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Aus: Ausgabe vom 17.01.2025, Seite 2 / Ausland
Frauen im Iran

»Kein Mensch darf hingerichtet werden«

Im Iran droht zwei zum Tode verurteilten kurdischen Frauen die Hinrichtung. Ein Gespräch mit Shuka Rachidi
Interview: Gitta Düperthal
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»Leben, Frauen, Freiheit«: Graffitisprüher bemalen eine Hausfassade in Frankfurt am Main mit dem Konterfei von Mahsa Amini (26.9.2022)

Die iranische Justiz hat die Sozialarbeiterin Pakhshan Azizi und die Aktivistin Varisheh Moradi zum Tode verurteilt. Ist das als Rache an der Bewegung zu verstehen, die 2022 nach dem gewaltsamen Tod der 22jährigen Kurdin Jina Mahsa Amini entstand?

Seit 40 Jahren entwickelt sich das Regime in Richtung Frauenfeindlichkeit. Mit Jina Mahsa Aminis Tode entstand im Iran die Bewegung »Jin, Jiyan, Azadî«: »Frau, Leben, Freiheit«. Das Regime nimmt sehr bewusst wahr, dass die kurdische Frauenbewegung dahinter steckt, die in der iranischen Bevölkerung sehr geschätzt wird. Seither gibt es mehr Morde und Femizide: 31 Morde an Frauen im Jahr 2024 gestand das Regime offiziell ein.

Wie hat Abolqasem Salavati, Leiter der Abteilung 15 der islamischen Revolutionsgerichte in Teheran, die Todesurteile begründet?

Durch diesen Richter kamen, mit immer gleichen Vorwürfen, viele Menschen zu Tode: Propaganda gegen das Regime, angeblich bewaffneter Kampf gegen den Staat, Feindschaft gegen Gott, und so weiter. Varisheh ist in der »Gemeinschaft der freien Frauen Rojhilats«, kurz KJAR, dem Dachverband der kurdischen Frauenbewegung in Ostkurdistan und Iran, organisiert. Sie will die Grenzen des patriarchalischen Staates nicht einhalten, sich dem Mann oder Vater nicht unterwerfen. Wie auch Pakhshan ging sie aber nicht einfach nach Europa, um unabhängig zu leben, beide Frauen setzten sich in Rojava ein. Varisheh bekämpfte dort den IS. Pakhshan war dort als Sozialarbeiterin tätig, um eine höhere Moral der Gerechtigkeit zu vertreten. Mit dem Iran hat all das nichts zu tun, der Staat fürchtet jedoch den Einfluss freier Frauen auf die Gesellschaft.

Was ist zu den Festnahmen bekannt?

Varisheh Moradi wurde von der Sittenpolizei angeschossen und verletzt, als sie mit dem Auto unterwegs war. Oft verschwinden Kurdinnen nach der Festnahme in den Fängen der Geheimdienste, bevor sie im Gefängnis Evin wieder auftauchen. Das Regime nutzt das als Methode, um die Bevölkerung und Angehörige zu erpressen, ihren Widerstand zu schwächen. Niemand erfährt, wo sie sind, ob sie noch leben. Vom kurdischen Aktivisten Adriss Faghihi weiß seit über einem Jahr bis heute niemand, wo er ist. In Varishes Fall organisierte KJAR internationale Proteste mit breiter gesellschaftlicher Unterstützung. Frauen, die das iranische Regime festnimmt, sind von patriarchaler Unterdrückung und Vergewaltigung bedroht. Pakhshan Azizi wurde gefoltert, um ein Geständnis zu erzwingen. Obgleich es keine Beweise gibt, dass sie »gegen die Sicherheit des Nationalstaates« agiert hat, bestätigte der Oberste Gerichtshof Irans das Todesurteil gegen sie. Es kann sein, dass sie jeden Moment aus der Zelle geholt und hingerichtet wird. Sie ist ein Symbol für eine freiheitssuchende Frau.

Wie sieht der Widerstand der Frauenbewegung aus?

Internationaler Druck ist wichtig. Solidarische Unterstützung kommt aus Rojava, sowie aus Ländern wie Spanien, Türkei und Deutschland. »Gemeinsam kämpfen« in Köln veröffentlichte ein Video online. In Darmstadt macht ein Graffito mit den Konterfeis der zum Tode verurteilten Frauen auf die Gefahr aufmerksam, unterstützt von der dortigen Bürgermeisterin Barbara Akdeniz. In Schweden, Belgien, England und Deutschland schlossen sich Menschen dem Hungerstreik von Varisheh an. KJAR-Europa organisierte das. In Dänemark waren die Todesurteile Thema im Parlament, geplant ist das auch in Norwegen und Schweden. In Deutschland regt unsere Kampagne Patenschaften von Politikerinnen und Politikern an, die für Aufmerksamkeit sorgen.

Was lässt sich grundsätzlich gegen diese Todesurteile und Hinrichtungen tun?

Es ist eine Forderung der Humanität: Kein Mensch darf hingerichtet werden. Im Fall der Kurdin Zeineb Jalaliyan, seit 2008 in Haft und der Mitgliedschaft in »einer terroristischen Vereinigung« bezichtigt, konnte die Todesstrafe verhindert werden, nicht aber lebenslange Haft. Im Fall Varishehs und Pakhshans beginnt die UNO jetzt langsam, sich zu engagieren. Wir dürfen die Hoffnung nicht verlieren, müssen in ihrem Sinn weiter kämpfen. Wie sie es tun – als freiheitsliebende Frauen.

Shuka Rachidi ist aktiv in der Kampagne »Nein zur Hinrichtung, Ja zum freien Leben«

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