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Aus: Ausgabe vom 17.01.2025, Seite 4 / Inland
AKW-Abschaltung in der BRD

Schaukampf um Laufzeiten

Bundestag: Wirtschaftsminister und Kanzler zum Atomausstieg befragt. Union beharrt auf Vorwurf »ideologisch« motivierter Entscheidung
Von Marc Bebenroth
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Glaubt man CDU/CSU, wurde hier Elektrizität auf sauberste Art ins Netz gespeist: AKW Isar 2 in Bayern (25.10.2023)

Die Kameras im Paul-Löbe-Haus blieben wieder aus: Am Donnerstag hat der von der Unionsfraktion angestoßene Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg seine Anhörung von teils ehemaligen Kabinettsmitgliedern fortgesetzt. Nachdem am Mittwoch Umweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) und Exfinanzminister Christian Lindner (FDP) vernommen worden waren, stellten sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und SPD-Kanzler Olaf Scholz den Fragen der Ausschussmitglieder.

Habeck betonte, dass ein Weiterbetrieb der verbleibenden, Strom erzeugenden Atomkraftwerke in Deutschland vor drei Jahren ohne »ideologische Vorfestlegungen« und ergebnisoffen geprüft worden sei. »Es gab keine Denkverbote«, wies der Kanzlerkandidat der Grünen Vorwürfe der Union zurück. Was Scholz zu sagen hatte, war bis jW-Redaktionsschluss noch nicht nach außen gedrungen.

Ihm sei es um die Versorgungssicherheit gegangen, verteidigte sich Habeck. Die Betreiberkonzerne der drei Meiler Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland hätten darauf hingewiesen, dass eine mehr als nur kurzfristige Verlängerung der Laufzeiten mit den Vorräten an Brennelementen nicht leistbar gewesen wäre. Die Beschaffung neuen Spaltmaterials sei aber nicht vor Ende des Winters 2022/2023 möglich gewesen, erklärte der Wirtschaftsminister am Donnerstag. Die Abschaltung der Meiler verschob sich schließlich aufgrund einer Entscheidung des Kanzlers vom 31. Dezember 2022 auf den 15. April 2023.

Habeck hatte nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine Ende Februar 2022 und dem Stopp russischer Gasimporte durch Ostseepipelines angekündigt, ergebnisoffen eine Laufzeitverlängerung zu prüfen. Dies bezeichnete der Ausschussvorsitzende Stefan Heck (CDU) am Donnerstag gegenüber Journalisten als »großangelegtes Täuschungsmanöver«. Die Unionsparteien werfen den Ressortspitzen vor, »ideologisch« motiviert in interne Vorgänge eingegriffen zu haben.

Wiederholt seien Hinweise und Einschätzungen von Referenten und Referatsleitern zu der Frage nach oben gereicht worden, ob Atommeiler länger als geplant Strom ins Netz einspeisen sollen, sagte Heck vor Beginn der Sitzung. Wo sich diese für einen verlängerten AKW-Betrieb ausgesprochen hätten, seien sie inhaltlich geändert worden, um der »Ideologie« Robert Habecks zu entsprechen, behauptete der Ausschussvorsitzende. Der FDP-Politiker Frank Schäffler sekundierte, dass die Grünen die Öffentlichkeit betrogen und die Prüfvorgänge beeinflusst hätten.

Die damals bestehende Gasmangellage hätten die Atomkraftwerke nur minimal kompensieren können, sagte Habeck. Es sei um Einsparungen von möglicherweise »einem Promille« des Gasverbrauchs gegangen. Den Vorwürfen hielt der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz am Donnerstag vor Beginn der Anhörungen im Sender Phoenix entgegen, dass die BRD unter der unionsgeführten Vorgängerregierung in eine »massive Abhängigkeit von russischen Rohstoffen« geführt worden sei.

Im Wahlkampf würde die Union jetzt »eine sehr unsubstantiierte« und »sehr unschlüssige« Energiepolitik propagieren, kritisierte von Notz. CDU und CSU fordern – wie auch Lindners Partei – die Reaktivierung noch verfügbarer Atommeiler. Dadurch würde die BRD unabhängiger von Energieimporten und könnte ihren CO2-Ausstoß deutlich senken, so die Behauptung.

Tatsächlich stammen nicht unerhebliche Mengen des Rohstoffs für die Brennelemente aus der Russischen Föderation. Die Frage der Entsorgung von Atommüll blenden Befürworter der Reaktivierung ebenso aus wie den Zustand der Anlagen. Auf vorgeschriebene größere Sicherheitsüberprüfungen war wegen der absehbaren Abschaltung verzichtet worden.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (17. Januar 2025 um 09:47 Uhr)
    Eigentlich geht es einer bestimmten Lobby nur um eines: Um die Wiederbelebung der Atomkraftnutzung. Ausgeblendet in der Diskussion werden wieder einmal die Lehren von Tschernobyl und Fukushima. Dass nämlich die Atomkraftnutzung eine Hochrisikotechnik ist, deren Folgen unbeherrschbar sind, sollte sie den Technikern einmal entgleiten. Man redet von sehr geringen Wahrscheinlichkeiten, dass das passiert. Aber Tschernobyl und Fukushima gab es doch trotz all der niedrigen Wahrscheinlichkeiten! In der Wahrscheinlichkeitstheorie gilt als unumstößliche Tatsache, dass auch höchst unwahrscheinliche Ereignisse mit absoluter Sicherheit einmal passieren. Wieso soll das zum dritten Male in der Praxis geprüft werden? Zudem ist das Problem der Endlagerung der nuklearen Abfälle weiter ungelöst. Und es gehört sehr, sehr viel Phantasie dazu anzunehmen, es wäre je wirklich lösbar. Es ist unverantwortlich, was da von Leuten geredet wird, bei denen nur die Gegenwart zählt. Und denen die Zukunft völlig schnuppe ist.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (16. Januar 2025 um 23:38 Uhr)
    »Beispiel für einen Siedewasser-Reaktor mit einer elektrischen Nettoleistung von 1300 MW (Megawatt): 840 Brennelemente, 81-100 Brennstäbe pro Element, Urangehalt pro Element ca. 175 kg. Die Einsatzzeit der Brennelemente im Reaktor beträgt 3-4 Jahre. Der jährliche Nachladebedarf an Uran beträgt etwa 30 Tonnen.« so schreibt: https://www.stmuv.bayern.de/themen/reaktorsicherheit/ver_entsorgung/index.htm , stumv steht für »Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz«. Dividiert man 30 Tonnen durch 175 Kilogramm, kommen (gerundet) 171 heraus. Jährlich müssen also 171 Brennelemente ausgetauscht werden, was (bei 840 geteilt durch 171 gleich vierkommaneun) etwa auf die drei bis vier Jahre Einsatzzeit für ein Brennelement hinausläuft. Kurzer Sinn der langen Rechnung: Die Abschaltung der Reaktoren war lange geplant. So ungern ich einem Habeck zustimme, in diesem Punkt hat er recht, »dass eine mehr als nur kurzfristige Verlängerung der Laufzeiten mit den Vorräten an Brennelementen nicht leistbar gewesen wäre. Weiters schreibt «https://www.ausgestrahlt.de/themen/atomindustrie/atomfabrik-lingen-schliessen/ : »Anstatt den Atomausstieg zu vollenden, lässt die deutsche Politik die Atom-Fabrik in Lingen ungehindert weiter laufen. Mit Hilfe der russischen Atombehörde Rosatom, die direkt dem Kreml unterstellt ist, soll die Produktion dort sogar noch deutlich ausgeweitet werden. Damit würde Lingen zur zentralen Drehscheibe der europäischen Atomindustrie - mit Putin am Schalthebel.« Soviel zur schwarz-gelben Logik, weitere Kommentare spare ich mir, ausser: Der Atombombenbastler Strauss hat dafür gesorgt, dass die Kosten für die »Entsorgung« des radioaktiven Mülls von der Allgemeinheit, nicht von den Verursachern getragen werden müssen - sonst hätte es keine »zivilen« Kernreaktoren gegeben.

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