»Wochenlang fast ohne Trinkwasser«
Von Juliana Rivas, Boujdour
Frauen spielen eine zentrale Rolle in den sahrauischen Geflüchtetenlagern in Algerien. Wie wird das Lagerleben von ihnen organisiert und aufrechterhalten?
Sahrauische Frauen bilden das Rückgrat der Camps. Wir sprechen hier von ursprünglich nomadischen Frauen, die nichts mit Städten oder staatlichen Organisationen und Institutionen zu tun hatten. Durch den Krieg ab 1975 waren sie plötzlich gezwungen, ihr Land zu verlassen und schufen die bis heute bestehenden Strukturen in den Lagern. Die meisten Männer waren im Krieg, so dass sie die Verantwortung übernehmen mussten, Bildung, Gesundheit, soziale Dienste und die Verteilung humanitärer Hilfe zu organisieren. Dadurch erlangten sie eine entscheidende Position in der Gesellschaft, ihre Präsenz wurde gestärkt und ihr Einfluss und ihre Macht wuchsen erheblich. Das setzt sich bis heute fort, denn Frauen verwalten und organisieren sämtliche Lebensbereiche in den Camps. Frauen sind der Hauptgrund, warum der Widerstand trotz der Besetzung nicht verschwunden ist.
Auf dem Sahrawi Solidarity Summit ist die politische Arbeit der Frauen thematisiert worden, auch als Ermutigung, damit sie ihre Stimme erheben und ihr Anliegen in die Welt tragen. Gibt es Beziehungen zu internationalen Frauenorganisationen oder Solidaritätsbewegungen für die Sahrauis?
Obwohl Frauen in der Westsahara eine wichtige Rolle spielen, müssen wir immer noch mit dem Paradoxon leben, dass vorwiegend Männer in Führungspositionen sind. Die sahrauische Frauenunion hat jedoch große Anstrengungen unternommen, damit die Stimme der Frauen international vernommen wird. Sie ist Mitglied vieler internationaler Organisationen und nimmt an internationalen Foren und Konferenzen teil. Außerdem arbeitet sie daran, die Rolle der Frauen in den Lagern zu stärken, sie zu ermutigen, politisch aktiv zu werden, auf ihre Gesundheit zu achten und wirtschaftliche Stabilität und Unabhängigkeit zu erlangen. Die Frauenunion ist eine der wichtigsten Institutionen, um Frauen auch in unserer eigenen Regierung einen Platz zu sichern. Es ist großartig, dass die Befreiungsbewegung Frente Polisario die Organisation vor 50 Jahren gemeinsam mit Frauen ins Leben gerufen hat.
In Ihren Beiträgen während des Gipfels sagten Sie, dass die Geflüchtetencamps Orte sind, an denen man den Menschen den Klimawandel begreiflich machen kann. Was meinten Sie damit?
Der Klimawandel kann so unsichtbar sein. Wenn man nicht Wissenschaftler oder Aktivist ist – und vor allem, wenn man privilegiert ist und aus dem globalen Norden kommt –, fällt es oft schwer zu glauben, dass die Klimakrise überhaupt existiert. Doch in unserer Realität wird dieser Schleier schnell gelüftet. Wer die Dringlichkeit des Handelns verstehen möchte, muss nur im Juli unsere Camps besuchen. Oft müssen wir wochenlang fast ohne Trinkwasser auskommen. Das erzeugt enormen Stress und größte Sorgen. Dazu kommt die unerträgliche Hitze von 64 Grad. Wie soll man 64 Grad beschreiben? Ich kann es nicht. Das einzige, was dann hilft, ist Geduld und darauf zu warten, dass die Zeit vergeht. Manchmal weine ich, weil es kaum auszuhalten ist und wir einfach nicht wissen, was wir tun sollen.
Was würden Sie Regierungen, insbesondere jene der EU, die immer wieder ihre Unterstützung für Marokko gezeigt haben, sagen?
Ich würde nichts anderes sagen als: Schande über euch! Schande, weil ihr geopolitische und wirtschaftliche Interessen über die grundlegendsten Menschenrechte stellt – wie das Recht auf Selbstbestimmung. Der Internationale Gerichtshof hat eindeutig klargestellt, dass auch das Volk der Westsahara dieses Recht hat. Wir warten seit 50 Jahren, 16 davon im Krieg mit Marokko und mehr als 30 Jahre in diesem angeblich friedlichen Prozess, und wir warten noch immer auf die Gewährleistung grundlegendster Rechte. Das Interesse an Marokko zeigt ein negatives und beschämendes Bild von Europa. Als Länder, die behaupten, Würde und Menschenrechte über alles zu stellen, haben sie die Gelegenheit, dies im Fall der Westsahara zu beweisen – doch sie tun es nicht.
Was sollten sie statt dessen tun?
Sie sollten sich auf die richtige Seite der Geschichte stellen und das Problem durch politische Mittel lösen, also das Recht des sahrauischen Volkes auf Selbstbestimmung unterstützen. Sie sollten zudem alle Handelsbeziehungen mit Marokko, die die Ressourcen der Westsahara betreffen, abbrechen und das Urteil ihres eigenen Europäischen Gerichtshofs respektieren. Der hat erst im Oktober festgestellt, dass Marokko kein Recht hat, Ressourcen aus der Westsahara zu verkaufen.
Najla Mohamed Lamin ist sahrauische Menschenrechts- und Klimagerechtigkeitsaktivistin und auf der BBC-Liste der 100 einflussreichsten Frauen 2023. Sie ist zudem Gründerin und derzeitige Direktorin des Almasar Library Centre
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