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Aus: Ausgabe vom 17.01.2025, Seite 14 / Medien
Buchbranche schwächelt

Es geht nicht um Inhalte

Was wird gekauft, oder was könnte sich lohnen: KI soll Buchabsatz optimieren. Literarischer Qualitätsverlust absehbar
Von Niki Uhlmann
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Manche Buchhandlung kann dürftige Publikationen immerhin mit angenehmem Ambiente kompensieren (Porto, 16.12.2024)

Nicht wenige Schriftsteller, die heute zum Kanon der Literatur gehören, scheiterten ihrerzeit daran, mit ihrem Werk über die Runden zu kommen. Brachen sie Konventionen, griffen sie gar ihrer Zeit voraus wie die Dichterin Emily Dickinson, gelangten ihre Texte, wenn überhaupt, nur stark editiert in die Öffentlichkeit. Die simple betriebswirtschaftliche Erwägung, wie viel Geld aus einem Schriftstück gepresst werden kann, entscheidet noch heute über Texteingriffe oder Publikation und somit auch über Karriere oder Ruin womöglich begabter Schreiberlinge.

Dieses Prinzip will das Marktforschungsinstitut Media Control (MC) optimieren. Dafür hat es mit der Unternehmensberatungsgesellschaft Bearing Point ein auf künstliche Intelligenz (KI) gestütztes Programm entwickelt. Dessen »KI-basierte Absatzprognose wird dem Buchmarkt völlig neue Perspektiven eröffnen«, zitierte eine gemeinsame Pressemitteilung vergangenen Oktober MC-Geschäftsführerin Ulrike Altig. »Demandsens«, zu deutsch Sinn für Nachfrage, heißt die KI, die den Buchmarkt revolutionieren soll. Der Name erinnert an »Adsense«, den Monetarisierungsdienst Googles, der für einen Großteil der kleinen, nervigen Anzeigen im Netz verantwortlich ist.

Die Prognosen basierten auf »fünf Milliarden Daten, die in 1,3 Sekunden durchgewirbelt werden«, pries Altig die Anwendung Anfang 2025 gegenüber dpa an. MC verfüge über Daten von mehr als »9.000 Verkaufsstätten« und mit einer »Marktabdeckung von 88 Prozent« über das »aussagekräftigste Buchhandelspanel im deutschsprachigen Raum«, rühmt der Konzern sich auf seiner Webseite. In Kooperation mit Tik Tok ermittelt er zudem monatlich eine Rangliste der unter #BookTok meistdiskutierten Bücher. Im September 2023 sei der Hashtag laut Wordsrated 181,7 Milliarden Mal aufgerufen worden und habe bei 20 Millionen, also 2,4 Prozent aller globalen Buchverkäufe geholfen. Die Prognosen von Demandsens hätten eine »durchschnittliche Treffsicherheit von 82 Prozent« erzielt, hieß es dann in der Pressemitteilung.

Details zur Gewichtung der Kriterien und zu den Algorithmen nannte Altig gegenüber dpa nicht. Auch sollen die Leserinnen nicht in den Genuss der KI kommen. Ob ein Einblick in das betriebswirtschaftliche Kalkül die Buchliebhaber abschrecken würde, kann nur gemutmaßt werden. Neu ist es jedenfalls nicht. Mit oder ohne KI: Veröffentlicht wird, was gekauft wird. »Wenn eine Sau funktioniert, wird sie auch durchs Dorf getrieben«, kommentierte Christoph Bläsi, Buchwissenschaftler an der Uni Mainz. Neu ist vielleicht die Präzision der Prognosen. Dennoch hätte die Branche laut dpa zurückhaltend reagiert. Man plane nicht, Demandsens zu verwenden, kenne die Anwendung nicht gut genug oder habe eigene Prognosetechniken.

Doch die Präzision hat ihren Vorteil. »Die exakte Menge des passenden Produkts am richtigen Ort und zur richtigen Zeit«, wirbt Demandsens für sich. Emissionen würden durch Retourenreduktion verringert, Umsätze optimiert und »ungekannte Potentiale« in sozialen Medien aufgedeckt. Darauf wird die schwächelnde Buchbranche bald angewiesen sein. Vergangene Woche teilte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels mit, dass der Umsatz zwar leicht gestiegen sei, die Lage aber angespannt bleibe. Steigende Preise hätten den sinkenden Absatz ausgeglichen. Das funktioniert nicht ewig. Die resultierende Not schafft Sachzwänge – und Demandsens Abhilfe.

Selbst wenn KI den aktuellen Buchhandel optimal ökonomisieren würde, bestünde dessen Konkurrenz fort. Naheliegend wäre dann, nicht länger zu berechnen, welches Buch wo und wie abgesetzt werden kann, sondern umgekehrt direkt veröffentlichungswürdige Bücher aus der Nachfrage abzuleiten. Wenn sich kein Autor findet, schreibt halt KI. Wo das hinführt, verrät der Buchpreis »Spitzenfeder«, den MC zwischen 2016 und 2021 auf Basis seines Handelspanels verliehen hat. Unter den Gewinnern sind die Fitnessinfluencerin Pamela Reif mit ihrem Kassenschlager »You Deserve This« und Thomas Gottschalk mit »Herbstbunt«. Insofern ist MCs ernst gemeinte Beteuerung, es ginge nicht um Inhalte, verräterisch.

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