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Aus: Ausgabe vom 17.01.2025, Seite 12 / Thema
Imperialismus und Krieg

Töten durch VR-Brille

Neuere Entwicklungen in der Drohnentechnologie haben den Krieg in der Ukraine fundamental verändert
Von Lars Lange
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VR-Brille auf der Stirn, FPV-Drohne in der Hand: Krieg von heute (Region Saporischschja, 11.10.2024)

Die unter militärischen Gesichtspunkten wohl bemerkenswerteste Entwicklung im Ukraine-Krieg ist der massenhafte Einsatz von Drohnen. Haben das Maschinengewehr, der Panzer oder das Flugzeug einst die Art der Kriegführung fundamental verändert, so erleben wir heute mit der Drohnentechnologie eine in ihren Auswirkungen noch radikalere Transformation.

Der seit fast drei Jahren laufende Ukraine-Krieg ist nicht der erste Konflikt, in dem Drohnen eine wichtige Rolle spielen. Pioniere waren die USA mit ihren »Predator«- und »Reaper«-Drohnen in Afghanistan und Pakistan ab 2001. Diese großen, flugzeugähnlichen Systeme führten erstmals bewaffnete Einsätze durch, agierten aber noch recht konventionell als ferngesteuerte Flugzeuge. Der Bergkarabachkonflikt 2020 gilt als erster echter Drohnenkrieg: Hier zeigten die türkischen »Bayraktar«-Drohnen eine kriegsentscheidende Wirkung gegen die armenische Armee. Die Ukraine setzte die »Bayraktar« in den Anfangswochen des Krieges ebenfalls ein, doch die russische Luftabwehr lernte schnell, diese Bedrohung zu neutralisieren.

Die Drohnen aber, die heute das Schlachtfeld dominieren und es fundamental verändert haben, kamen ab 2023 in der Ukraine zum Einsatz: kleine, ursprünglich aus dem Spielzeugbereich stammende Quadrocopter, sogenannte FPV-Drohnen. FPV steht für »First Person View« – der Pilot sieht durch das Kameraauge der Drohne mittels einer Videobrille. Militärische Verwendung fanden diese nur etwa 30 Zentimeter großen Drohnen erstmals bei Gefechten gegen den »Islamischen Staat« in Syrien und Irak ab 2014, wo sie für Aufklärung, Propaganda und Angriffe genutzt wurden. Doch erst im Ukraine-Krieg zeigte sich ihr volles militärisches Potential.

Die Revolution der Drohnenkriegführung betrifft alle militärischen Operationsräume: Drohnen kommen zu Land, zur See und in der Luft zum Einsatz. Während Luft- und Seedrohnen in der Ukraine bemerkenswerte Erfolge erzielten, blieben unbemannte Landfahrzeuge bislang ohne durchschlagenden militärischen Erfolg. Komplexe Geländenavigation, hohe Verwundbarkeit und ungünstige Kosten-Nutzen-Relation sind die Hauptgründe dafür. Bisher beschränken sich ihre Einsätze auf Versorgung und Verwundetentransport.

Effektiv und kaum zu bekämpfen

Überaus erfolgreich hingegen sind sie zur See. Mit vergleichsweise einfachen, doch hocheffektiven Überwasserdrohnen konnte die Ukraine einen großen Teil der russischen Schwarzmeerflotte zerstören, beschädigen oder zur Verlegung zwingen. Besonders bemerkenswert ist dabei die extreme Asymmetrie der Kosten: Mit sprengstoffbeladenen Seedrohnen im Wert von wenigen hunderttausend Euro, die als Rammboote eingesetzt werden, wurden Kriegsschiffe im Milliardenwert beschädigt oder versenkt. Die Ukraine zeigte große Innovationskraft, indem sie schnelle, unbemannte Speedboote entwickelte, gesteuert über das »Starlink«-Satellitensystem. Gegen diese maritimen Kamikazedrohnen – ein Konzept, das sich später auch in der Luft als höchst effektiv erweisen sollte – fanden die traditionellen Abwehrsysteme der russischen Marine keine effektive Antwort.

Die Ukraine konnte durch den Einsatz solcher Drohnen im westlichen Schwarzmeer Sperrzonen schaffen, weil der betreffende Raum für russische Kriegsschiffe zu gefährlich geworden war. Ein militärhistorisch einmaliger Vorgang: Eine Armee, die ihre Marine bereits in den ersten Kriegswochen fast vollständig verloren hatte, zwingt eine der größten Seestreitkräfte der Welt zum Rückzug – und das hauptsächlich durch den Einsatz von Drohnentechnologie.

Dabei entstand die massive Entwicklung der ukrainischen Drohnenfähigkeiten zunächst aus der Not heraus. Bei Kriegsbeginn verfügte die Ukraine weder über eine schlagkräftige Luftwaffe noch über ausreichend moderne Präzisionswaffen. Diese militärische Unterlegenheit zwang zur Innovation: Überall im Land entstanden kleine Startups, die in Wohnzimmern, Hinterhöfen oder Garagen Drohnen zusammenbauten. Das Produktions- und Entwicklungsmodell ist dabei bemerkenswert pragmatisch. Kernkomponenten wie Motoren und Elektronik werden aus China importiert, während die Drohnenrahmen oft mittels 3-D-Druck selbst hergestellt werden. Diese dezentrale Fertigung erwies sich als effektiv – und resilient gegen russische Angriffe, denn kleine Werkstätten in dichter Wohnbebauung sind durch Aufklärung kaum zu identifizieren und somit schwer zu bekämpfen.

Gläsernes Gefechtsfeld

Die erste Phase der Drohnenkriegführung in der Ukraine war die Entstehung des »gläsernen Gefechtsfeldes« durch systematische Luftaufklärung. Spezielle Aufklärungsdrohnen in Flugzeugform können sehr lange in der Luft bleiben und machen praktisch jede größere Truppenbewegung sofort sichtbar. Als besonders effenktiv erweist sich die drohnenkorrigierte Artillerie, jahrzehntealte Geschütze werden in Präzisionswaffen verwandelt. Diese Kombination alter Waffen mit neuen Systemen war bislang für die meisten Verluste verantwortlich.

In der zweiten Phase wurden kommerzielle Drohnen mit einfachen Sprengladungen modifiziert. Die dritte Phase ab Frühjahr 2023 brachte den systematischen Einsatz von FPV-Drohnen für Direktangriffe – Einwegwaffen für etwa 400 Euro pro Stück, die einen massenhaften Einsatz ermöglichen. Die vierte Phase ist gekennzeichnet durch die systematische Integration der Drohnentechnologie in die operative Ebene der Kriegführung. Durch die permanente Drohnenaufklärung und Echtzeitkommunikation verfügen Kommandeure auf operativer Ebene nun über ein detailliertes Lagebild und Entscheidungsmöglichkeiten, die früher nur der strategischen Führung vorbehalten waren. Die Verlagerung von Aufklärungsfähigkeiten und Entscheidungskompetenzen auf niedrigere Führungsebenen verändert die militärische Kommandostruktur.

War die Ukraine Pionier der neuen Technologie, adaptierte die russische Seite diese sehr schnell. Im Gegensatz zur Ukraine konnte die russische Industrie die Produktion aber im großen Maßstab organisieren. Auch der leichtere Zugang zu Komponenten und Produktionsmaschinen aus China erwies sich als Vorteil. Mittlerweile hat Russland die Ukraine bei der Produktion der kleinen Flugdrohnen überholt – ukrainische Einheiten klagen zunehmend über Mangel an FPV-Drohnen, während die russische Armee sie in großer Zahl einsetzen kann.

Die Einsatzmuster haben sich bei beiden Seiten ähnlich entwickelt. FPV-Drohnen werden sowohl gegen hochwertige Ziele wie Panzer und Artillerie eingesetzt als auch zur permanenten Bedrohung gegnerischer Stellungen und einzelner Soldaten. Sie machen die Versorgung der Frontlinie äußerst schwierig. Ihre Reichweite von ungefähr zehn Kilometern schafft einen Todesstreifen entlang der gesamten Front. Hunderte Aufklärungsdrohnen erfassen durchgängig jede Bewegung, selbst einzelne Soldaten werden in ihren Unterständen angegriffen – sogar von hinten oder in Innenräumen, dank der dreidimensionalen Bewegungsfähigkeit der FPV-Waffen. Die Abwehr gestaltet sich insofern schwierig, als beide Seiten mittlerweile kabel-gebundene FPV-Drohnen einsetzen, die gegen die übliche Funkstörung immun sind. Passive Schutzmaßnahmen wie Metallnetze, Metallgitter oder eine reaktive Panzerung (ERA) bieten immerhin etwas Schutz für Fahrzeuge.

Als strategische Komponente setzt Russland zudem auf die ursprünglich iranische »Shahed«-Drohne, die bis zu 50 Kilogramm Sprengstoff über Hunderte Kilometer transportieren kann. Anders als taktische Drohnen, die direkt auf dem Gefechtsfeld gegen militärische Ziele eingesetzt werden, zielen diese strategischen Drohnen auf die kritische Infrastruktur des gegnerischen Hinterlandes. Tausende dieser günstigen Drohnen werden monatlich in einer erfolgreichen Kampagne gegen die ukrainische Energieinfrastruktur eingesetzt. Die Ukraine verfügt über deutlich weniger Langstreckendrohnen, deren Einsatz bisher keine vergleichbare strategische Wirkung erzielte. Diese groß angelegte »Shahed«-Kampagne könnte sich durchaus als kriegsentscheidend erweisen, wenn es gelingt, die kritische Infrastruktur der Ukraine nachhaltig zu schädigen.

Molekularisiertes Gefechtsfeld

Dieser Fall zeigt: Drohnentechnologie kann kriegsentscheidend sein – besonders wenn eine Seite einen deutlichen quantitativen oder qualitativen Vorsprung in einem spezifischen Bereich hat. So dürfte beim kürzlichen Umsturz von Assad im Syrien-Krieg der professionelle Einsatz von Drohnen durch die Anti-Assad-Truppen eine große Rolle gespielt haben. Im taktischen Bereich des Ukraine-Kriegs hingegen, wo beide Seiten über vergleichbare Drohnenfähigkeiten verfügen, sind sie zwar nicht kriegsentscheidend, aber fundamental kriegsverändernd: Waffensysteme und Taktiken, die noch vor wenigen Jahren als modern und zeitgemäß galten, sind durch die allgegenwärtige Drohnenbedrohung weitgehend obsolet geworden.

Wie sehr Drohnen die Kriegführung auch modernisieren, der Ausgang des Krieges wird weiterhin von klassischen Faktoren wie industrieller Kapazität, Logistik, Strategie und Moral bestimmt. Auch beim Maschinengewehr hatte sich gezeigt, dass Kriegführung ein wechselwirkender Prozess ist – auf neue Technologien folgen Gegentechnologien und Anpassungen der Taktik. In der Ukraine hat das zu einer fundamentalen Transformation geführt, der Molekularisierung des Gefechtsfeldes. Durch die allgegenwärtigen Drohnen, die entweder selbst zuschlagen oder rückwärtige Artilleriekräfte lenken können, ist ein Aufmarsch überlegener Kräfte nur noch unter großen Verlusten denkbar und wird de facto vermieden. Statt dessen setzt man auf den systematischen Einsatz kleiner Einheiten mit leichten Fahrzeugen. Strandbuggys oder Motorräder – sehr beweglich und kaum auffällig – erweisen sich als ideal für diese neue Form des Gefechts. Diese Entwicklung bricht radikal mit dem jahrzehntelangen Trend zu immer schwereren und komplexeren Militärfahrzeugen.

Was bisher bestenfalls in Spezialoperationen oder bei irregulären Kräften zu finden war, entwickelt sich damit zum zentralen Element der modernen Kampfführung. Die Vorteile dieser leichten Fahrzeuge sind vielfältig. Ihre extreme Mobilität macht sie zu schwer fassbaren Zielen für Drohnen und Artillerie. Ihre geringe Größe und minimale Infrarotsignatur erschweren die Aufklärung. Die einfache Mechanik erlaubt schnelle Reparaturen im Feld. Vor allem aber sind sie so kostengünstig, dass ihr Verlust tragbar ist – ein entscheidender Vorteil in einer Zeit, in der jedes Fahrzeug davon bedroht ist, früher oder später von einer Drohne entdeckt und zerstört zu werden.

Ein prägnantes Beispiel sind die chinesischen Desertcross-Buggys, die zu Tausenden an Russland geliefert und im Kampf eingesetzt werden. Diese Fahrzeuge kombinieren minimale Logistikanforderungen mit maximaler taktischer Mobilität. Sie können in großer Stückzahl beschafft und weiträumig verteilt werden, was perfekt zum molekularen Konzept der verteilten Operationsführung passt. Die leichten Fahrzeuge ermöglichen völlig neue Taktiken. Kleine Kampfgruppen schlagen schnell zu und zerstreuen sich sofort wieder. Die hohe Mobilität erlaubt es, den »Tod durch Stehen« zu vermeiden, der in Zeiten allgegenwärtiger Drohnenaufklärung jede statische Einheit bedroht. Bemerkenswert ist auch die Kosteneffizienz. Für den Preis eines modernen Schützenpanzers lassen sich Dutzende dieser leichten Fahrzeuge beschaffen.

Irregulär wird regulär

Diese Fahrzeuge ergänzen dabei die klassischen Schützenpanzer, ersetzen sie aber nicht. Während schwer zusatzgepanzerte Fahrzeuge für den Angriff auf befestigte Stellungen weiterhin unverzichtbar sind, eignen sich die leichten Fahrzeuge besonders für überraschende, schnelle Vorstöße, für Hit-and-Run-Operationen. Diese Aufgabenteilung zeigt sich besonders deutlich im Ukraine-Krieg, mit bemerkenswerter Konvergenz. Guerillataktik als konventionelle Kriegführung. Die Drohnenrevolution zwingt reguläre Streitkräfte, Taktiken zu übernehmen, die früher charakteristisch für irreguläre Kriegführung waren. Zudem macht die allgegenwärtige Drohnenaufklärung eine Verkleinerung der kämpfenden Einheiten nötig. Auch dieses Element der Molekularisierung markiert einen fundamentalen Bruch mit traditionellen militärischen Konzepten: Wo früher Kompanien und Bataillone als kleinste taktische Einheiten galten, bestimmen heute Gruppen und Züge das Gefechtsfeld, mit maximal 60, zumeist sogar um die zehn oder weniger Soldaten. Und die zunehmende Bedeutung leichter Fahrzeuge stellt die traditionelle militärische Beschaffungspolitik in Frage. Statt weniger, teurer Hightechplattformen könnte die Zukunft in der massenhaften Beschaffung einfacher, robuster und hochmobiler Fahrzeuge liegen.

Davon abgesehen hat Russland den klassischen Kampfpanzer weiterentwickelt – zu einem fahrenden Bunker, dem sogenannten Schildkrötenpanzer, der mit einer scheunenartigen, zusätzlichen Panzerung ausgestattet vor einem Infanteriezug fährt, um das Feuer auf sich zu ziehen, Minen zu räumen oder mittels der schweren Panzerung das Durchbrechen gegnerischer Stellungen zu ermöglichen. Der klassische Panzerverband hingegen ist praktisch verschwunden. Wir erleben eine Renaissance des Panzers als Unterstützung der Infanterie – eine Rückkehr zu seinen historischen Wurzeln im Ersten Weltkrieg. Moderne Panzereinsätze erfolgen jetzt meist mit ein bis zwei Fahrzeugen, eingebunden in Infanterieoperationen. Diese Kleinstverbände, oft nur ein Kampfpanzer und ein bis vier Schützenpanzer, operieren sehr dynamisch. Die taktische Antwort auf die Bedrohung durch Drohnen zwingt also zu fundamentalen Änderungen im Einsatz von Panzern. Große, konzentrierte Panzerverbände, wie sie noch in den Doktrinen vieler Armeen vorgesehen sind, waren zum leichten Ziel geworden. Die Zeiten, in denen solche Einheiten tief in gegnerisches Gebiet vorstoßen konnten, auch als »Manöverkriegführung« bekannt, scheinen vorbei.

Das alles wirft die Frage auf, ob milliardenschwere Investitionen in schwere Kampfpanzer noch zeitgemäß sind. Ähnlich wie die Kavallerie zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch neue Waffentechnologien obsolet wurde, könnte der klassische Kampfpanzer durch die Drohnenrevolution sein Ende finden. Moderne Armeen müssen sich fragen, ob diese Ressourcen nicht besser in neue, drohnenbasierte Systeme investiert wären. Die Zukunft gepanzerter Kampffahrzeuge dürfte in leichteren und mobileren Systemen liegen, die weniger verwundbar gegen Drohnenangriffe sind. Klassische Panzer wären heute als eine Art Brückentechnologie anzusehen. Woraus deutlich wird, wie wichtig es ist, das strategische Potential neuer Technologien früh zu erkennen – die Beschaffung obsoleter Waffensysteme könnte eine Armee technologisch für Jahre oder gar Jahrzehnte ins Abseits manövrieren.

Ähnlich wie beim Kampfpanzer stellt sich auch bei bemannten Kampfflugzeugen die Frage nach ihrer Zukunft. Die erfolgreichen »Shahed«-Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur zeigen, dass relativ simple, aber massenhaft produzierte Drohnen eine ähnliche strategische Wirkung erzielen können wie klassische Luftangriffe. Mit Stückkosten von etwa 20.000 US-Dollar ist eine »Shahed« dabei um ein Vielfaches günstiger als moderne Präzisionsmunition, geschweige denn ein modernes Kampfflugzeug. Dieses vereint verschiedene Fähigkeiten – Luftüberlegenheit, Aufklärung, Bodenkampf, elektronische Kriegführung – in einer einzigen, extrem teuren Plattform. Die Drohnentechnologie ermöglicht es, diese Funktionen auf spezialisierte, deutlich kostengünstigere unbemannte Systeme zu zergliedern: Aufklärungsdrohnen, Kampfdrohnen, Stördrohnen. Diese können in weitaus größerer Zahl eingesetzt werden und sind aufgrund ihrer geringeren Größe und Infrarotsignatur schwerer zu bekämpfen.

Während die Entwicklung von Kampfflugzeugen der 5. oder gar der 6. Generation mit Kosten in Milliardenhöhe vorangetrieben wird, zeigt der Ukraine-Krieg, dass die Zukunft möglicherweise in der massenhaften Produktion spezialisierter, unbemannter Systeme liegt. Die Frage ist nicht mehr, ob, sondern wann bemannte Kampfflugzeuge von Drohnensystemen abgelöst werden.

Nächste Revolution: KI

Denn die strategischen Implikationen der »Shahed«-Kampagne sind weitreichend. Russland demonstriert, dass auch relativ einfache Drohnentechnologie, in großer Zahl eingesetzt, massiven Schaden anrichten kann. Mit über 1.800 »Shahed«-Drohnen allein im Dezember erreicht diese Kampagne eine bisher ungekannte Intensität. Die ukrainische Luftabwehr muss wertvolle Abwehrkapazitäten gegen vergleichsweise billige Drohnen einsetzen – ein entschieden asymmetrisches Kosten-Nutzen-Verhältnis. Selbst wenn die Mehrheit der Drohnen abgeschossen wird, erreichen bei dieser Masse genug ihr Ziel, um kritische Infrastruktur dauerhaft zu beschädigen – und das Kosten-Nutzen-Verhältnis noch weiter zugunsten der günstigen Suiziddrohnen zu verschieben.

Diese Form der strategischen Luftkriegführung stellt traditionelle Konzepte der Luftüberlegenheit in Frage. Eine Nation braucht keine kostspielige Luftwaffe mehr, um strategische Ziele zu bekämpfen. Entscheidend ist hier die Fähigkeit zur industriellen Massenproduktion dieser Drohnen. Klassische Luftverteidigungssysteme, ausgelegt für die Abwehr von Kampfflugzeugen und ballistischen Raketen, stoßen so an ihre Grenzen. Das könnte der Vorbote einer fundamentalen Veränderung in der strategischen Luftkriegführung sein. Weg von wenigen, hochkomplexen Plattformen, hin zu massenhaft eingesetzten, autonomen Systemen. Die »Shahed«-Kampagne könnte sich als ebenso wegweisend erweisen wie einst die ersten strategischen Bomberkampagnen.

Und damit scheint sich ein weiteres Prinzip abzuzeichnen. Anscheinend erweisen sich einfache, robust konstruierte und massentauglich produzierbare Systeme als überlegen gegenüber komplexen Hightechlösungen. So etwa bei den FPV-Drohnen, bei denen Russland durch seine industrielle Basis und den Zugang zu chinesischen Komponenten einen entscheidenden Vorteil erlangt hat, oder bei den strategischen »Shahed«-Drohnen, deren relative Einfachheit erst die massenhafte Produktion ermöglicht.

Während nun diese Revolution in der Drohnenkriegführung noch im Gang ist, zeichnet sich die nächste schon ab. Sogenannte künstliche Intelligenz wird die Fähigkeiten unbemannter Sy-steme dramatisch erweitern. Schon heute verfügen moderne Drohnen über grundlegende autonome Funktionen wie automatische Hindernisumgehung oder selbständige Rückkehr bei Signalverlust. Was nur der Anfang ist. Die Integration von KI wird vor allem das Schwarmverhalten revolutionieren. Dutzende oder gar Hunderte Drohnen könnten künftig als koordinierter Schwarm agieren, sich gegenseitig unterstützen und auch bei Störung der Kommunikation autonom ihre Mission fortsetzen. Besonders brisant ist die Entwicklung autonomer Zielerfassung und Zielbekämpfung. Während heute nach wie vor Menschen die letzte Entscheidung über einen Angriff treffen, könnten KI-gesteuerte Drohnen künftig selbständig Ziele identifizieren und bekämpfen.

Die Kombination aus künstlicher Intelligenz, Schwarmtechnologie und kostengünstiger Massenproduktion könnte dabei eine alles bestimmende Asymmetrie schaffen. Autonome Drohnenschwärme, die klassische Waffensysteme durch schiere Masse und überlegene Reaktionsgeschwindigkeit überwältigen. Die Revolution der Drohnentechnologie stellt somit einen historischen Wendepunkt dar, sie verändert die Kriegführung durch die Molekularisierung des Gefechtsfeldes und macht traditionelle Waffensysteme obsolet. Wie einst die Einführung des Schießpulvers scheint divese Transformation unumkehrbar – keine Armee der Welt wird in Zukunft ohne Drohnentechnologie auskommen können. Der Ukraine-Krieg markiert damit den Beginn eines neuen militärischen Zeitalters.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in André M. aus Berlin (17. Januar 2025 um 07:40 Uhr)
    Klare und nüchterne Analyse! Top! Damit kann man was anfangen. Danke. Anmerkung zu den Seedrohnen: Dieses asymmetrische Verhältnis gab es schon: z. B. Torpedoboote gegen Großkampfschiffe vor 150 Jahren. Auch die sowjetisch/russische Kompetenz in Raketentechnik (ob land-, luft- oder seegestützt) hat nun nicht mehr die hohe Bedeutung auf Grund der krassen Asymmetrie bei Aufwand und Nutzen. Eine S-400 (oder besser zwei – die zum Abfangen eines Luftziels üblicherweise gestartet werden) ist dermaßen teuer, dass eine Abwägung stattfinden muss, ob sie überhaupt gestartet wird. Ein krasses Dilemma der russischen Luftabwehr. Die Ergebnisse sind immer wieder in erfolgreichen ukr./NATO-Attacken auf wertvolle Ziele im russischen Hinterland zu sehen. Der unglaublich weite Raum macht eine lückenlose Luftraumüberwachung unmöglich, und das, obwohl die russischen Fähigkeiten der Luftabwehr zu den besten gehören, die es weltweit gibt.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in André M. aus Berlin (17. Januar 2025 um 07:40 Uhr)
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    • Leserbrief von Beeskow aus Hakenfelde (18. Januar 2025 um 11:28 Uhr)
      Eine ungeordnete Auswahl weiterer Problemstellungen in Frage- und Thesenform: 1. Werden auch kleinere Staaten unter Ausschöpfung bisher undenkbarer Konfrontationen eingehen können (frei gewähltes Beispiel Singapur vs. VRCh?). Wie verhalten sich die Kategorie »Staat« gegenüber »Technologieträger« oder anders: Kann »Meta« Kriegssubjekt werden? Welches Potential hat die BRD in Bezug auf diese neuen Technologien? Welche Rolle nimmt innerhalb einer solchen Bewertung der LFK Taurus ein? Wie ist (auf technologischer und (!) politischer Ebene das Moment der sogenannten Autonomie (bzw. »Selbstaändigkeit« oder auch »Fire and Forget«) im Rahmen operativer oder strategischer Ebenen zu bewerten? Wie wird die zukünftige US-Regierung mit den Entwicklungstendenzen umgehen (Musk vs. traditionelles Denken, Zukunft der Flugzeugträger u. a. m.) ? Diese völlig ungeordneten (?) Fragestellungen sind in Wechselwirkung mit den herrschenden Produktionsweisen, ihrem Untergehen und Neu-Entstehen und den damit einhergehen Verschiebungen im Verhältnis von »Unterbau« und »Überbau« (in letzterem mit völliger Verwirbelung) zu betrachten. Was schließlich sagt die Arbeiterklasse dazu?

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