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Aus: Ausgabe vom 23.01.2025, Seite 2 / Inland
Kulturhaupstadt 2025

»Unser Protest wurde immer wieder erschwert«

Chemnitz: Antifaschisten stellten sich Neonazis in den Weg. Polizei attackierte Demo und eskortierte Aufmarsch. Ein Gespräch mit Momo Simon
Interview: Yaro Allisat
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Mitglieder von »Aufstehen gegen Rassismus« protestieren gegen die faschistischen »Freien Sachsen« in Chemnitz (18.1.2025)

Chemnitz startete am Sonnabend als Kulturhauptstadt Europas in das Jahr 2025. Am Rande marschierten Neonazis auf, Sie haben eine Demo dagegen abgehalten. Wie ist Ihnen der Tag in Erinnerung geblieben?

Wir sind mit einem gemischten Gefühl nach Hause gegangen. Wir hatten eine laute, kämpferische Demo, mit vielen Teilnehmenden und Menschen, die im Umfeld der (faschistisch-separatistischen, jW) »Freien Sachsen« probierten zu blockieren. Neben unserer Demo gab es auch eine Kundgebung vom DGB und dem Kulturbündnis Chemnitz, die schon direkt neben der Startkundgebung der »Freien Sachsen« lautstark und sichtbar protestiert haben. Zum Höhepunkt, als große Teile der DGB-Kundgebung sich uns angeschlossen haben, waren wir circa 2.500 Menschen.

Die Freien Sachsen konnten zu Beginn ihrer Demo von der DGB-Kundgebung erfolgreich blockiert werden. Daraufhin entschieden die Behörden, die rechte Demo umzuleiten. Damit wurden sie direkt am Opernhaus vorbei eskortiert, wo der offizielle Teil der Eröffnung der Kulturhauptstadt stattfand. Sie konnten damit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Chemnitz »begrüßen«.

Wie ging die Polizei mit Ihrer antifaschistischen Kundgebung um?

Unser Protest in Sicht- und Hörweite der Rechten wurde immer wieder durch die Polizei erschwert. Der Fokus lag anscheinend darauf, die Rechten unbehelligt durch die Stadt zu bringen. Es gab mehrere weitere Blockadeversuche, gegen die die Polizei rabiat vorging, unter anderem mit Pfefferspray. Teils gefährdete sie sogar mit ihren Autos Menschen. Auch Wasserwerfer wurden aufgefahren. Trotzdem haben wir gezeigt, dass wir alles geben, um diesem Normalzustand etwas entgegenzusetzen und so etwas nicht unkommentiert stehenzulassen. Das haben wir durch entschlossenen und sichtbaren Widerstand geschafft. Sie waren kontinuierlich mit Gegenprotesten und Blockadeversuchen konfrontiert. Unser Dank gilt dabei allen mutigen Menschen, die sich mit uns gemeinsam aktiv den Rechten entgegengestellt haben.

Hatten Sie Unterstützung aus anderen größeren Städten?

Es gab mehrere Anreisen aus Sachsen, und wir konnten auf Unterstützung anderer Städte bauen. Dafür sind wir dankbar. Gerade in den vergangenen Monaten rückt die gegenseitige Unterstützung wieder stärker in den Fokus. Das ist eine gute Entwicklung, die hoffentlich so weitergeht.

Chemnitz hatte damit um den Titel »Kulturhauptstadt« geworben, unter anderem die Hetzjagden von 2018 aufzuarbeiten. Man präsentiert sich als offene, tolerante Kulturhauptstadt.

Chemnitz hat zwei Bidbooks (Bewerbungsbücher, jW) eingereicht. Gewonnen hat es mit dem zweiten und dem Versprechen, die rassistischen Ausschreitungen von 2018 aufzuarbeiten. Im Kulturhauptstadt-Programm finden sich wenige Veranstaltungen zum Thema, eine echte Aufarbeitung findet nicht statt. Auch die heutigen Probleme werden nicht konsequent angegangen. So hat die Stadt selbst immer noch ein Problem mit der extrem Rechten. Seien es die wöchentlichen rechten Aufmärsche in der Innenstadt, die aufkommenden jungen Neonazis, wie die kürzlich geoutete »Chemnitz-Revolte« oder das im November 2023 eröffnete »Zentrum« der »Identitären Bewegung«, welche jeweils nur symptomatisch für die Lage in Chemnitz sind.

Selbstverständlich enttäuscht es, dass es immer wieder an den Gleichen hängen bleibt, es selbst in die Hand zu nehmen, und Personen in Machtpositionen sitzen zu haben, die privilegiert genug sind, dass es ihnen einfach egal sein kann. Trotzdem ist es wichtig, nicht zu resignieren und dranzubleiben. Uns bleibt nichts anderes übrig, als uns gegen die rechten Entwicklungen zu wehren.

Wie blicken Sie und Ihre Mitstreiter angesichts von Umfrageergebnissen auf die Bundestagswahl am 23. Februar?

Die Wahlen im vergangenen Jahr haben gezeigt, wie die Chemnitzer wählen (CDU stärkste und AfD zweitstärkste Kraft in der Stadt bei der Landtagswahl, jW). Wir machen uns da keine großen Illusionen, dass bei der anstehenden Wahl eine große Veränderung sichtbar sein wird. Der Trend in Sachsen, konservativen und rechten Stimmen zu folgen, ist ungebrochen. Egal ob CDU oder AfD, beide Parteien werden mit möglichen Wahlerfolgen rechnen. Für uns steht davon unabhängig aber fest, dass wir jeder menschenverachtenden Position entgegenstehen und uns weiter engagieren.

Momo Simon ist bei der antifaschistischen Gruppe »Chemnitz Nazifrei« aktiv

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