Schaukampf um Laufzeiten
Von Marc BebenrothDie Kameras im Paul-Löbe-Haus blieben wieder aus: Am Donnerstag hat der von der Unionsfraktion angestoßene Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg seine Anhörung von teils ehemaligen Kabinettsmitgliedern fortgesetzt. Nachdem am Mittwoch Umweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) und Exfinanzminister Christian Lindner (FDP) vernommen worden waren, stellten sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und SPD-Kanzler Olaf Scholz den Fragen der Ausschussmitglieder.
Habeck betonte, dass ein Weiterbetrieb der verbleibenden, Strom erzeugenden Atomkraftwerke in Deutschland vor drei Jahren ohne »ideologische Vorfestlegungen« und ergebnisoffen geprüft worden sei. »Es gab keine Denkverbote«, wies der Kanzlerkandidat der Grünen Vorwürfe der Union zurück. Was Scholz zu sagen hatte, war bis jW-Redaktionsschluss noch nicht nach außen gedrungen.
Ihm sei es um die Versorgungssicherheit gegangen, verteidigte sich Habeck. Die Betreiberkonzerne der drei Meiler Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland hätten darauf hingewiesen, dass eine mehr als nur kurzfristige Verlängerung der Laufzeiten mit den Vorräten an Brennelementen nicht leistbar gewesen wäre. Die Beschaffung neuen Spaltmaterials sei aber nicht vor Ende des Winters 2022/2023 möglich gewesen, erklärte der Wirtschaftsminister am Donnerstag. Die Abschaltung der Meiler verschob sich schließlich aufgrund einer Entscheidung des Kanzlers vom 31. Dezember 2022 auf den 15. April 2023.
Habeck hatte nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine Ende Februar 2022 und dem Stopp russischer Gasimporte durch Ostseepipelines angekündigt, ergebnisoffen eine Laufzeitverlängerung zu prüfen. Dies bezeichnete der Ausschussvorsitzende Stefan Heck (CDU) am Donnerstag gegenüber Journalisten als »großangelegtes Täuschungsmanöver«. Die Unionsparteien werfen den Ressortspitzen vor, »ideologisch« motiviert in interne Vorgänge eingegriffen zu haben.
Wiederholt seien Hinweise und Einschätzungen von Referenten und Referatsleitern zu der Frage nach oben gereicht worden, ob Atommeiler länger als geplant Strom ins Netz einspeisen sollen, sagte Heck vor Beginn der Sitzung. Wo sich diese für einen verlängerten AKW-Betrieb ausgesprochen hätten, seien sie inhaltlich geändert worden, um der »Ideologie« Robert Habecks zu entsprechen, behauptete der Ausschussvorsitzende. Der FDP-Politiker Frank Schäffler sekundierte, dass die Grünen die Öffentlichkeit betrogen und die Prüfvorgänge beeinflusst hätten.
Die damals bestehende Gasmangellage hätten die Atomkraftwerke nur minimal kompensieren können, sagte Habeck. Es sei um Einsparungen von möglicherweise »einem Promille« des Gasverbrauchs gegangen. Den Vorwürfen hielt der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz am Donnerstag vor Beginn der Anhörungen im Sender Phoenix entgegen, dass die BRD unter der unionsgeführten Vorgängerregierung in eine »massive Abhängigkeit von russischen Rohstoffen« geführt worden sei.
Im Wahlkampf würde die Union jetzt »eine sehr unsubstantiierte« und »sehr unschlüssige« Energiepolitik propagieren, kritisierte von Notz. CDU und CSU fordern – wie auch Lindners Partei – die Reaktivierung noch verfügbarer Atommeiler. Dadurch würde die BRD unabhängiger von Energieimporten und könnte ihren CO2-Ausstoß deutlich senken, so die Behauptung.
Tatsächlich stammen nicht unerhebliche Mengen des Rohstoffs für die Brennelemente aus der Russischen Föderation. Die Frage der Entsorgung von Atommüll blenden Befürworter der Reaktivierung ebenso aus wie den Zustand der Anlagen. Auf vorgeschriebene größere Sicherheitsüberprüfungen war wegen der absehbaren Abschaltung verzichtet worden.
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