Der lange Arm des Virus
Von Felix Bartels
Die Aufarbeitung der Coronapandemie steckt im Sand. In einer Art feindlichem Einvernehmen. Haben die einen sich längst in eine parallele Welt verabschiedet, wollen andere nicht über Fehler reden, die während der Pandemie regierungsseitig gemacht wurden. Dass überhaupt etwas mehr Licht auf dem Gegenstand liegt, verdankt sich fast allein der wissenschaftlichen Arbeit, deren Ergebnisse, von der breiteren Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, vorliegen. So kann mittlerweile als gesichert gelten, dass die Wuhan-Labor-These falsch ist, wie auch die leichtfertig-konveniente These, Schulschließungen hätten keinen großen Einfluss auf das Infektionsgeschehen gehabt (was übrigens nicht gleichbedeutend ist mit der Behauptung, die Schließungen seien alternativlos gewesen). Ein anderes Teilthema ist Long Covid, und hier insbesondere das Chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS). Eine im Journal of General Internal Medicine publizierte Studie hat nun den Zusammenhang des Erschöpfungssyndroms mit Covid-19 quantifiziert. Politisch instrumentalisieren lässt sich das Ergebnis allerdings nicht, von keiner der streitenden Parteien.
Für Personen, die an Covid-19 erkrankt sind, ist das Risiko eines Chronischen Fatigue-Syndroms achtfach höher als für Menschen ohne Infektion. Das stellte eine Forschungsgruppe um Suzanne Vernon vom Bateman Horne Center in Utah fest. Im Rahmen ihrer 11.785 Personen erfassenden Studie untersuchten die Forscher an den National Institutes of Health (NIH), wie viele der erwachsenen Patienten nach ihrer Covid-Erkrankung das Fatigue-Syndrom bekamen und wie stark ihre Symptome waren. Zugleich untersuchte man 1.439 Menschen, die keine vorherige Coronainfektion hatten. Demnach haben 4,5 Prozent der untersuchten Covid-19-Erkrankten anschließend das chronische Erschöpfungssyndrom entwickelt. Dem gegenüber stehen 0,6 Prozent mit CFS in der Kontrollgruppe der Nichtinfizierten. Infizierte, die derart schwer von der Infektion betroffen waren, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten, hatte man aus der Untersuchung ausgeschlossen. Da die meisten Teilnehmer beider Gruppen aber gegen Covid-19 geimpft waren, lassen sich Rückschlüsse auf die Wirkung von Impfungen nicht ziehen, Gegenstand war ausschließlich der Zusammenhang von Covid und Fatigue.
Somit könnte die Untersuchung das bekannte Phänomen erklären, dass heute 15mal mehr Menschen gegen CFS behandelt werden als vor der Pandemie. Dem Ergebnis entspricht zudem, dass Fatigue bei 90 Prozent der Betroffenen zusammen mit anderen Long-Covid-Symptomen auftritt, etwa »Brain Fog«. »Das könnte darauf hinweisen, dass ME/CFS nach Covid-19 eine schwer erkrankte Untergruppe von Long Covid darstellt«, schreiben die Forscher.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (21. Januar 2025 um 11:57 Uhr)Das Thema ME/CFS sollte politisch instrumentalisiert werden, um die einschlägige Forschung zu fördern! Denn: »ME/CFS gehört zu den letzten großen Krankheiten, die kaum erforscht sind« wie https://www.mecfs.de/was-ist-me-cfs/ schreibt. Eine junge Frau in meiner weiteren Bekanntschaft wurde im Alter von wenig über zwanzig zum Pflegefall. Vermutlich Ursache: Borreliose. Der Leidensdruck ist unbeschreiblich groß, die institutionelle Ignoranz diesbezüglich auch.
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vom 21.01.2025