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Aus: Ausgabe vom 21.01.2025, Seite 8 / Inland
Recht auf Versammlungsfreiheit

»Das sind Drohgebärden der Polizei«

Behörden im bayerischen Rosenheim versuchen, das Versammlungsrecht auszuhebeln. Ein Gespräch mit Julian Schneiderath
Interview: Fabian Linder
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Demonstration gegen die AfD (Rosenheim, 28.1.2023)

Das Bündnis »Versammlungsrecht Rosenheim« geht mit einer Strafanzeige und Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Polizei Rosenheim vor. Was werfen Sie ihr vor?

Zum einen musste sich eine Aktivistin nach einer Ingewahrsamnahme in der Zelle ohne Angabe von Gründen bis auf die Unterwäsche ausziehen. Die Kleidung wurde ihr über knapp zwei Stunden versagt. In dieser Zeit kamen mehrfach männliche Beamte in die Zelle. Beim zweiten Fall konnte ein Versammlungsteilnehmer seine demokratischen Rechte nicht wahrnehmen. Es ging um das Recht auf opponierende Teilnahme bei einer Versammlung der AfD in Rosenheim.

Wie umfangreich sind diese Schikanen?

Am zentralen Max-Josefs-Platz im bayerischen Rosenheim werden Demonstrationen grundsätzlich untersagt, da ansässige Geschäfte und Gastronomie gestört werden könnten. Das hebelt das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus. Eine städtische Satzung regelt, dass vor dem Hauptbahnhof am Südtiroler Platz Versammlungen genehmigungspflichtig sind. Auch das steht im Widerspruch zu Artikel 8 des Grundgesetzes. Hierzu haben wir durch eine Anwaltskanzlei ein Kurzgutachten erstellen lassen, das diese Satzung in diesem Punkt als unzutreffend kritisiert.

Beim Aussetzen werden Personen, die von der Polizei bei einer Versammlung als Störer ausgemacht wurden, ohne Geld oder Mobiltelefon in umliegende Dörfer gebracht, mit der Aussage, bis die Personen zurückgekehrt sind, sei die entsprechende Versammlung vorbei. Das sind Drohgebärden, um die Machtverhältnisse klarzustellen. Einer Person wird durchgängig versagt, Demonstrationen anzumelden. Andere Anmelder und Versammlungsleiter müssen mit wiederkehrenden Bußgeldbescheiden und Ordnungswidrigkeitsanzeigen rechnen.

Welche Gründe sehen Sie im Vorgehen der Beamten?

Es wird deutlich, dass die Rosenheimer Polizei durchaus Unterschiede bei Demonstrationen macht. Bei Protesten gegen die Coronamaßnahmen war es anscheinend kein Problem, dass 1.500 Demonstranten unangemeldet durch die Stadt zogen. Doch bei Protesten aus dem linken Spektrum werden die Regeln schärfer angewendet.

Insbesondere jüngere Aktivisten werden mit Geldstrafen belegt, um ihr politisches Engagement zu unterdrücken. Ein Genosse wurde mit einem Ordnungsgeld von 1.054 Euro bestraft, da er sich nicht von einer unangemeldeten Versammlung entfernt haben soll.

Inwieweit geht Ihr Bündnis von einer erfolgreichen Klage aus?

Die Einschätzung unserer Rechtsanwältin ist hier eindeutig. Selbstverständlich haben wir uns auch im Vorfeld Gedanken gemacht, welche Fälle am aussichtsreichsten sind und wo es in der Vergangenheit bereits ähnliche erfolgreiche Urteile gab.

Welche Möglichkeiten schöpft Ihr Bündnis neben den juristischen Schritten aus?

Ganz wichtig ist für uns, Öffentlichkeit zu schaffen. 2011 gab es einen Fall, bei dem der damalige Rosenheimer Polizeipräsident einen Minderjährigen auf der Wache im Rahmen des Rosenheimer Herbstfestes misshandelt hatte. Dieser musste daraufhin zurücktreten. Es gibt also eine gewisse Historie an Polizeigewalt, für die wir Bewusstsein schaffen wollen.

Welche Konsequenzen fordern Sie angesichts dieser strukturellen Repression?

Die Forderung ist nicht allzu revolutionär. Es geht darum, dass Versammlungen entsprechend der Grundrechte durchgeführt werden können. In der Vergangenheit kamen die Einschränkungen von Polizei und Ordnungsamt schrittweise, waren nicht immer schriftlich dokumentiert und damit nicht nachweisbar. Es gipfelt allerdings nun darin, dass es eine städtische Satzung gibt, die in bestimmten Gebieten Versammlungen grundsätzlich untersagt. Wir wollen Polizei und Ordnungsamt zeigen, dass für uns eine Grenze überschritten ist und es diese Rechte im Grundgesetz gibt, die von Seiten der Behörden entsprechend gewahrt werden müssen. Damit verbunden ist auch die Erwartung, dass die überzogene Repression, die damit einhergeht, einzustellen ist.

Julian Schneiderath ist Pressesprecher des Bündnisses »Versammlungsrecht Rosenheim«

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