Am Beispiel des Vaters
Von Marc HieronimusAfghanistan, das war in den frühen Siebzigern ein Ziel- und Transitland für europäische Hippies. Es heißt, man konnte damals ohne Visum von Frankreich bis Indien reisen – und zwar am besten mit dem bemalten VW-Bulli.
1973 Sturz des Königshauses, 1978 sozialistische Saurrevolution, die islamistischen Mudschaheddin kämpfen gegen die Zerstörung der Stammeskulturen, sowjetischer Einmarsch, zehn Jahre Krieg, Abzug der Sowjets, Bürgerkrieg bis 2001, 20 Jahre NATO-Besatzung, heute wieder Talibanherrschaft. »Das Land kommt seit Jahrzehnten nicht zur Ruhe«, schreibt das Feuilleton in solchen Fällen gerne und unterschlägt die Verantwortung des Westens für das Chaos.
Maren Aminis schöner Comic »Ahmadjan und der Wiedehopf« erzählt eine ganz andere, nicht minder wahre Geschichte, nämlich die ihres Vaters Ahmadjan Amini, der sich in jungen Jahren als talentierter Zeichner erweist. Ahmadjan wächst unter sehr ärmlichen Bedingungen bei seinen Großeltern in den Bergen auf, erhält aber die Chance, in Kabul auf ein Internat zu gehen. Als junger Mann lebt er in Hamburg in einem besetzten Haus, leistet Militärdienst in der Heimat, kehrt wieder zurück nach Deutschland, gründet eine Familie, aber die Ehe scheitert an unterschiedlichen Rollenverständnissen. Ein weiteres Mal geht er zurück in die alte Heimat, um dem Widerstandskämpfer Ahmad Shain Massoud eine Geldspende zu überbringen.
Maren und Ahmadjan Amini haben die Geschichte mit Auszügen aus Fariduddin Attars »Die Konferenz der Vögel« zu einer facettenreichen Entwicklungsgeschichte im Stil älterer französischer Zeichnerinnen und Karikaturisten wie Sempé oder Bretécher verwoben: Wenige Striche zeigen das Wesentliche in wohl dosierter Übertreibung, Farbe und Schattierung verleihen Tiefe und setzen Akzente. Dazwischen fügt sie Vogelporträts und Gemälde ihres Vaters ein. Im Anhang werden die wichtigsten Namen und Ereignisse erklärt. Eine lyrisch-tragikomische Migrationsgeschichte.
Maren und Ahmadjan Amini: Ahmadjan und der Wiedehopf. Carlsen, Hamburg 2024, 240 Seiten, 26 Euro
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