Agenten überall
Von Carmela NegreteSie waren ein Paar und wollten heiraten. Doch dann erfuhr Óscar, dass seine Freundin einen anderen Namen trug: Maria Isern Torres. Außerdem stellte sich heraus, dass sie Polizistin war. In einem Videoanruf erklärte Óscar vor laufender Kamera, dass ihre Tarnung aufgeflogen sei. »Du und dein Umfeld, ihr seid sicher«, antwortete Maria. Gleichzeitig musste sie einräumen, dass ihr Geheimnis entdeckt worden war, sie aber »wirklich verliebt« sei. Die Antwort auf die Frage »Aber warum überwachen sie mich?« überraschte nicht nur den katalanischen Aktivisten: »Óscar, es gibt Agenten in ganz Spanien«, erklärte Maria ruhig. Es gehe nicht nur um die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien – man würde einfach »alles kontrollieren«, das habe System.
Diese Szene stammt aus der am 12. Januar vom katalanischen öffentlichen Fernsehen 3CAT veröffentlichten Dokumentation »Infiltrats«. Klar wird in den 58 Minuten: Der spanische Staat verfolgt und kriminalisiert Aktivisten allein aus dem Grund, dass sie aktivistisch tätig sind. Und die verdeckten Agenten nutzen dabei illegale und ethisch verwerfliche Methoden. Im Fall von Maria und Óscar hatte sie ihn nicht nur emotional hintergangen, sondern war auch anwesend, als er mit seiner Anwältin die Verteidigung in einem Fall gegen die Staatsanwaltschaft plante. Es ging um Proteste bei der Blockade einer Bahnstrecke. Maria stellte Óscar sogar ihrer Mutter vor, die in die Observation involviert war. Dabei seien solche Liebesbeziehungen nicht zufällig entstanden, wie Laia Serra, Anwältin der anarchistischen Gewerkschaft CGT, in der Dokumentation erklärt. Die Agenten hätten gezielt persönliche Beziehungen gesucht, um sich in die Bewegungen einzuschleusen. Darüber hinaus hätten die verdeckten Ermittler nicht nur gemeinsam mit Aktivisten Drogen konsumiert, sondern diese auch beschafft und zu Straftaten und Sabotageaktionen angestiftet.
Die Vorwürfe wiegen schwer. Normalerweise dürfen Agenten nur in Fällen von Terrorismus, organisierter Kriminalität oder Drogenhandel mit richterlicher Genehmigung infiltrieren. Seit 2022 sind acht Agenten enttarnt worden, die meisten aus einer Polizeiakademie in Zaragoza. Dank der Recherchen unabhängiger Medien wie La Directa aus Barcelona und El Salto aus Madrid sowie der Arbeit sozialer Bewegungen konnten die Identitäten aufgedeckt werden. In einigen Fällen hinterließen die Agenten digitale Spuren, die die Aktivisten zur Identifizierung nutzten.
Es gibt bereits mehrere Klagen gegen den Staat und die eingesetzten Beamten. Die Vorwürfe lauten auf Folter, Misshandlungen und psychische Schäden. Sie klagen auch über staatlich begünstigte sexualisierte Gewalt, obwohl ein solcher Straftatbestand in Spanien nicht existiert. Für Personen, die Verdacht schöpfen, soll im Februar ein Handbuch veröffentlicht werden, das Methoden zur Enttarnung beschreibt, so die Onlinezeitung El Salto, auch wenn der Staat diese Erkenntnisse nutzen könnte, um seine Methoden anzupassen.
Im Gegensatz zu Großbritannien, wo ein ähnlicher Skandal zu internen Ermittlungen führte, gibt es in Spanien bislang keine Untersuchungen gegen die betroffenen Agenten. Statt dessen rechtfertigte eine Sprecherin der Polizei in der Dokumentation sogar sexuelle Beziehungen als »notwendig«. Vom sozialdemokratisch geführten Innenministerium unter Fernando Grande-Marlaska ist wenig zu erwarten: In seine Zuständigkeit als Untersuchungsrichter in der Nationalen Audienz fielen fünf der acht Fälle, in denen Einsatzkräften Folter und Gewalt vorgeworfen wurden und die nach Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht ordnungsgemäß untersucht worden waren. Der linke Koalitionspartner Sumar hat Aufklärung und Gerechtigkeit für die Betroffenen gefordert, bisher ohne Erfolg.
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