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Aus: Ausgabe vom 20.01.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Portugal

»Drängt uns nicht an die Wand«

Lissabon: Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt nach Razzia in einem multikulturellen Viertel
Von Adri Salido, Lissabon
Aufstehen gegen Rassismus: Großdemonstration von Migrantenverbänden und antirassistischen Gruppen am 11. Januar in Lissabon
Forderung nach Gerechtigkeit und Gleichheit mit der portugiesischen Nationalfahne
Hand in Hand gegen Polizeischikanen
Ein migrantenfeindliches Plakat der rechten Alternativa Democrática Nacional wird entfernt

Lissabon ist eine vielfältige, aber zutiefst ungleiche Stadt. Unter der Oberfläche gibt es rassistische und soziale Spannungen. Das machte eine Polizeirazzia im Herzen der portugiesischen Hauptstadt vor einigen Wochen deutlich. In der Rua do Benformoso, die sich im Stadtteil Martim Moniz befindet und für ihren multikulturellen Charakter bekannt ist, führte die nationale Polizei am 19. Dezember eine Operation durch, die von vielen als Akt der Masseneinschüchterung und Demütigung gegen Communitys von Migranten empfunden wurde.

Dutzende Menschen, hauptsächlich afrikanischer und asiatischer Herkunft, mussten sich unter dem Vorwand der »Erhöhung der Sicherheit« an die Wand stellen und von den Polizisten öffentlich durchsuchen lassen. Nach Aussagen von Anwohnern und Ladenbesitzern handelten die Beamten willkürlich und nahmen Personen aufgrund ihres Aussehens ins Visier, während sie diejenigen ignorierten, die nicht dem Racial Profiling entsprachen, das sie im Sinn zu haben schienen.

»Ich habe Portugiesen gesehen, die dieselbe Straße entlanggingen, und sie wurden nicht angehalten. Das hat nichts mit Sicherheit zu tun, das ist purer Rassismus«, sagte Filipa Bolotinha, eine Vertreterin der Vereinigung »Renovar a Mouraria«, in einem Interview mit der Zeitung Público. Die Vereinigung hat eine formelle Beschwerde eingereicht, in der sie die Aktion verurteilte.

Der Empörung folgten schnell Taten. Am 11. Januar demonstrierten Tausende unter dem Motto »Não nos encostem à parede« (Drängt uns nicht an die Wand) – ein Aufschrei des Widerstands gegen strukturellen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Portugal. Der Protest, der von antirassistischen Gruppen und Migrantenverbänden organisiert wurde, zog vom Alameda-Park nach Martim Moniz und forderte nicht nur Würde für die Betroffenen, sondern auch eine dringende Überprüfung der Polizeipraktiken.

Die Demonstranten trugen Banner mit Botschaften wie »Gegen Rassismus und Polizeigewalt« und »Unsere Rechte sind nicht verhandelbar« und riefen Slogans, die Gerechtigkeit und Gleichheit forderten. Auf dem Marsch hielten Vertreter von antirassistischen Organisationen und Migrantengruppen Reden, in denen sie über ihre Erfahrungen mit Diskriminierung und Ausgrenzung berichteten und die dringende Notwendigkeit politischer Veränderungen betonten.

Portugiesische Bürger und Menschen aus Ländern wie Bangladesch und Pakistan marschierten gemeinsam, um die Polizeibrutalität zu verurteilen, die Wochen zuvor im Stadtteil Martim Moniz stattgefunden hatte. »Ich war sehr empört, als ich in den sozialen Medien sah, was passiert war. Ich bin hierhergekommen, um zu sagen, dass ich nicht möchte, dass mein Staat sich anderen Bürgern gegenüber so verhält. Nicht in meinem Namen«, sagte Catarina, eine portugiesische Staatsbürgerin. »Wir sind Migranten. Wir sind keine Terroristen. Wir tun nichts, wir richten keinen Schaden an«, sagte Hassan, ein Einwanderer aus Bangladesch, dessen Augen immer noch voller Wut über die Ereignisse waren. Der Protest endete mit einer Veranstaltung in Martim Moniz, bei der die Teilnehmer eine Schweigeminute für die Opfer von Polizeigewalt einlegten, gefolgt von einer gemeinsamen Erklärung, in der Rechenschaftspflicht und Transparenz von den Behörden gefordert wurden.

Während der Protest Fahrt aufnahm, war das Schweigen der Regierung bezeichnend. Die Behörden vermieden es, sich deutlich zu dem Vorfall zu äußern, und schufen so ein Vakuum, das extrem rechte Parteien wie Chega zu füllen versuchten. Am selben Tag organisierte Chega eine Mahnwache zur Unterstützung der Polizei unter dem Motto »Für Autorität und gegen Straflosigkeit« und lieferte damit erneut ein Beispiel für rechte Narrative, die institutionelle Gewalt unter dem Deckmantel der öffentlichen Sicherheit legitimieren. Andere islam- und migrationsfeindliche Parteien wie Ergue-te (ehemals PNR) tauchten während der antirassistischen Demonstration ebenfalls in der Nähe des Alameda-Parks auf. Eine Polizeikette verhinderte jedoch, dass es zu Zusammenstößen zwischen den Gruppen kam.

Die mangelnde institutionelle Rechenschaftspflicht und die zunehmende Polarisierung haben in den Migrantengemeinschaften, die mit ansehen müssen, wie ihre Rechte systematisch missachtet werden, ein Klima der Unsicherheit und Angst geschaffen. Anstatt als Garanten der Inklusion zu fungieren, scheinen die Behörden ein Modell der Ausgrenzung zu stärken, das einigen wenigen zugute kommt, während die Schwächsten ausgegrenzt werden.

Die Ereignisse in Martim Moniz sind kein Einzelfall, sondern eher ein Symptom für ein tiefer liegendes Problem. Portugal mit seiner kolonialen Geschichte und multikulturellen Gegenwart steht vor der Herausforderung, seine Identität mit einer Realität in Einklang zu bringen, die Gerechtigkeit und Gleichheit fordert. Die Proteste vom 11. Januar haben eindrucksvoll daran erinnert, dass rassistisch diskriminierte Gemeinschaften und ihre Verbündeten nicht bereit sind, Gewalt als Norm zu akzeptieren. Dennoch bleibt die Frage: Sind die Institutionen bereit, zuzuhören? Wenn Portugal das offene und integrative Land sein will, das es zu sein vorgibt, muss es seinen strukturellen Rassismus mit konkreten Maßnahmen bekämpfen. Andernfalls könnten die Mauern, die heute Körper und Rechte einengen, zu Barrieren werden, die das Land von seiner eigenen Zukunft trennen.

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