Aufwertung durch Rauswurf
Von Dominic Iten
Laut Bundesamt für Statistik wurden in der Schweiz letztes Jahr rund 54.000 Leerwohnungen gezählt. Das entspricht 1,15 Prozent des Gesamtwohnungsbestands. In Zürich beläuft sich die Leerwohnungsquote gerade mal auf 0,53 Prozent. Das sorgt für Unmut, auch weil die Vermieter angesichts der zunehmenden Wohnungsknappheit immer horrendere Mieten verlangen können. Angesichts von Inflation und Reallohnverlust wird das für so manchen zum existenziellen Problem. Proteste gegen die unhaltbare Wohnsituation häufen sich und werden angeheizt durch die zunehmende Zahl von sogenannten Leerkündigungen, also dem Rauswurf aller Bewohner zum Zwecke von »Aufwertungen« ganzer Gebäude. Eine Studie der Zürcher Kantonalbank verdeutlicht das Ausmaß der Leerkündigungen: Zwischen 2018 und 2022 wurden in der Schweiz zur umfassenden Sanierung 10.900 Mehrfamilienhäuser entmietet – das entspricht 30.000 betroffenen Mietern pro Jahr.
Der wachsende Unmut spiegelt sich auch in den Abstimmungsergebnissen vom November letzten Jahres wider. Zwei Vorstöße der Immobilienlobby hatten über Lockerungen beim Kündigungsschutz versucht, die Mieterrechte drastisch abzubauen. Obwohl die beiden Vorlagen im November an der Urne scheiterten, planen bürgerliche Kräfte bereits die nächsten Angriffe. Geht es nach dem Hauseigentümerverband, sollen Mieter künftig ihren Anfangsmietzins nur noch anfechten dürfen, wenn sie sich zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses »in einer Notlage« befunden haben. Zweitens soll den Hauseigentümern die Anpassung der Mieten an das »orts- und quartierübliche Niveau« vereinfacht werden.
Obwohl sich damit die Lage für die Mieter nochmals drastisch verschlechtern würde, wurden die beiden Initiativen bereits von der vorberatenden Rechtskommission gutgeheißen und werden im Frühljahr vom Nationalrat diskutiert. Wie der entscheiden wird, ist derzeit offen. Gewiss ist hingegen, dass der Mieterverband im Falle einer Annahme den Weg des Referendums gehen würde – was der Hauseigentümerverband wiederum um jeden Preis verhindern will. Denn selbst Gregor Rutz, Nationalrat für die Schweizerische Volkspartei und Präsident des Hauseigentümerverbandes, hat begriffen, dass diese Initiativen vor einem Wahlvolk, das zu größten Teilen um bezahlbare Wohnungen kämpft, nur wenig Chancen hätten.
Im Gespräch mit der NZZ mag er das nur so halb zugeben: »Es wäre tatsächlich anspruchsvoll, solch juristische Details in einer Volksabstimmung zu erklären«. Auch ihm sei mal die Wohnung gekündigt worden, vor vielen Jahren. Aber so sei eben das Leben: »Mietobjekte gehören jemandem, und der will investieren können, Kapazitäten erweitern, modernisieren.« Dass die Mieten indes stark ansteigen, hat für den strammen Rechtskonservativen natürlich »vor allem mit der Zuwanderung und den hohen Auflagen zu tun«. Bauen und Vermieten sei viel zu bürokratisch geworden, »wenn Sie in der Stadt ein Haus umbauen wollen, müssen Sie oft Parkplätze abbauen, oder es wird Ihnen gesagt, welche Bäume wo zu pflanzen sind. Das ist völlig absurd«.
Zuviel Zuwanderung, zuviel Bürokratie – fehlt nur noch die Kritik am angeblich zu starken Eingreifen des Staates in den Markt. Die öffentliche Hand treibe die Preise in die Höhe, meint Rutz. In Witikon habe die Stadt Zürich der Zürcher Kantonalbank ein Areal überteuert abgekauft und vermiete nun Wohnungen an gutverdienende Leute: »Das ist reiner Kommunismus.«
Schön wär's. Das Gegenteil ist der Fall: Während nur ein geringer Prozentsatz der Wohnungen von der öffentlichen Hand vermietet wird, beherrschen die großen Player wie die Großbank UBS, Versicherungen wie die Swiss Life und AXA oder Pensionskassen den Markt – und bestimmen entsprechend die Preise.
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