Sieg oder Niederlage
Von Knut Mellenthin
Noch ist nicht einmal sicher, wie lange die Feuerpause zwischen Israel und der Hamas hält. Die erste Phase des Gefangenenaustauschs ist auf sechs Wochen befristet. Die Verhandlungen über die zweite Phase, in der es um die Freilassung der männlichen israelischen Kriegsgefangenen geht, werden allgemein als sehr viel schwieriger eingeschätzt. Aber schon am Sonntag, bevor die erste Phase überhaupt begonnen hatte, prahlte der Chef der Kuds-Truppe im Iran, Brigadegeneral Esmail Kaani, »dank der Gnade Gottes« würden »die Demütigung des zionistischen Regimes und die größte Niederlage, die es in seinem erbärmlichen Leben erlitten hat«, offenbar.
Die Kuds-Truppe ist die Abteilung der iranischen Revolutionsgarden (IRGC) für Auslandseinsätze. Kaani steht mit seiner Bewertung nicht allein. Außenminister Abbas Araghtschi verkündete am Sonnabend in einem Telefongespräch mit seinem jemenitischen Amtskollegen, »das zionistische Regime« habe »nach 15 Monaten Verbrechen und Völkermord seine bösartigen Ziele nicht erreicht und war gezwungen, vor dem Willen des geduldigen und widerstandsfähigen palästinensischen Volkes zu kapitulieren«.
Die Kommentare aus anderen Teilen der »Achse des Widerstands« – der Hamas und des »Islamischen Dschihad« im Gazastreifen, der libanesischen Hisbollah, der Ansarollah im Jemen und weiterer Gruppen aus dem Irak – unterscheiden sich von der triumphierenden Bewertung durch die politische und militärische Führung Irans nicht wesentlich. Im Gazastreifen gab es Freudenkundgebungen und sogar eine uniformierte Militärparade in Gaza-Stadt.
Geschlagen ist der bewaffnete palästinensische Widerstand ganz sicher nicht. Er wird offensichtlich von der Mehrheit der Bevölkerung im Gazastreifen und zunehmend anscheinend auch von der des besetzten Westjordanlandes getragen. Zahlenmäßig ist er durch Neurekrutierungen eher stärker als vor dem Beginn des israelischen Luft- und Bodenkrieges im Oktober 2023, wie israelische Medien zugeben. Israels Regierung und seine Streitkräfte haben von Anfang an nicht versucht, dieser voraussehbaren Entwicklung durch taktische Zugeständnisse an die palästinensische Bevölkerung entgegenzuwirken.
Aber geschlagen ist auch Israel keineswegs. Nicht militärisch, was angesichts des Kräfteverhältnisses ausgeschlossen erscheint, aber auch nicht politisch. Netanjahu hat in den zurückliegenden Tagen mehrfach angekündigt, den Krieg unter allen Umständen bis zur Erreichung sämtlicher Ziele fortzusetzen. Unter diesen steht die »Vernichtung« des Widerstands an erster Stelle. Mit viel Opposition im eigenen Land muss der Langzeitpremierminister dabei nicht rechnen. Und die Regierung von Donald Trump, der an diesem Montag sein Amt antritt, hat Israel schon ihre Unterstützung für die Fortsetzung des Krieges zugesagt.
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