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Aus: Ausgabe vom 16.01.2025, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Transportarbeitergewerkschaft

Fortschrittlichster Bürokrat

Mick Lynch, Generalsekretär der Transportarbeitergewerkschaft RMT, geht in Ruhestand. Er führte eine der größten und längsten Streikwellen Großbritanniens an
Von Dieter Reinisch
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Im Kampf gegen die Torries: der ehemalige Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn, der ASLEF-Vorsitzende Mick Whelan und Mick Lynch bei einem Protest in London am 31. August 2023 (v. l. n. r.)

Er hat den britischen Arbeitskämpfen der vergangenen Jahre ein Gesicht gegeben, nun ist es Zeit für die Rente: Mick Lynch, der mächtige Eisenbahngewerkschafter, hat angekündigt, in den Ruhestand zu gehen. Unter seiner Führung wurde die Transportarbeitergewerkschaft Rail, Maritime and Transport (RMT) aus ihrem Tiefschlaf gerissen. Am 21. Juni 2022 führte Lynch sie in den Kampf gegen die konservative Regierung. Mehr als 40.000 Arbeiter beteiligten sich an dem Ausstand – es war der größte Streiktag Großbritanniens seit 1989.

Auch die längste Streikwelle der jüngsten britischen Geschichte entfachte RMT: Lehrer, Ärzte, Pfleger, Beamte, Gemeindebedienstete, Universitätslektoren, Werftarbeiter, Anwälte und noch viele mehr schlossen sich an. Seit Margaret Thatcher 30 Jahre zuvor den Gewerkschaften eine herbe, fast todbringende Niederlage während der Bergarbeiterstreiks zugefügt hatte, gab es nicht mehr so viele Arbeitskämpfe wie in den Jahren nach dem 21. Juni 2022. Lynch hat den Gewerkschaften wieder Leben eingehaucht. Doch schlussendlich blieb er – der fortschrittlichste Bürokrat von allen – ein reformistischer Arbeiterführer der alten Schule.

Durch Misswirtschaft der Konservativen, Privatisierungen und stetig sinkende Reallöhne wurde die Gewerkschaftsbürokratie um Lynch ab der Coronapandemie und den in ihrer Folge sprunghaft ansteigenden Teuerungen von der Basis in den Kampf gedrängt. Diesen führte er ehrlich und entschlossen an vorderster Front. Lynch kämpfte nicht nur ökonomisch, sondern stellte politische Forderungen auf. Seine RMT setzte sich für die Wiederverstaatlichung der seit 1990 wegen Privatisierungen zusehends maroder werdenden Bahn ein. Und er formte sie zu einem lautstarken Vehikel im Kampf gegen die Antistreikgesetzgebung der Tories.

Sein kämpferischer, gleichwohl reformistischer Ansatz kam genau zu dem Ergebnis, das erwartbar war: Er einigte sich mit der konservativen Regierung auf etwas bessere Tarife, die die Reallohnverluste zwar deutlich abfederten, aber nicht zu einem Reallohnzuwachs führten, wie von den RMT-Mitgliedern gefordert. Im Dezember 2023 endeten die Kämpfe nach 18 Monaten mit Reallohnverlusten. Der Grund: zögerliche Streiks, keine Mobilisierung gegen gewerkschaftsfeindliche Gesetzgebung und das Fehlen einer politischen Strategie jenseits der Orientierung auf Labour.

Die Welle der Arbeitskämpfe verhalf dann unweigerlich Keir Starmer ins Amt, der im Juli die 15jährige Herrschaft der Tories beenden konnte. Doch dessen Politik knüpft nahtlos an die arbeiterfeindliche, neoliberale Praxis von Tony Blair an. Dabei ist der Druck der Gewerkschaften weiterhin groß genug, dass Starmer ihnen und ihrer Basis Zugeständnisse machen musste: Bahnlinien werden langfristig zurück in staatliches Eigentum gebracht, und das Antistreikgesetz wird zurückgenommen.

Starmers Hoffnung, damit die Arbeitskämpfe zu beenden, erfüllte sich nicht. In London und bei der Bahnlinie Avanti West Coast begann RMT zu Silvester einen neuen Ausstand. Letzterer soll bis Ende Mai andauern. Dann wird es bereits einen Nachfolger für Lynch geben, den die RMT auf ihrem Gewerkschaftstag Anfang Mai wählt.

Der 63jährige Mick Lynch ist seit über drei Jahrzehnten in der Gewerkschaft engagiert und seit 2021 ihr Generalsekretär. In seiner Erklärung zum Rücktritt sagte er vergangenen Donnerstag, er sei unglaublich stolz darauf, der Gewerkschaft sowohl als einfaches Mitglied als auch als gewählter Funktionär gedient zu haben: »Es war ein Privileg, dieser Gewerkschaft über 30 Jahre lang in allen Funktionen zu dienen, aber jetzt ist es Zeit für Veränderungen.«

Die Kämpfe der vergangenen Jahre hätten RMT stärker gemacht: »Es gab noch nie einen dringenderen Bedarf für eine starke Gewerkschaft für alle Transport- und Energiearbeiter aller Gehaltsstufen, aber wir können nur dann eine starke Organisation für diese Arbeiter aufrechterhalten und aufbauen, wenn es Erneuerung und Veränderung gibt.« Der schottische Labour-Abgeordnete Richard Leonard zollte ihm Tribut: »Mick Lynch ist ein Held der Arbeiterklasse.« Er verdiene einen langen und glücklichen Ruhestand.

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