Erste Liebe, bekannte Riten
Von Maximilian SchäfferWie viele Filme über junge, schwule Liebe es überhaupt braucht? Und wie viele noch übers Schwulsein an sich? Was ist das Schwulsein überhaupt, und was gibt es darüber immer wieder zu sagen? Fest steht: »Coming of Age« ist spätestens seit New Hollywood und dem europäischen Autorenkino, also ungefähr seit den 60er Jahren, ein beliebtes Filmgenre. Verbunden mit dem »Coming-out« erst seit den 80er Jahren. Mit »Young Hearts« aus Belgien reiht sich der nächste Beitrag zu beiden Thematiken ins mittlerweile unüberschaubare Feld ein.
Der 14jährige Elias (Lou Goossens) wohnt im ländlichen Flandern; seit kurzem hat er einen neuen Nachbarn, den gleichaltrigen Alexander (Marius De Saeger). Keine großen Tragödien belasten den Alltag des Jungen, außer dass sein Vater ein ambitionierter Schlagersänger ist. Kitsch, mit den man zu Hause und in der Schule umzugehen lernt. Klar, dass die Mitschüler keine warmen Worte für Schnulzensänger finden. Gemobbt wird Elias allerdings nicht, er ist gut ins ländliche Gefüge integriert, der heimische Bauernhof läuft genauso wie das Fußballtraining wie geschmiert.
Eine Freundin zum Händchenhalten gibt’s auch – aber irgendwie merkt Elias langsam, dass er die gute Valerie weder anstarren noch ins Tagebuch zeichnen muss. Dafür aber seinen neuen Nachbarn. Und der ist eben ein Junge. »Young Hearts« ist im Grunde ein klassischer Schwulenfilm der 1990er Jahre. Eifrige Kenner des Genres mögen sich an Hettie MacDonalds Verfilmung von Jonathan Harveys Theaterstück »Beautiful Thing« aus dem Jahr 1996 erinnern. Mit seinen Eindrücken vom ländlichen Sommerparadies erinnert der Film zudem an den unvermeidlichen Schmachtfetzen der späten 2010er Jahre namens »Call Me by Your Name« (bezeichnenderweise eine Reminiszenz an Italien im Sommer 1983).
Nur verzichtet »Young Hearts« auf die Darstellung gesellschaftlicher Widerstände aus grauer Vorzeit – Belgien im Jahr 2025 ist eben keine Hölle für Schwule mehr. Nicht mal im Kaff. Außerdem wird angenehmerweise auf die Tragödie der unwiederholbaren und gleichzeitig unerreichbaren ersten Liebe verzichtet. Die sehr jungen Knaben knuddeln und knutschen also, ohne dass, trotz aller Aufregung und zwischenzeitlicher Verzweiflung, die Welt zusammenzubrechen droht. Tatsächlich ist das Verliebtsein von Elias und Alexander angemessen süß und unschuldig dargestellt. Zarte Untertöne jugendlicher Erotik werden nicht pornographisiert, aber auch nicht puritanisch ausgespart, trotz des gering en Alters der Knaben.
Regisseur Anthony Schatteman findet in seinem Spielfilmdebüt erstaunlich treffende Töne für ein Werk, das auf die ganz großen Ambitionen verzichtet. So als besserer Fernsehfilm macht sich »Young Hearts« gut, besonders die feine Qualität der jugendlichen Dialoge überrascht bei diesen anachronistischen 97 Minuten, die gar nichts Neues wollen und trotzdem moderner daherkommen als das ewige verzweifelte Gaffen des 21. Jahrhunderts: das Gaffen in Darkrooms, das Gaffen in Technoclubs, das Gaffen auf tausend Diskriminierungsmöglichkeiten tausend verschiedener Identitäten.
»Young Hearts«, Regie: Anthony Schatteman, Belgien/Niederlande 2024, 97 Min., bereits angelaufen
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