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Aus: Ausgabe vom 17.01.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
KI-Hauptstadt Europas

Google goes Dummerstorf

In norddeutscher Provinz soll Europas »KI-Hauptstadt« entstehen. US-Techgiganten angeblich interessiert, Rostock erwärmt sich für die Idee
Von Ralf Wurzbacher
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Künftiges KI-Zentrum: Dummerstorf in Mecklenburg-Vorpommern

Wenn das große Geld lockt, verschlägt es mithin die weltgrößten Konzerne in die tiefste Provinz. Dummerstorf, eine 7.700-Seelen-Gemeinde im Südosten Rostocks, soll schon bald »die KI-Hauptstadt Europas« werden. So jedenfalls titelte am Donnerstag die Bild über einer Geschichte, die sich ein Satiriker nicht besser hätte ausdenken können. Ein »XXL-Rechenzentrum«, zu Baukosten von einer Milliarde Euro, um dessen Realisierung Techgiganten wie Google, Microsoft und Meta buhlen und in dem künftig die hellsten Köpfe die brillantesten Innovationen ausbrüten. Und das alles ausgerechnet in: Dummerstorf.

Kein Witz. Vor dem Springer-Blatt hatten schon die Ostseezeitung (OZ) und der Norddeutsche Rundfunk (NDR) berichtet. Demnach sollen die Pläne zur Ansiedlung schon seit Monaten reifen und unmittelbar vor der Umsetzung stehen. Das fragliche Gelände, 32 Hektar groß und in direkter Nähe zu einem im vergangenen September eröffneten Amazon-Logistikzentrum, sei bereits vor einem Jahr erworben worden, durch einen Projektentwickler, der mit den Schlachtrössern der Technologiebranche verhandele, schrieb der NDR. Offen sei nur noch, wer am Ende das Rennen macht. Neben den Genannten sind wohl noch Amazon selbst, Oracle und Bytedance in der Verlosung. Ende Januar wollen sich Investoren und Wirtschaftsförderer offiziell zur Ansiedlung äußern.

Aber warum wird Dummerstorf »sozusagen das europäische ›Gehirn‹ für Anwendungen wie Chat-GTP«, wie die OZ formulierte? Hier kommt das nächste Superlativ ins Spiel: Der Standort soll ganz nebenbei auch noch die Energienöte der größten Stadt in Mecklenburg-Vorpommern beheben. Rostock will und muss seine Fernwärmeversorgung für mehr als 80.000 Haushalte an der Warnow umstellen. Bisher erledigt das überwiegend das Heizkraftwerk in Marienehe mittels verfeuertem Erdgas, also mitnichten umweltfreundlich. Um die avisierte Klimaneutralität bis zum Jahr 2035 zu schaffen, will man auch das warme Wasser »grün« erzeugen, und mit der Abwärme des in Zukunft größtenteils mit Solar- und Windstrom betriebenen Rechenzentrums soll dies möglich werden. Ein Benefit mehr: Die Technologie wäre wohl auch günstiger für die Verbraucher – eine »Win-win-Situation«, kommentierte die Ostseezeitung.

Derlei haben einst auch die Macher der Tesla-Gigafactory in Grünheide bei Berlin versprochen. Die gräbt den Menschen heute das Wasser ab, und noch einmal Hunderte Quadratmeter mehr an Wald werden für den Ausbau geopfert werden müssen. Prima Klima! Auf alle Fälle wird der Monsterbau in Dummerstorf, so er denn einmal steht, der landesweit größte Stromverbraucher, mit einem Bedarf von »mehreren hundert Megawatt«, wie ein Insider der Presse mitteilte. Dafür könnte in der Nähe ein neues Umspannwerk entstehen, mit dem Netzbetreiber 50-Hertz sollen schon länger konkrete Gespräche laufen. »Wir haben Energie im Überfluss, und wir haben hier noch kaum Abnehmer«, gab der NDR im Januar 2024 einen Experten wieder. Die ungenügende Netzinfrastruktur zwischen Rostock und Güstrow lasse einen Transport großer Mengen nicht zu. Deshalb braucht es einen Kunden, der vor Ort viel Strom verpulvert.

Da kommt ein Rechenzentrum im XXL-Format mit Tausenden Servern, die gekühlt werden müssen, gerade recht. Und erst die ganzen Arbeitsplätze, die Rede ist »von Hunderten«. Für derlei Verheißungen lässt die Politik für gewöhnlich viel Geld springen. Die Bundesregierung wollte dem US-Chiphersteller Intel satte zehn Milliarden Euro für eine Ansiedlung bei Magdeburg überweisen. Für das Investment des taiwanesischen Konkurrenten TSMC in ein Chipwerk bei Dresden sind Beihilfen von fünf Milliarden Euro bewilligt worden. Wie viel die öffentliche Hand für den Coup in Meck-Pomm locker machen will, ist noch nicht kolportiert. Es wird gewiss nicht wenig sein. Aber Vorsicht: Während in Dresden tatsächlich gebaggert wird, hat Intel sein Projekt in Magdeburg auf Eis gelegt, und dass es mit einem US-Präsidenten Donald Trump irgendwann losgeht, ist unwahrscheinlich. Was, wenn dereinst auch der Traum von der deutschen EU-KI-Metropole platzt? Das wäre dann gewiss dumm gelaufen.

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