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Aus: Ausgabe vom 17.01.2025, Seite 6 / Ausland
Bolivien

Morales unter Verdacht

Bolivien: Verfahren gegen Expräsidenten wegen Menschenhandel und sexueller Ausbeutung Minderjähriger. Der Beschuldigte sieht politisches Motiv
Von Thomas Walter
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Kundgebung für Morales: Hinsichtlich der Person des früheren Präsidenten ist Boliviens Gesellschaft gespalten (La Paz, 13.1.2025)

Wie erwartet, ist Evo Morales – von 2006 bis 2019 linker Präsident Boliviens – am Dienstag nicht zur Anhörung in dem gegen ihn laufenden Verfahren wegen Menschenhandels erschienen. Seit 2020 ermittelt die Staatsanwaltschaft von Tarija wegen des Vorwurfs der sexualisierten Gewalt gegen eine Minderjährige. Der Vater des Mädchens ist mittlerweile in Haft, er soll 2015 seine damals 15jährige Tochter im Gegenzug für Geld und ein öffentliches Amt Morales’ Leibgarde überlassen haben. Sie soll auch ein Kind von Morales bekommen haben. Dessen Anwälte begründeten das Nichterscheinen mit fehlender Akteneinsicht und damit der Unmöglichkeit einer angemessenen Verteidigung. Morales selbst hat das Verfahren gegen ihn immer wieder als politisch motiviert bezeichnet.

Tatsächlich wurde die Anklage erst 2019 nach dem Putsch gegen ihn erhoben, als die Rechte vorübergehend an die Macht kam und Morales ins argentinische und mexikanische Exil flüchtete. Allerdings wurde die Strafsache auch unter seinem Nachfolger und einstigen Schützling, dem derzeitigen Präsidenten Luis Arce, nicht eingestellt. Eine naheliegende Lesart ist, dass Morales die Angelegenheit unter Verschluss halten konnte, solange er selbst an der Macht war. Seit Arce die Regierungsgeschäfte übernommen hat, ist jedoch ein erbitterter Machtkampf zwischen den beiden entbrannt, der die regierende »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) tief gespalten hat. Morales wirft seinem ehemaligen Günstling vor, Bolivien wirtschaftlich zu ruinieren und ihn mittels »juristischer Kriegführung« an einer Rückkehr zur Macht hindern zu wollen. Arce, der unter Morales’ Präsidentschaft als Architekt des Wirtschaftsbooms galt, hält dagegen, dass Morales es jahrelang verpasst habe, neue Gasvorkommen zu erschließen, weswegen er schuld am heutigen Einbruch der Produktion sei.

Es hat den Anschein, dass es sich bei dem Konflikt zwischen den beiden weniger um grundsätzliche Positionen denn um einen persönlichen Machtkampf handelt. Sowohl Arce, der aus der Mittelschicht stammt und einen marxistischen Hintergrund hat, als auch Morales, ein indigener Gewerkschafter der Kokabauern von Cochabamba, sind sich einig in ihrer antiimperialistischen Haltung, dem Willen zur Kontrolle über die bolivianischen Rohstoffe nach jahrzehntelanger Abhängigkeit von transnationalen Konzernen und der Hinwendung zu China und Russland auf der Suche nach Investitionen und Technologietransfer. Neben Erdgas und Zinn verfügt Bolivien über die größten Lithiumvorkommen weltweit, unverzichtbarer Rohstoff für die »grüne« Elektrifizierung des Individualverkehrs in den ­Industrienationen.

Die bolivianische Historikerin Lupe Cajías meint zu den Hintergründen des Streits: »Was sind die Ursachen? Macht und Geld, wie so oft. Morales hat einen starken Drang zur Macht. Sein Ehrgeiz besteht darin, der einzige zu sein, er hat es geschafft, andere große Führer zu neutralisieren, er hat den Aymara (eine der beiden großen bolivianischen Bevölkerungsgruppen, jW) seine Vision aufgezwungen, er hat sich der Gründer des MAS entledigt und agiert wie ein Caudillo. Er will regieren, und auch Arce will seine eigene Chance nutzen. Ähnlich wie in Ecuador zwischen einem anderen revolutionären Caudillo, Rafael Correa, und seinem Nachfolger, Lenín Moreno.«

Präsident Arce hofft auf einen Ausweg aus der derzeitigen Wirtschaftskrise durch die Erschließung eines im Juli 2023 entdeckten Gasvorkommens von rund 49 Milliarden Kubikmetern Größe. Für die wirtschaftliche Nutzung ist Bolivien aber auf ausländisches Kapital angewiesen, seit die Devisenreserven fast ausschließlich für den Import von Treibstoff verbraucht werden.

Morales’ Zukunft bleibt ungewiss. Auf sein Nichterscheinen hin hat die Staatsanwaltschaft die Anordnung einer sechsmonatigen Präventivhaft angekündigt. Seit vergangenem Jahr laufen gegen ihn außerdem weitere Verfahren wegen Vergewaltigung und Menschenhandels mit Minderjährigen im Departement Cochabamba. In den Kokagebieten des Chapare kann er aber auf eine breite militante Unterstützung zählen. Die Vollstreckung eines Haftbefehls dürfte sich daher als schwierig herausstellen.

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