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Aus: Ausgabe vom 16.01.2025, Seite 12 / Thema
PFAS

Chemie für die Ewigkeit

Asbest, DDT und PCB – immer wieder entstehen in den Laboren der Industrie Stoffe, von denen extreme Gesundheitsgefahren ausgehen. Die neuesten im Bunde: PFAS
Von Jan Pehrke
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»Ich habe keine Lust mehr auf ›Geschenke‹!« Protest gegen die Ableitung von PFAS-Stoffen vor der Chemours-Fabrik im niederländischen Dordrecht (15.6.2024)

PFAS – noch kommt dieses Wort den meisten nur schwer über die Lippen, und das, wofür diese vier Buchstaben stehen noch schwerer: per- und polyfluorierte Alkylverbindungen. Aber es wird. Vor allem der Hollywoodfilm »Vergiftete Wahrheit«, der die juristische Auseinandersetzung eines PFAS-Geschädigten mit einem Chemiekonzern in den Mittelpunkt stellt, gab da Nachhilfe. Immer mehr Menschen wissen inzwischen, worum es sich bei diesen Substanzen handelt. Und wer bisher dachte, dass die Ultragifte Asbest, DDT und PCB keine Nachfolger mehr finden würden, weil Bayer & Co. für die Folgen bezahlt und ihre Lektion gelernt hätten, der wurde eines besseren belehrt. Denn mit den PFAS bekommen Asbest & Co. Zuwachs. Auch die per- und polyfluorierten Alkylverbindungen gehören nämlich zu den Stoffen, die ihre schädliche Wirkung über einen sehr langen Zeitraum entfalten und sich in der Umwelt sogar noch anreichern, weil es sich um extrem stabile und darum nur schwer abbaubare Chemikalien handelt.

Unter den Oberbegriff »PFAS« fallen rund 12.000 verschiedene Erzeugnisse, die ein Charakteristikum teilen: Bei ihnen haben die Werks­chemiker die Wasserstoffatome ganz oder teilweise durch Fluoratome ersetzt. Diese sogenannte Fluorinierung dient zum einen dazu, die Effektivität zu steigern, bei Arzneien etwa für eine gute Bioverfügbarkeit zu sorgen, damit der Körper das Medikament leicht aufnehmen kann. Zum anderen macht der Prozess die Substanzen stabiler. Sie halten Hitze ebenso stand wie den Effekten von aggressiven Chemikalien und sind quasi unzerstörbar. Die elektronegativen Eigenschaften des Fluoratoms verschaffen den PFAS überdies eine wasser-, fett- und schmutzabweisende Wirkung. Damit nicht genug, weisen die Stoffe noch viele weitere Qualitäten auf.

Das verschafft ihnen zahlreiche Einsatzmöglichkeiten. Sie gelten als wahre Tausendsassas. Die Jahresproduktion beläuft sich auf rund 320.000 Tonnen. Die Liste der Anwendungen reicht von Antibeschlagmitteln bis zu Zahnseide. In Outdoorkleidung halten sie den Regen ab, auch in Lederwaren und Teppichen kommen sie zur Imprägnation zum Einsatz. In Antihaftbeschichtungen von Bratpfannen und anderen Kochutensilien wirken die Stoffe, und in Pestiziden erfüllen die Substanzen die gegenteilige Funktion: Als Netzmittel sorgen sie dafür, dass die Ackergifte einen besseren Halt auf den Pflanzen finden.

Bayer unter den Big 12

Deshalb tummeln sich PFAS in zahlreichen Wirkstoffen der Chemiemultis. Der Bayer-Konzern etwa ist mit Flufenacet, Bifenthrin, Diflufenican, Difluthrin, Flubendiamid und Isoxaflutol dabei. Im Pharmasektor setzt er ebenfalls auf die Substanzen, etwa bei Arzneiverpackungen. Überdies nutzt der Konzern Methanone und weitere PFAS als Zwischenprodukte in diversen Herstellungsprozessen. Der niederländischen Nichtregierungsorganisation Chemsec zufolge gehört Bayer damit zu den zwölf größten PFAS-Produzenten auf der Welt.

Gerade aber die Eigenschaften, die Bayer & Co. an den PFAS so schätzen, ihre Vielseitigkeit und ihre stabile chemische Struktur, bereiten auch die meisten Probleme. Der menschliche Organismus kriegt die Substanzen kaum klein, und auch in der Umwelt halten sie sich lange. Darum gelten die PFAS wie DDT und PCB als Ewigkeitschemikalien. Die US-amerikanische Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) stuft die Stoffe schon in geringsten Mengen als extrem gefährlich ein: »Die EPA hält jeden PFAS-Gehalt für potentiell toxikologisch signifikant.«

Studien bestätigten diesen Befund. »Unsere Daten zeigen einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen PFAS im Blut und schädlichen Blutfetten, die mit einem kardiovaskulären Risiko assoziiert sind«, sagt die niederländische Neuroepidemologin Monique Breteler vom Bonner Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen. Aber nicht nur Herz-Kreislauf-Erkrankungen können durch PFAS befördert werden. Ihre Nebenwirkungen gehen weit darüber hinaus. So haben sie das Potenzial, Krebs, Diabetes und Fruchtbarkeitsstörungen auszulösen. Darüber hinaus vermögen sie die Leber zu schädigen sowie die Schilddrüsenfunktionen und das Immunsystem zu schwächen.

Diese Gefahren beunruhigen um so mehr, als sich PFAS wegen der breiten Palette ihrer Anwendungen fast überall in der Umwelt finden. Die Gewässer weisen zum Teil große Belastungen auf. Auch viele Böden sind verseucht. Einen großen Eintragsweg stellen Klärschlämme dar, die in der Landwirtschaft als Dünger zum Einsatz kommen. »Grundsätzlich sind PFAS in geringen Konzentrationen überall in Böden nachweisbar«, so das Umweltbundesamt in seiner Veröffentlichung »PFAS – gekommen, um zu bleiben«. Im Staub, in der Luft und im Regenwasser wurden Wissenschaftler ebenfalls schon fündig. Die beiden Forscher Klaus Günther Steinhäuser und Ingo Valentin resümieren im Magazin Umwelt & Gesundheit: »Die vielfältigen Emissionen und die großräumige Verteilung der Einträge führen zu einer ubiquitären Belastung der Umwelt.«

Erste Restriktionen

Aber so langsam tut sich ein bisschen was. In den USA stellte die Biden-Administration im Oktober 2021 einen »Plan zur Bekämpfung der PFAS-Verschmutzung« mit einem ganzen Maßnahmenkatalog vor. Ende 2022 verbot die US-amerikanische Umweltbehörde EPA dann zwölf PFAS-Chemikalien in Pestiziden. Und im April 2024 setzte die US-Regierung landesweite Trinkwasserrichtlinien fest, die Grenzwerte für fünf gängige PFAS-Klassen vorsehen, um »100 Millionen Menschen vor PFAS zu schützen«. Zudem beschloss sie Limits für Umweltbelastungen durch die Stoffe. Damit sollen Einträge in Trinkwasserquellen minimiert werden. Den Kommunen stellen sie darüber hinaus 21 Milliarden Dollar aus dem Infrastrukturfonds zur Verfügung, damit sie bessere Möglichkeiten haben, dafür zu sorgen, dass das Gift nicht in die Wasserleitungen gerät. Auch die PFAS, die durch Industrieemissionen in die Umwelt gelangen, nahmen sich die Demokraten vor. Ihre PFAS-Roadmap dürfte nach dem Wahlsieg Donald Trumps allerdings in einer Sackgasse enden.

Die Europäische Union hat derweil die Gruppe der PFAS verboten, weil sie unter die Stockholm-Konvention der besonders gefährlichen Substanzen fallen, die POPs (Persistent Organic Pollutants). Zudem erließ sie Restriktionen für sechs weitere PFAS-Klassen. Bayer & Co. wussten sich jedoch zu helfen. Der Beratungsfirma Valuestream zufolge »kam es zu Fällen sog. ›bedauernswerter Substitutionen‹ – dabei wurde direkt nach der Regulierung eines Stoffes ein anderer Stoff am Markt eingeführt, der über die gleichen Eigenschaften verfügt und genauso schädlich für Mensch und Natur ist«.

Darüber hinaus schrieb die EU Höchstgrenzen für PFAS-Rückstände in Lebensmitteln und Kosmetikartikeln vor und plant, Ewigkeitschemikalien in Verpackungen und Feuerlöschschaum zu untersagen. Im September 2024 erließ Brüssel zudem Beschränkungen für den PFAS-Stoff Undecafluorhexansäure – allerdings mit großzügigen Ausnahmeregelungen.

Die EU-Trinkwasser-Richtlinie von Ende 2020 enthält ebenfalls Bestimmungen zu PFAS. 2023 setzte die Ampelregierung die Vorgabe in nationales Recht um. So gilt ab 2026 ein Grenzwert von 100 Nanogramm pro Liter für die summierten Konzentrationen von 20 PFAS und ab 2028 einer von 20 Nanogramm für vier besonders harte Fälle. Das stellt die Wasserwerke allerdings vor Probleme, denn sie sind nicht dafür gerüstet, diese Limits einzuhalten. Dazu müssen die Versorger viel Geld in Technik investieren und beispielsweise Aktivkohlefilter installieren. Martin Weyand vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft besteht deshalb auf dem Verursacherprinzip und fordert eine Beteiligung der Industrie an den Kosten. »Es kann nicht sein, dass die Bürger für diese Aufbereitungsanlagen zahlen müssen«, so Weyand.

Aber auch eine große Lösung steht EU-weit an, eingebracht von Deutschland, Norwegen, den Niederlanden, Dänemark und Schweden: übergreifende PFAS-Restriktionen, die alle Stoff-Gruppen und Anwendungen umfassen. Nur Pestizide, Biozide und Arzneimittel sind ausgenommen, weil diese Substanzen nicht unter die REACH-Verordnung zur Regulierung von Chemikalien fallen.

Unternehmen laufen Sturm

Die Unternehmen laufen Sturm gegen dieses Ansinnen. »Ein pauschales Verbot der gesamten PFAS-Stoffgruppe ohne eine differenzierte stoff- und anwendungsspezifische Bewertung ist nicht angemessen«, meint der Verband der chemischen Industrie. Auch der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) sieht die »breite PFAS-Beschränkung mit Sorge«. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagebau und der Verband der Elektro- und Digitalindustrie sprechen sich ebenfalls dagegen aus. In den Augen der beiden Präsidenten Karl Haeusgen und Gunter Kegel haben die Ewigkeitschemikalien zwar »in einigen Fällen« durchaus eine gesundheitsschädigende Wirkung auf Mensch und Tier, »aber die Antwort auf dieses Problem kann und darf nicht ein Generalverbot einer ganzen Stoffgruppe sein, will man das Kind nicht mit dem Bad ausschütten. Und es sei auch nicht zielführend, ein solches Generalverbot mit zahlreichen Ausnahmen zu flankieren«, schreiben sie in der FAZ. Natürlich schließen sich Bayer und BASF da an. Ein mögliches Verbot dürfe nicht die Verwendung von PFAS in Schlüsselsektoren verhindern, so die Vertreter der beiden Chemiemultis gegenüber der »Tagesschau«.

Die Firmen drohen mit Abwanderung und sehen einmal mehr das Abendland bzw. den »Wirtschaftsstandort Europa« untergehen. Ein Bann hätte »fatale Auswirkungen auf die Industrieproduktion in allen Branchen, auf die Arbeitsplatzsicherheit, die Planungssicherheit der Unternehmen, zukünftige Innovationen sowie auf fast alle Hochtechnologieanwendungen«, konstatiert Nora Schmidt-Kesseler, die Hauptgeschäftsführerin der Nordost-Chemieverbände.

Und dann hat die Industrie sich noch etwas ganz Schlaues ausgedacht. Weil sich die PFAS – ihrer Allgegenwart geschuldet – auch in Windrädern, Brennstoffzellenmembranen und Lithiumionenbatterien finden, betont sie deren Bedeutung für die Klimapolitik. Als »Schlüsselkomponenten für die Herstellung von grünem Wasserstoff, Batterien für Elektrofahrzeuge und Solarzellen, die alle zu sauberer Energie und zur Reduzierung von Emissionen beitragen«, bezeichnet der Chemiemulti Chemours die PFAS in einem Artikel, für den er sich beim Webportal Euractiv Platz erkaufte. »Die Regulierungsbehörden müssen die wesentliche Rolle der chemischen Industrie für die künftigen Innovationen anerkennen, die zur Realisierung einer neuen Green Economy erforderlich sind«, fordert der Chemours-Manager Gerardo Familiar. »Ohne die Fluorchemie gibt es keinen Green Deal«, lautet das Resümee des mit dem Warnhinweis »promoted content« versehenen Textes. Selbstverständlich teilt der BDI Familiars Ansicht. Ein Verbot hätte zur Folge, »dass wir bei zentralen technologischen Themen der europäischen Transformation zur Klimaneutralität in nicht erwünschte Zielkonflikte geraten«, warnt die Lobbyorganisation. Nette Aussichten eröffnen uns da diejenigen, die durch ihren immensen CO2-Ausstoß selbst einen gehörigen Anteil an der Erderwärmung haben: entweder giftfrei in die Klimakatastrophe oder außen »prima Klima« und innen ganz viel PFAS.

Im August 2024 schrieben rund 500 Unternehmen einen Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz. Sie verlangten von der Politik, statt ganze Stoffgruppen zu verbieten oder deren Gebrauch stark einzuschränken, Einzelfallprüfungen auf der Basis eines risikobasierten Ansatzes durchzuführen. Bayer & Co. spielen ihn immer gegen den gefahrenorientierten Ansatz aus, wenn mal wieder ein Stoff wegen seines Gefährdungspotentials in die Schlagzeilen gerät und Diskussionen über Maßnahmen beginnen. Gefährlichkeit ist nämlich eine objektive Eigenschaft einer Substanz, weshalb sie auch nach eindeutigen Schutzvorkehrungen wie einem Verbot verlangt. Risiko ist hingegen ein relativer Begriff. Es steht in Abhängigkeit zu anderen Faktoren wie etwa der Wirkungsschwelle – »die Dosis macht das Gift«. Darum brauchen die Hersteller für einen nach einem solchen Kriterium begutachteten Stoff keine so starken Konsequenzen zu fürchten; in der Regel tun es da Grenzwerte.

Aufs Briefeschreiben beschränkte sich die politische Landschaftspflege der Konzerne jedoch nicht. Sie bearbeiteten die Bundestagsabgeordneten auch direkt. Das deutsche Lobbyregister weist entsprechende Bemühungen von 3M, BASF, Bayer, Chemours, Daikin Chemical, Dupont, Exxon Mobil, Gore, Honeywell, Merck und Solvay aus. Bayer selbst setzte sich dabei schwerpunktmäßig für PFAS im Pharmabereich ein. »Angesichts des geplanten EU-Verbots von PFAS fordert Bayer die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass PFAS in der Arzneimittelproduktion weiterhin erlaubt bleibt. Dies ist notwendig, um die Arzneimittelproduktion in Europa und die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu sichern«, heißt es in dem Registereintrag.

Aber nicht nur Bayers Berliner Verbindungsbüro entfaltete Aktivitäten, auch der Brüsseler Ableger legte sich kräftig ins Zeug. Daneben heuerte der Agroriese zur Einflussarbeit bei der Europäischen Union noch die PR-Agentur Eutop – »Ihr Partner für Governmental Relations« – an. Zusätzlichen Beistand liefern am EU-Sitz der Bundesverband der deutschen Industrie, der Verband der Chemischen Industrie und vor allem dessen europäisches Pendant CEFIC. Die Organisation verfügt über einen Jahresetat von zehn Millionen Euro und ist damit der Toplobbyist am Platze. Das reichte dicke, um eine PFAS-Spezialeinheit zu gründen, die »Fluoroproducts and PFAS for Europe« (FPP4EU), der Bayer und 13 weitere Hersteller angehören. FPP4EU fordert nicht weniger als eine »zeitlich unbegrenzte Ausnahmeregelung für PFAS, die in der Industrie verwendet werden« und mahnte die EU, bei ihrem Regulierungsvorschlag »primäre und sekundäre finanzielle Auswirkungen« mitzubedenken. »Das Streben nach einem wettbewerbsfähigen, widerstandsfähigen und nachhaltigen Europa« dürfe dabei nicht auf der Strecke bleiben, mahnten Bayer & Co. Dafür nahmen sie sich Vertreter der EU-Kommission auch gleich zweimal persönlich zur Brust, wie das Corporate Europe Observatory (CEO) herausfand. Und in den USA hat der Chemieverband American Chemistry Council, der auch den Leverkusener Multi zu seinen Mitgliedern zählt, eine Klage gegen die neue, Grenzwerte für PFAS vorsehende Trinkwasserrichtlinie eingereicht.

Gefahren seit langem bekannt

Dabei wusste die Industrie früh um die Gefahren. Während in medizinischen Fachblättern erst Ende der 1990er Jahre erste Artikel über die Gesundheitsgefährdung durch PFAS erschienen, waren die Chemiemultis schon Jahrzehnte früher im Bilde. Ein Dupont-Wissenschaftler bezeichnete PFAS bereits 1970 als »hochgiftig, wenn sie inhaliert werden«. »Der Teufel, den sie kannten« ist deshalb passenderweise die Studie überschrieben, die interne Firmendokumente durchforstete. So sagte dann auch der Anwalt Robert Bilott, Vorbild für die Hauptfigur im Film »Vergiftete Wahrheit«: »Es waren die Dokumente aus den Unternehmen selbst, (…) die mir die Augen geöffnet haben. Und der Grund, warum wir diesen Bauern vertreten haben und warum wir bis heute solche Fälle betreuen, ist das üble Verhalten der Konzerne.«

Trotzdem wiegeln die Unternehmen ab. Der Bayer-Konzern etwa steht weiter in Treue fest zu seinem Pestizid Flufenacet, obwohl bei der Zersetzung – wie auch bei Fluopyram – der PFAS-Stoff Trifluoressigsäure (TFA) als Zwischenstoff entsteht. »Dass es keine Hinweise auf ein Risiko für die menschliche Gesundheit oder für die Umwelt gibt«, antwortete der Global Player auf eine Anfrage der Taz. Der Wirkstoff werde »in Europa seit über 25 Jahren sicher verwendet«, und überhaupt seien alle seine Produkte »sicher für Mensch und Umwelt, wenn sie entsprechend der Anwendungshinweise verwendet werden«, hält er fest. Dabei hat der Leverkusener Multi das Pestizidabbauprodukt bei der obligatorischen EU-Einstufung gemäß der Chemikalienverordnung REACH selbst als »vermutlich reproduktionstoxisch beim Menschen« bezeichnet.

Und TFA ist nicht irgendein PFAS, sondern das PFAS. »Derzeit sind die TFA-Konzentrationen um Größenordnungen höher als die von anderen PFAS – und um Größenordnungen höher als die von anderen Pestiziden und Pestizidmetaboliten«, konstatieren Hans Peter H. Arp und seine Mitautoren in der Studie »The Global Threat from the Irreversible Accumulation of Trifluoroacetic Acid (TFA)«. In fast jedem Gewässer findet sich diese Ewigkeitschemikalie. Und die Initiative Global 2000 wies in zehn von 19 Mineralwässern Spuren von Trifluoressigsäure nach, was auf Grundwasserverunreinigungen hindeutet. Nicht umsonst hat das »Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit« deshalb im Oktober 2024 die Zulassung von Flufenacet widerrufen. Zwei Monate später schlug die EU-Kommission ein Verbot vor.

Scholz’ Kompass

Im großen und ganzen aber beugt sich die Politik den Konzernen wieder mal. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck spricht sich lediglich für einen differenzierten Umgang mit den Ultragiften aus: »Bessere Regulierung dort, wo es für den Verbraucherschutz notwendig ist, aber keine Überregelung für die Wirtschaft, wo es Wachstum und Technologieentwicklung hemmt.« Zur Begründung übernimmt er ungeprüft Argumente der Industrie, die – mit einem fälschlichen Verweis auf die OECD als Quelle – bestimmte PFAS als nur »wenig besorgniserregend« bezeichnet und schon mit konkret bezifferten und natürlich dramatisch hohen Verlustzahlen im Falle von Restriktionen zur Hand ist. Umweltministerin Steffi Lemke bezeichnet die Fülle der PFAS-Hotspots in Deutschland mit 300 stark kontaminierten Arealen zwar als »erschreckend«, plädiert jedoch ebenfalls bloß für Einschränkungen. Und Bundeskanzler Olaf Scholz nahm Bayer & Co. auf deren Verbandstagung alle Befürchtungen. »Auch bei PFAS setzen wir uns für eine praktikable und ausgewogene Regulierung für Sie ein. Darauf können Sie sich auch für die Zukunft verlassen. In den Brüsseler Dschungeln ist es ja wichtig, dass man einen klaren Kompass hat«, sagte er am 12. September auf dem Chemie & Pharma Summit 2024.

Aber die Brüsseler Dschungel lichten sich, nicht zuletzt dank der Kettensägen Made in Germany. Für PFAS ist da jetzt gut durchkommen. Am 20. November haben Deutschland, Norwegen, die Niederlande, Dänemark und Schweden Hand angelegt und ihren eigenen strengen Regulierungsvorschlag einer Revision unterzogen. Die offiziellen Eingaben von Bayer & Co. als Reaktion auf die erste Fassung bewirkten den Meinungsumschwung. »Die zusätzlichen Informationen, die im Rahmen der Konsultation 2023 vorgelegt wurden, führen auch dazu, dass geprüft wird, ob andere Beschränkungsoptionen als ein Verbot das Ziel erreichen, die PFAS-Emissionen während ihres gesamten Lebenszyklusses deutlich zu reduzieren«, halten die Länder in Komplizenschaft mit der Europäischen Chemikalienagentur ECHA fest. Das gelte besonders für solche Verwendungen und Sektoren, »für die Informationen vorgelegt wurden, die zeigen, dass die sozioökonomischen Auswirkungen eines Verbots unproportional hoch sind«, heißt es in der Stellungnahme. Das Arbeitsplatzargument hat also offensichtlich wieder einmal verfangen.

Das ganze Jahr 2025 geht nun erst einmal für die Überarbeitung des Regulierungsvorschlags drauf. Anschließend durchläuft er wieder ein Konsultationsverfahren. Erst dann irgendwann will die Chemikalienagentur mit einer Empfehlung für den Umgang mit den PFAS um die Ecke kommen. Die Verantwortung für den ganzen Prozess teilen sich Industriekommissar Stéphane Séjourné und Umweltkommissarin Jessika Roswall, die eine große Gemeinsamkeit haben: Beide haben sich bisher nicht so recht mit Umweltfragen befasst.

Der Widerstand wächst

Ohne Druck von außen wird sich daher kaum etwas bewegen. Und diesen Druck gibt es. Seit der Landwirt Wilbur Tennant mit Hilfe von Robert Bilott erfolgreich gegen Dupont vor Gericht zog, weil sein in der Nähe der Chemiefabrik weidendes Vieh verendete, häufen sich die juristischen Auseinandersetzungen. BASF beispielsweise sieht sich mit mehr als 4.000 Klagen konfrontiert und musste bereits über 300 Millionen Euro für Vergleiche aufbringen. 3M zahlte schon 10,3 Milliarden Dollar und Dupont, Chemours und Corteva jeweils über eine Milliarde.

Auch gehen immer mehr Menschen gegen die PFAS-Belastungen auf die Straße. So fanden sich Ende Mai 2024 im französischen »Tal der Chemie« nahe Lyon über 500 Aktivisten zusammen, um einen Produktionsstopp zu fordern. In Belgien, den Niederlanden, den USA, Schweden, Dänemark und Italien kam es ebenfalls zu Protesten.

Im November 2023 schrieb die Investor Initiative on Hazardous Chemicals Briefe an die 50 größten Produzenten von PFAS und anderen gefährlichen Chemikalien, darunter die deutschen Unternehmen BASF, Bayer, Covestro, Evonik und Lanxess. Darin forderte die Organisation die Multis unter anderem auf, einen detaillierten Ausstiegsplan zu entwickeln. Anfang Dezember 2024 appellierten zahlreiche Wissenschaftler, Umweltgruppen und andere Initiativen in einem offenen Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, nicht vor der Industrielobby einzuknicken und den vorliegenden Regulierungsvorschlag zu verwässern: »Gemeinsam mit allen unterzeichnenden Gruppen und zivilgesellschaftlichen Organisationen bitten wir Sie, eine ungestörte Fortsetzung der Evaluierung des sehr weitgehenden PFAS-Beschränkungsvorschlags in unveränderter Form zu unterstützen, damit eine deutliche und zeitnahe Reduzierung der PFAS-Emissionen erreicht werden kann.«

Auch die Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG) gehört zu den Unterzeichnern des Schreibens, das der BUND und das Europäische Umweltbüro (EBB) initiiert haben. Zudem wird die Coordination das Thema »PFAS« auf die Tagesordnung der nächsten Bayer-Hauptversammlung setzen.

Am kommenden Freitag erscheint das neue Heft des Magazins Stichwort BAYER, das von der Coordination gegen BAYER-Gefahren herausgegeben wird. Darin findet sich auch eine längere Version dieses Textes.

Jan Pehrke schrieb an dieser Stelle zuletzt am 7. Februar 2024 über die Zweite Internationale und ihr Scheitern im Friedenskampf: Arbeiter schießen nicht auf Arbeiter.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Olaf M. aus München (17. Januar 2025 um 01:15 Uhr)
    Gut, dass auf die PFAS-Problematik bei Windkraftanlagen (WKAs) hingewiesen wird. »Die Rotorblätter sind hohen aerodynamischen Belastungen und Umwelteinflüssen wie UV-Strahlung, Wind, Hagel, Eis, Starkregen, Temperaturwechsel, Blitzeinschlägen und großflächigen Insektenschlägen und -verklebungen an der Oberfläche ausgesetzt. Daher werden insbesondere bei neueren Windkraftanlagen wegen der höheren Windgeschwindigkeit infolge der Höhe der Anlagen und der hohen Umfangsgeschwindigkeiten an den Flügelspitzen (
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (15. Januar 2025 um 20:15 Uhr)
    Kurze Bemerkung zu Asbest: »Asbest wurde wegen seiner vielen praktischen Eigenschaften über Jahrzehnte in sehr großen Mengen beim Bauen verwendet – bis in Deutschland wegen seiner nachweislich krebserzeugenden Wirkung im Oktober 1993 das Herstellen und die Verwendung verboten wurde. Viele langlebige Asbestprodukte wie Bodenbeläge oder Dachplatten begegnen uns noch heute im Alltag. Auch Fliesenkleber, Spachtelmassen und Putze können Asbest enthalten. Hier ist die Verwendung nicht sogleich erkennbar. Wohnungsnutzer, besonders auch Heimwerker, sollten über Asbest Bescheid wissen, um sich und andere nicht beim Renovieren zu gefährden.« Weiter: »Asbest ist die Sammelbezeichnung für natürlich vorkommende, faserartige silikatische Minerale mit Faserdurchmessern bis herab zu 2 Mikrometern (1 Mikrometer entspricht einem Tausendstel Millimeter). Asbest ist chemisch sehr beständig, unempfindlich gegen Hitze und nicht brennbar.« Also bitte auf bestimmte Eigenschaften getrimmte Chemikalien nicht mit Mineralien in einen Topf mischen. Quelle: https://www.umweltbundesamt.de/themen/gesundheit/umwelteinfluesse-auf-den-menschen/chemische-stoffe/asbest#was-ist-asbest

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