Feuerpause unter Feuer
Von Wiebke DiehlMindestens 70 Menschen sind seit der Ankündigung eines Waffenstillstands im Gazastreifen, der am Sonntag in Kraft treten soll, bei israelischen Massakern getötet worden. Mehr als 200 wurden zudem seit Bekanntwerden des Abkommens am Mittwoch abend verletzt, so der Zivilschutz im Gazastreifen. Unter den Getöteten waren mindestens 19 Kinder und 24 Frauen. Zum Ziel israelischer Bombardements wurden unter anderem die Al-Saitun-Schule im Norden der Küstenenklave, in der vertriebene Palästinenser untergebracht waren, und ein Haus in der Nähe des Ingenieurssyndikats westlich von Gaza-Stadt.
Derweil versucht die Regierung Netanjahu offenbar, die Einigung zu torpedieren. Die Hamas breche »Teile der Vereinbarung, die mit den Vermittlern und Israel getroffen wurde, um Zugeständnisse in letzter Minute zu erpressen«, so das Büro des Ministerpräsidenten. Eine für Donnerstag vormittag geplante Sitzung des Kabinetts wurde verschoben, »bis die Vermittler Israel darüber in Kenntnis gesetzt haben, dass die Hamas alle Elemente der Vereinbarung akzeptiert hat«. Das Hamas-Politbüromitglied Isat Al-Rischk betonte allerdings, man sei den Bedingungen des Waffenstillstands »verpflichtet«. Außerdem hieß es von palästinensischer Seite, Israel weigere sich, eine Karte für seinen Abzug vorzulegen.
Das von den Vermittlern Katar und USA am Mittwoch vorgestellte Abkommen ist in drei Phasen unterteilt: In der ersten sechswöchigen Phase sollen 33 israelische Geiseln, insbesondere Frauen, Kinder, ältere Menschen, Zivilisten und Verwundete, freigelassen werden. Insgesamt befinden sich noch 98 Geiseln im Gazastreifen. Im Gegenzug werde Israel Hunderte palästinensische Gefangene, nach Angaben der Hamas sogar etwa tausend, aus seinen Gefängnissen entlassen. Nach Angaben des noch amtierenden US-Präsidenten Joseph Biden umfasst Phase eins auch »einen vollständigen Waffenstillstand und den Rückzug der israelischen Streitkräfte aus allen besiedelten Gebieten des Gazastreifens«. Zudem solle die humanitäre Hilfe erhöht werden. Allerdings dürfen sich israelische Soldaten gemäß dem Abkommen weiterhin bis zu 800 Meter tief innerhalb der Küstenenklave aufhalten und damit faktisch eine Pufferzone aufrechterhalten.
Details zu den Phasen zwei und drei werden den katarischen Verhandlern zufolge erst noch ausgehandelt. Laut Biden sollen dann alle Geiseln freigelassen und alle Soldaten abgezogen werden. Aus dem vorläufigen solle ein dauerhafter Waffenstillstand werden, schließlich sollten auch die Leichen der getöteten Geiseln ihren Familien übergeben und der Wiederaufbau des Gazastreifens eingeleitet werden. Uneinigkeit herrscht über die Frage, wer das Gebiet in Zukunft regieren soll.
Der tatsächliche Grund für das israelische Zögern, dem Abkommen zuzustimmen, dürften die beiden extrem rechten Minister Bezalel Smotrich (Finanzen) und Itamar Ben-Gvir (Sicherheit) sein. Beide haben sich gegen den Deal ausgesprochen und damit gedroht, die Regierung platzen zu lassen. Smotrich und einige Mitglieder seiner Partei forderten laut Jediot Aharonot von Netanjahu Garantien, dass der Krieg nach Ablauf von Phase eins bis zur Vernichtung der Hamas wiederaufgenommen werde. Insbesondere Smotrich ist Verfechter eines »Großisrael«, das neben dem Gazastreifen und dem Westjordanland auch Teile Jordaniens, Syriens, des Libanon, des Irak, Ägyptens und Saudi-Arabiens umfassen soll.Siehe Seiten 7 und 8
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