Da, aber nicht vorhanden
Von Erik RheaDemokrit, einer der ersten Materialisten, behauptete, die Welt und all ihre Materie sei aus einer Vielzahl an kleinsten, unzerstörbaren Teilchen aufgebaut. Diese Auffassung wurde immer wieder kritisiert mit dem Einwand, dass zwei einfache Elementarteilchen, die sich durch nichts unterscheiden, es unmöglich machen zu entscheiden, welches dieser Teilchen an welchem Ort ist, und diese Teilchen also ständig gegenseitig den Ort auswechseln könnten, ohne dass dies bemerkbar wäre, was eine Absurdität sei.
Die Quantenmechanik ist diejenige Theorie, die uns lehrt, dass sich das alles doch nicht ganz so simpel verhält. Zwar spricht die gegenwärtige Physik ebenfalls von Elementarteilchen, doch unterliegen diese Teilchen der Heisenbergschen Ort-Impuls-Unschärfe. Da Quantenteilchen prinzipiell weder einen eindeutigen Ort noch einen eindeutigen Impuls haben, müssen diese Eigenschaften statistisch mit Hilfe von Aufenthaltswahrscheinlichkeiten beschrieben werden. Die wiederum können mit einer Wellengleichung erfasst werden. Die Vorstellung eines Teilchens als einer winzigen Kugel ist also mehr ein Modell denn eine zutreffende Beschreibung, und Materie ist eher als Welle denn als Teilchen aufzufassen. Das Wellenmodell der Quantenmechanik erlaubt, die Teilchen nicht nur als einzelne zu beschreiben, sondern in ihrem Kontext.
Ein Teilchen, eingebunden in einem Festkörper, verhält sich anders als eines, das einzeln im Nichts existierte. Insbesondere Festkörper bieten eine große Vielzahl an möglichen Bedingungen, die zu unterschiedlichen Quanteneigenschaften führen können, die für die Forschung interessant sind. So lässt sich etwa eine Vielzahl von Quasiteilchen in Festkörpern erzeugen. Quasiteilchen sind Eigenschaften von Festkörpern, die sich wie Quantenteilchen verhalten, ohne dass es sie »real« als Teilchen gibt; sie gehen aus dem Zusammenspiel mehrerer Teilchen oder aus der Gesamtheit des Materials hervor. Für die Forschung besonders interessante Quasiteilchen sind die sogenannten Excitonen. Wird in einem Halbleitermaterial ein Elektron durch Energiezufuhr (z. B. durch eintreffendes Licht) in einen Zustand höherer Energie versetzt, entsteht dort ein sogenanntes Defektelektron – ein Energiezustand, in dem sich ein Elektron befinden könnte, realiter aber befindet sich dort kein Elektron. Diese Defektelektronen, auch einfach »Löcher« genannt, sind Quasiteilchen, die sich wie positiv geladene Elektronen verhalten. Einen durch elektrische Anziehung zwischen einem Loch und einem Elektron höherer Energie gebundenen Zustand nennt man »Exciton«. Excitonen sind normalerweise Bosonen, das heißt, ihr Spin entspricht immer genau einem Vielfachen einer bestimmten Naturkonstanten, die »Spinquantenzahl« genannt wird (jW vom 2.1.2024). Teilchen, die einen halbzahligen Spin haben, heißen »Fermionen«, und sie haben die Eigenschaft, dass es nie zwei von ihnen im exakt gleichen Zustand am selben Ort geben kann. Diese Regel gilt für Bosonen nicht, sie können deshalb bei niedriger Temperatur ein Bose-Einstein-Kondensat bilden, was bedeutet, dass die Bosonen alle in denselben Quantenzustand geraten können und dadurch alle durch ein und dieselbe Wellenfunktion beschreibbar sind. Die Teilchen geben sozusagen ihre Einzelheit auf, und ein makroskopisches Quantenobjekt entsteht.
Die aktuelle Forschung interessiert sich für komplexere Arten von Excitonen. Ein Elektron hat eine elementare negative elektrische Ladung. Ein Loch im Halbleiter hat eine ebenso große positive Ladung. Folglich hat ein Exciton, das sich aus einem Elektron und einem Loch zusammensetzt, eine Gesamtladung von null. Komplexere Excitonen aus mehreren Elektronen oder Löchern haben demnach immer eine ganzzahlige Ladung, die, positiv oder negativ, stets einem Vielfachen der elementaren Ladung eines Elektrons entspricht. Wird jedoch ein äußeres Magnetfeld eingeschaltet, ist denkbar, dass sich Quasiteilchen bilden, die sich nicht nur aus Elektronen und Löchern zusammensetzen, sondern auch das Magnetfeld mit beinhalten, denn auf mikroskopischer Ebene liegt auch ein Magnetfeld gequantelt vor, und Elektronen können mit einer passenden Anzahl magnetischer Flussquanten »composite fermions« bilden, die wiederum als Bestandteile weiterer Quasiteilchen dienen können. Dadurch sind Excitonen denkbar, die auch eine gebrochenzahlige Menge an Elementarladungen tragen.
Der Nachweis solcher fraktionaler Excitonen ist Anfang dieses Jahres erstmalig gelungen (Zhang, N.J., Nguyen, R.Q., Batra, N. et al.: Nature 637). Dabei machten die Forscher eine unerwartete Entdeckung: Es wurden nicht nur erstmals fraktionale Excitonen entdeckt, sondern gleich zwei unterschiedliche Arten von ihnen. Eine bosonische Art, die wie erwartet ein Bose-Einstein-Kondensat bildet, und eine zweite Art, die einige nichtbosonische Eigenschaften aufweist und damit eine völlig neue Klasse von Quasiteilchen darstellt. Diese neue Art von Quantenobjekten eröffnet ein völlig neues Forschungsfeld, das im Zentrum des Interesses der aktuellen Spitzenforschung steht. Im kommenden Jahr kann also aus der Ecke der Festkörperphysik mit einer Vielzahl an neuen Experimenten und Veröffentlichungen zu diesen neuen Zuständen gerechnet werden.
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