tim Sauer von der NGO Western Sahara Resource Watch.
Der marokkanische Geheimdienst ist für seine harte Repression politischer Gegner berüchtigt, die Menschenrechtslage für Aktivisten in den besetzten Gebieten ist katastrophal, berichtet Mafoud Beshri von der NGO Novact. »Marokko hat viel zu verbergen«, Kritiker würden auf brutale Weise mundtot gemacht. Für Ausländer sei es nahezu unmöglich, aus den Gebieten zu berichten. Auch Aktivist Ladraa berichtet von einer filmreifen Verfolgungsjagd, die er mit dem marokkanischen Geheimdienst erlebt hat. Sahrauischen Aktivisten drohten willkürliche Inhaftierung und Folter, über 50 politische Gefangene seien bekannt. »Marokko lässt sie für ihren Aktivismus teuer bezahlen«, so Beshri auf Nachfrage von jW, was auch für die Familien der Aktivisten gelte. Ihnen wird in der Regel jeglicher Zugang zu inhaftierten Angehörigen verwehrt und Auskunft über deren Verbleib und Wohlbefinden verweigert.
Insgesamt gab es in der Geschichte des Konflikts mehr als 4.500 Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen, berichtet Abdeslam Omar Lahcen von der Menschenrechtsorganisation Afrapredesa. Über Jahrzehnte hinweg habe Rabat diese Praxis kategorisch geleugnet, sah sich 1999 dann auf Druck der UNO jedoch gezwungen einzugestehen, dass 43 der »Verschwundenen« getötet wurden. Einige hundert seien freigelassen worden, während das Schicksal der übrigen Tausenden weiter unbekannt ist. Afrapredesa hat mindestens 15 Massengräber lokalisiert und dokumentiert. Seit dem letzten Aufflammen des Konflikts im November 2020 sollen mindestens 127 Zivilisten durch marokkanische Drohnen getötet worden sein.
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