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Aus: Ausgabe vom 20.01.2025, Seite 7 / Ausland
Krieg in Syrien

Alawiten in Angst

Türkischer Einmarsch in syrischer Küstenregion Latakia. Übergriffe von Dschihadisten auf vermeintlich Ungläubige
Von Nick Brauns
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Begleitet von der türkischen Armee, feierten syrische Turkmenen am Freitag ihre Rückkehr nach Latakia

Unter dem Vorwand, während des Bürgerkrieges in die Türkei geflohene syrische Turkmenen zurück in ihre Heimatorte zu geleiten, ist die türkische Armee seit Freitag in das Gouvernement Latakia im Westen Syriens eingedrungen. Die Invasionstruppen, die auch schwere Panzerhaubitzen mit sich führten, besetzten das nördliche Umland der Stadt Latakia und errichteten dort Militärstützpunkte.

Der Einmarsch erfolgte über die kurz hinter der Grenze zur Türkei gelegene, mehrheitlich von Armeniern bewohnte Kleinstadt Kessab und das Gebiet der Dschabal Turkmen (Turkmenischen Berge) bis zum Baluran-Staudamm rund 25 Kilometer nordöstlich der Stadt Latakia. Die Armeekonvois wurden von zahlreichen Zivilisten begleitet. Dabei soll es sich um syrische Turkmenen gehandelt haben. Geschmückt waren die Konvois mit roten türkischen und hellblauen turkmenischen Halbmondfahnen. Auf einem Video, das eine Parade der zurückgekehrten Turkmenen im Dorf Kastal Al-Maaf zeigen soll, ist auch eine große Fahne mit den drei Halbmonden der pantürkisch-faschistischen Bewegung der »Grauen Wölfe« zu sehen. Dazu stimmte die Menge das nationalistische Lied »Ölürüm Türkiyem« (Ich würde für meine Türkei sterben) an.

Es sei mit Vorbereitungen für den Bau einer türkischen Militärbasis in Latakia begonnen worden, meldete die in Großbritannien ansässige sogenannte Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte unter Berufung auf örtliche Quellen. In dem syrischen Gouvernement wächst daher die Sorge, dass die Türkei, die seit 2016 bereits weite Gebiete in Syrien besetzt hält, längerfristig durch Ansiedlung turkmenischer Siedler und Vertreibung anderer Einwohner durch den Terror ihrer dschihadistischen und faschistischen Söldner die Einverleibung der Küstenregion vorbereitet. Erinnerungen werden wach an die Annexion des Sandschak Alexandrette im Jahr 1939 als türkische Provinz Hatay. Die gestürzte Assad-Regierung hatte offiziell nie ihren Anspruch auf Hatay aufgegeben. Auch das Emblem der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDK) zeigt eine Karte des syrischen Staatsgebiets einschließlich des früheren Sandschak Alexandrette.

Latakia ist die Hochburg der Alawiten, einer in Syrien mit zehn Prozent der Bevölkerung minoritären Glaubensgemeinschaft, der auch der gestürzte Präsident Baschar Al-Assad und hochrangige Vertreter des früheren Baath-Regimes angehören. Razzien der neuen dschihadistischen Herrscher zur Festnahme früherer Staatsfunktionäre arteten in alawitischen Orten teilweise in religiös motivierte Übergriffe aus. Denn Militante aus dem Umfeld der nun in Damaskus herrschenden Dschihadistenallianz Hayat Tahrir Al-Scham (HTS) sehen in den Alawiten Abtrünnige vom Islam und wetzen schon die Messer. Zwar mahnt De-facto-Staatschef Ahmed Al-Scharaa mit Blick auf seine internationale Reputation die häufig aus dem Ausland stammenden »Gotteskrieger« vorerst zur Ruhe. Doch gelingt es der HTS-Führung nicht, alle ihre Milizen zu kontrollieren.

So seien 24 Alawiten und Schiiten in einem Gebiet zwischen Tartus und Homs von einer Miliz namens Katibat Al-Madschid entführt worden, berichtete Joshua Landis, Leiter des Center for Middle East Studies an der University of Oklahoma, am Wochenende auf X. Deren Anführer Hamud Al-Laila sei für Dutzende religiös motivierte Morde und Raubüberfälle verantwortlich, so Landis als Experte für die Region.

Nach unbestätigten Meldungen aus der alawitischen Community wurden seit dem Sturz von Assad im Dezember rund 120 Alawiten getötet und doppelt so viele verschleppt. In sozialen Medien kursieren zahlreiche Videos, die Übergriffe auf Alawiten und Folterungen durch Islamisten zeigen sollen. Zwar lässt sich die Herkunft der Filme nur in den wenigsten Fällen überprüfen. Doch die Aufnahmen zeigen Wirkung. Viele Alawiten sind eingeschüchtert und hoffen auf internationalen Schutz. Einige, wie der vergangene Woche von der HTS verschleppte alawitische Repräsentant Scheich Saleh Mansur wünschen sich sogar die frühere Kolonialmacht Frankreich zurück.

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