Regierungslinke Straßenkicker
Von Nico PoppWer dazu neigt, den äußeren Schein für die Sache selbst zu nehmen, mag zu dem Urteil gelangen, dass sich der politische Auftritt der Partei Die Linke im laufenden Wahlkampf zur Bundestagswahl erheblich von dem unterscheidet, was sie 2021 abgeliefert hat. Damals hatte die Parteiführung ihr Tun und Trachten auf eine von vorne bis hinten eingebildete »rot-grün-rote« Regierungsoption ausgerichtet, was nicht ohne allerlei Szenen direkter Anbiederung abging. Unter dem Strich standen bekanntlich weniger als fünf Prozent der Wählerstimmen bundesweit und nur noch zehn Prozent in den ostdeutschen Ländern. Damit trat die Existenzkrise der Partei, für die es mindestens seit der EU-Wahl 2019 zahlreiche, von der Parteispitze indes konsequent ignorierte Anzeichen gab, in ein offenes Stadium.
2025 nun prangte bei dem außerordentlichen Parteitag, der am Sonnabend in einer Halle des ehemaligen Postbahnhofs am Berliner Gleisdreieck das Wahlprogramm verabschiedete, über der Bühne die Losung »Alle wollen regieren. Wir wollen verändern« – eine (freilich dehnbare) Absage an den forcierten Anpassungskurs von ehedem. Über »progressive Mehrheiten« in den Parlamenten redet niemand mehr. »Wir sind die coolen Straßenkicker in diesem Wahlkampf«, rief Koparteichef Jan van Aken unter dem Jubel auch hartgesottener Regierungslinker aus; die Rolle der Partei sei es, nachzufragen und die Regierung zu kontrollieren. Dass sich die Partei, um wieder auf die Beine zu kommen, bis zu einem gewissen Grad als Oppositionspartei profilieren muss, ist vorerst ein strömungsübergreifender Konsens, der bereits den Parteitag in Halle (Saale) im Oktober prägte, wo sich die nach dem Abgang der Strömung um Sahra Wagenknecht noch verbliebenen parteiinternen Lager mit nennenswertem Einfluss hinter der Kandidatur von Ines Schwerdtner und Jan van Aken für den Parteivorsitz versammelten.
Ein sehr auffälliger Aspekt bei der Debatte über das Wahlprogramm war folglich die Abwesenheit einer ins Gewicht fallenden innerparteilichen Opposition. Die durchaus vorhandenen und am Saalmikrofon begründeten Änderungsanträge zum Wahlprogrammentwurf, die auf eine kritische Akzentuierung etwa in der Friedensfrage und der Stellungnahme zur Sanktionspolitik sowie hinsichtlich der Vorgeschichte des Ukraine-Krieges zielten, wurden mit zum Teil erdrückenden Mehrheiten abgelehnt. Jener stabile Stimmenblock von etwa einem Viertel der Delegierten, der noch beim Erfurter Parteitag 2022 gerade in diesen Fragen gegen den Vorstandskurs opponiert hatte, ist nahezu verschwunden. Diese Genossinnen und Genossen dürften seither die Partei verlassen haben oder werden schlicht nicht mehr zum Parteitag delegiert.
Das führt zu einer zweiten Beobachtung. Ein Umstand, der am Sonnabend mitunter für eine schwer nachvollziehbare Partystimmung und die Diagnose sorgte, man verspüre »Rückenwind«, ist der mehrmals gefeierte Zustrom zahlreicher neuer und junger Mitglieder. Mehr als 10.000 sollen es 2024 gewesen sein. Der von einigen älteren Genossen in den vergangenen Jahren ohne Enthusiasmus konstatierte »Austausch« der Mitgliedschaft hat sich zuletzt offensichtlich noch einmal beschleunigt; neue Mitglieder gewinnt die Linkspartei allem Anschein nach vor allem in den größeren Städten. Jahre nachdem die Partei auf die Ansprache »progressiver« Milieus in den Städten ausgerichtet wurde, schlägt das, so scheint es, auch in der Zusammensetzung der Parteimitgliedschaft durch. Diese neuen Mitglieder haben überwiegend kein Problem mit dem Kurs der Parteispitze, die strömungspolitisch trotz einiger Modifikationen unverändert die alte ist.
Augenscheinlich war die Mehrheit der nach Angaben der Mandatsprüfungskommission bis zum Nachmittag angereisten 495 Delegierten (von eigentlich 580) dann auch nicht mit der Erwartung erschienen, dass über irgendeine Frage kontrovers diskutiert werden wird. Gar nicht wenige verbrachten den Tag mit Gesprächen im hinteren Teil des Saals; bei der Generaldebatte intervenierte die Tagungsleitung in Gestalt der ehemaligen Berliner Landesvorsitzenden Katina Schubert mehrmals, weil die einzelnen Redner gegen einen Geräuschpegel ankämpfen mussten, der Schubert an einen »Rummelplatz« erinnerte.
Der in den genannten Änderungsanträgen ausgedrückte Dissens ergibt sich aus der Entscheidung der Parteispitze, im Wahlkampf fast ausschließlich als Opposition im Bereich der Sozialpolitik in Erscheinung zu treten – mit dem Mietenthema und der Teuerung im Zentrum –, den Komplex der Friedensfrage aber weiter hinten (und mit einigen charakteristischen Blüten) mitlaufen zu lassen. Es sei eine Frage der politischen Glaubwürdigkeit, dann, wenn man über die Teuerung redet, auch über deren Ursachen und folglich über die Sanktionspolitik zu reden, stellten die Einbringer eines Änderungsantrags fest. Das sah die große Mehrheit der Delegierten nicht so. Auch nicht Parteichef van Aken, der mit Verve vortrug, dass die Partei ja gar nicht grundsätzlich gegen alle Sanktionen sei. Der anschließende Hinweis einer Delegierten, dass man auch mit »gezielten« Sanktionen Teil der »Wirtschaftskriege der Herrschenden« sei, ging auf dem »Rummelplatz« unter.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 15.05.2024
Zwist in der EU-Linken
- 29.01.2024
Schmaler Korridor
- 07.12.2023
»Interessenvertretung ist erforderlich«
Regio:
Mehr aus: Inland
-
Germany: 0,3 Punkte
vom 20.01.2025 -
Sozialstaat gegen »Meta-Krise«
vom 20.01.2025 -
»Dieser überzogene Vorwurf soll Hanna einschüchtern«
vom 20.01.2025 -
Die Parteien für Besserverdiener
vom 20.01.2025 -
»Es ist nicht alles in Ordnung«
vom 20.01.2025 -
Akademischer Austausch auf eigene Faust
vom 20.01.2025