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Aus: Ausgabe vom 16.01.2025, Seite 4 / Inland
Daten als Ware

Stille Spione im Smartphone

Bericht: Auswertung von Datensatz verrät Standortdaten von Millionen App-Nutzern
Von Marc Bebenroth
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Immer zur Hand: Apps auf Endgeräten umgehen Werbeblocker und Schutzmaßnahmen im Internet-Browser (Hannover, 8.2.2017)

Wo ein Trog ist, kommen die Schweine. Manche haben ihre Rüssel tief in den Taschen der Bevölkerung vergraben und beschnüffeln Millionen von Menschen unbemerkt. Im Zentrum dieses Milliardengeschäfts sitzen die Dealer. Schon eine Vorschau auf deren Datenreichtum kann Standortdaten von 47 Millionen Smartphone-Haltern umfassen, davon rund 800.000 aus der BRD, wie aus den am Mittwoch veröffentlichten Rechercheergebnissen zu den sogenannten »Databroker Files« hervorgeht. Der Bayerische Rundfunk, das Portal netzpolitik.org und internationale Partnermedien konnten den Datensatz demnach auswerten.

Die Spur führt zu beinahe 400.000 auf Apple- und Android-Geräten installierten Apps, wie der BR berichtete. Unter ihnen seien auch Anwendungen, die zu den meistgenutzten in Deutschland zählen. Der Sender nennt »Wetter Online«, »Flightradar24«, »Kleinanzeigen« und »Focus Online«. Netzpolitik.org nennt beispielsweise die Dating-Apps »Tinder« und »Grindr« sowie das Spiel »Candy Crush Saga«, aber auch die App »Upday« des Axel-Springer-Konzerns. Das Material stamme vom US-Unternehmen Datastream. Es habe den Datensatz als »kostenloses Anschauungsmaterial« herausgerückt.

Damit solle »Lust auf ein Monatsabo« gemacht werden, erklärt netzpolitik.org. Die Kostprobe sei auf einen Tag im Juli 2024 datiert, beinhalte 380 Millionen Standortdaten aus 137 Ländern und verweise auf die individuellen Kennummern, die die Werbeindustrie in Kooperation mit Apple und Google jedem Smartphone zuordnet. Diese »Mobile Advertising ID« wirkt wie ein Nummernschild und erlaubt es Firmen, das Verhalten der Nutzer zu überwachen und Profile zu erstellen. Sie muss manuell deaktiviert bzw. geändert werden.

Vor allem eingeblendete Werbung dürfte die Nutzerdaten gesammelt haben. Die Genauigkeit der abgegriffenen Standortdaten schwankt. Ein genaues Bild vom Aufenthaltsort der Nutzerinnen und Nutzer liefert beispielsweise die Wetter-App »Wetter Online«. Laut netzpolitik.org wurden an einem einzigen Tag in Deutschland Zehntausende User »wohl teils auf den Meter genau geortet« – schließlich sollen sie möglichst treffende Wetterinformationen abrufen können, weshalb sich solche Apps auch der GPS-Funktion des Smartphones bedienen können.

Dass vor allem Gratisanwendungen ihre User ausspionieren, ist kein Geheimnis. Der BR zählte in den Angaben von »Wetter Online« mehr als 800 Firmen, die in den Datenschutzbestimmungen gelistet werden. Diese erhalten die gesammelten Informationen und sitzen demnach zum Teil außerhalb der EU, beispielsweise in den USA, Hongkong, Singapur oder Brasilien. Es sei wohl »unmöglich, bei zum Beispiel 850 Empfängern noch irgendwie nachzuvollziehen, wer diese Unternehmen tatsächlich sind«, sagte der Jurist Martin Baumann von der Organisation NOYB mit Sitz in Wien dem Sender.

Auf dessen Anfrage teilte der Verbraucherzentrale-Bundesverband mit, dass sich der globale Onlinewerbemarkt jeglicher Kontrolle entzogen habe, was die veröffentlichten Recherchen bestätigen würden. Der bayerische Landesdatenschutzbeauftragte, Michael Will, beschrieb gegenüber Netzpolitik.org die Ergebnisse als »ernüchternd« und »erschreckend«. »Das ist jenseits der Spielregeln, die vereinbart sind«, wird er weiter zitiert – gemeint ist geltendes Datenschutzrecht. Die unmittelbare Antwort der Bundesregierung: Ein »effektiver« EU-weiter Schutz vor personalisierter Werbung müsse her. Bis dahin schützen sich User am besten selbst. Denn: Ist das Produkt gratis, sind sie die Ware.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Gabriel T. aus Berlin (16. Januar 2025 um 09:55 Uhr)
    Dies ist nur die Spitze des Eisbergs!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Stephan K. aus Neumarkt i.d.OPf. (16. Januar 2025 um 07:23 Uhr)
    So schwer sind die Rezepte gegen die Begrenzung der Datenschnüffelei von Konzernen und ihren Staaten nicht: Die übelsten Apps weglassen. Überflüssige Werbe-, Bonus- und Punkte-Apps weglassen. Rechte der Apps reduzieren. Wenn möglich (es ist meist möglich) auf Android oder Apple verzichten. »Standort« nur aktivieren, wenn nötig. Alternative zu Android mit Android: Googlefreies Android nutzen. Da sind verschiedene Varianten zur Auswahl. Applefreies Apple gibt es nicht. Oder: Ich nutze seit Jahren Sailfish OS für mein Smartphone (Linux-System, entwickelt und betreut von den ehemaligen Nokia-Entwicklern). Das wohl einzige praxistaugliche alternative Betriebssystem für Smartphones. Es hat den Anspruch, auch mehr Sicherheit im Bereich der professionellen Nutzung durch Unternehmen zu bieten. Russland nutzt eine Eigenvariante namens Aurora, um hier von westlichen Spionagetools unabhängig zu sein. Noch eine Möglichkeit: Huawei. Die mussten bekanntlich weg von Android. Zumindest werden hier die Daten nicht von hiesiger Seite gesammelt … Für alle genannten Varianten gibt es App-Shops, die auch die gewohnten Android-Apps anbieten, fast alle, die dann ohne Google Anbindung genutzt werden können, wenn man sie benötigt oder will. Deren Datenrechte müssen immer erst freigegeben werden – oder auch nicht. Auch bei Systemen für PC und Laptop sollte doch eigentlich Linux schon lange Standard bei Linken und anderen aufmüpfigen Bürgerinnen und Bürgern und von deren Organisationen sein. Ein Leserbrief lässt hier wenig Raum, es wäre ein tolles Thema für linke und alternative Medien, bisher stark vernachlässigt. Was Wetter Online angeht: Bekanntlich verklagten die vor Jahren erfolgreich den Deutschen Wetterdienst, weil der eine kosten- und werbefreie Wetterapp (die Beste) herausgab. Wetter Online wusste warum.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (15. Januar 2025 um 20:28 Uhr)
    Ich gebe keiner App den Zugriff auf Standortdaten frei. Allerdings habe ich auch ein Paket Landkarten für ganz Deutschland im Auto und kann sie sogar interpretieren.

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