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Aus: Ausgabe vom 16.01.2025, Seite 7 / Ausland
Frankreich

Neuer Sturz droht

Frankreichs aktueller Premier überzeugt in erster Regierungserklärung kaum. Linke reicht nächstes Misstrauensvotum ein
Von Hansgeorg Hermann
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Spiel auf Zeit: Bayrou vor seiner Rede am Dienstag in der französischen Nationalversammlung

Ob Frankreichs Premierminister François Bayrou die kommenden Tage an der Spitze seiner Minderheitsregierung überleben wird, ist mehr als fraglich. Seine 95 Minuten lange »politische Generalabrechnung« vor der Nationalversammlung überzeugte am Dienstag nachmittag nur seine eigene kleine rechtsliberale Fraktion und jenen Teil der bürgerlichen Rechten, der seit 2017 half, das neoliberale Gesellschaftsmodell des amtierenden Staatschefs Emmanuel Macron in die Praxis umzusetzen. Die oppositionelle linke Volksfront (Nouveau Front Populaire, NFP), die am 7. Juli des vergangenen Jahres die Parlamentswahlen gewonnen hatte und von Macron dennoch bis heute nicht mit der Regierungsbildung beauftragt wurde, nannte Bayrous langatmigen Diskurs »ambitionslos« und »unzureichend«.

Drei der vier NFP-Koalitionäre – La France insoumise (LFI), die Ökologen (EE-LV) und die Kommunisten (PCF) – reichten noch am selben Abend einen Misstrauensantrag ein, über den bereits an diesem Donnerstag abgestimmt werden könnte. Unentschlossen zeigte sich der vierte NFP-Partner, die Sozialdemokraten des Parti Socialiste (PS). Der rechte PS-Flügel will sich offenbar – ebenso wie das ultrarechte Rassemblement National der Marine Le Pen – erst während der Haushaltsdebatte »von Fall zu Fall« entscheiden, ob er den Sturz Bayrous unterstützen will. Die von der NFP unisono geforderte Annullierung der »Rentenreform« vom März 2023 – neben der Privatisierung von Staatsbetrieben eines der Leit- und Symbolprojekte der Präsidentschaft Macrons – ist dabei ein entscheidender Punkt. PS-Chef Olivier Faure, der als »Linker« in seiner Partei mit dem Rücken zur Wand steht, erreichte immerhin, dass die vom ehemaligen Präsidenten François Hollande angeführte Parteirechte die Beteiligung an einem Misstrauensvotum gegen Bayrou bisher nicht ausschloss.

In seiner Regierungserklärung erweckte der erst am 13. Dezember von Macron ernannte Bayrou – er löste den Rechtskonservativen Michel Barnier nach nur drei Monaten Regierungszeit ab – den Anschein, zumindest für eine Modifizierung des Rentenrechts offen zu sein. Er werde nicht nur einen Expertenbericht des Rechnungshofs zur Situation der mit angeblich bis zu 50 Milliarden Euro verschuldeten Rentenkasse anfordern, zu liefern in drei Monaten, sondern auch den öffentlichen und staatlichen »Sozialpartnern« Gelegenheit zu einer eventuellen Neubewertung der »Reform« geben. Im Fall, dass sich diese Partner – zu ihnen gehören so unterschiedliche Interessenvertreter wie der Unternehmerverband Medef und die Gewerkschaften – nicht einigen könnten, werde allerdings »am derzeit geltenden Gesetz festgehalten«. Macrons »Reformgesetz«, gegen das im Frühjahr 2023 Millionen Menschen auf die Straßen gingen und das nach wie vor von bis zu 80 Prozent der französischen Bevölkerung abgelehnt wird, erhöhte das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre.

Offenbar uninteressiert zeigte sich Bayrou am Klimawandel, dessen katastrophale Folgen längst auch Frankreich betreffen. Er widmete ihm nur eine Minute und 35 Sekunden, wie die Pariser Tageszeitung Le Monde am Mittwoch bilanzierte.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (16. Januar 2025 um 11:39 Uhr)
    Es grenzt fast an ein Wunder, dass in Frankreich überhaupt noch jemand bereit ist, das Regierungsruder zu übernehmen. Der vermeintliche »Wunderknabe« Emmanuel Macron hat bislang keine einzige der dringend benötigten Reformen erfolgreich umsetzen können. Stattdessen treiben seine Maßnahmen – wie die hochumstrittene Rentenreform – die Bevölkerung auf die Barrikaden und vertiefen die gesellschaftlichen Gräben. Doch ohne grundlegende Reformen droht Frankreichs wirtschaftlicher Wohlstand weiter zu erodieren. Wer aber hat den Mut, diese unpopulären Maßnahmen durchzusetzen – und zu welchem Preis? Das Problem ist keineswegs auf Frankreich begrenzt. Der gesamte sogenannte »Wertewesten« lebt zunehmend auf Pump. Paradebeispiel sind die USA, deren Defizite neue Rekorde brechen, während ihre wirtschaftlichen Ambitionen ungebrochen hoch bleiben. Auch in Europa spitzt sich die finanzielle Lage vieler Staaten zu: Hohe Konsumansprüche stehen einem enormen Investitionsbedarf gegenüber. Die Erhöhung der Verteidigungsausgaben verschärft die Situation zusätzlich. Wer in diesem Spannungsfeld bereit ist, politische Verantwortung zu übernehmen, muss wohl eine gewisse masochistische Ader mitbringen – oder eine erstaunliche Resistenz gegen gesellschaftliche Unzufriedenheit.

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