Mit Prothese, ohne Tarif
Von Conny WeyerthalFormell ging es um arbeitsrechtliche Maßnahmen gegen Individuen. Im Kern aber adressierten sie Betriebsräte und die darin verankerten Gewerkschaften. Am 16. Januar 2025 fanden am Arbeitsgericht Göttingen zwei Verfahren statt, bei denen sich Gewerkschaftsmitglieder gegen Kündigungen, Lohnkürzungen und eine Abmahnung wehrten. Verdi vertrat einen Betriebsratsvorsitzenden der Göttinger Verkehrsbetriebe (GöVB) gegen eine außerordentliche Kündigung, die von Oliver Möller aus dem Hamburger Büro der Kanzlei Schreiner + Partner vorgetragen wurde. Die IG Metall verteidigte eine gewerkschaftliche Vertrauensperson beim Prothesenhersteller Ottobock gegen Angriffe von Taylor Wessing. Die internationale Wirtschaftskanzlei, die ihren Ruf als Union Buster beim erbittert ausgefochtenen Neupack-Streik der IG BCE in den Jahren 2012/13 erhielt, schickte Sebastian Buder aus Berlin in die Provinz. Rund 50 Unterstützer stärkten den Betroffenen im Gericht solidarisch den Rücken.
Eine Mobilisierungsveranstaltung am Abend zuvor im Kulturzentrum Apex war mit rund 90 Personen sehr gut besucht. IG-Metall-Sekretär Andreas Köppe und Sebastian Wertmüller, Verdi-Geschäftsführer für Süd-Ost-Niedersachsen, schilderten Fälle aus der Region. Die Aktion gegen Arbeitsunrecht informierte über das schmutzige Geschäft des Union Bustings und die Methoden der Kanzlei Schreiner + Partner: »Es geht im Kern darum, kriminelle Motive wie die Behinderung von Betriebsräten und das Untergraben der Koalitionsfreiheit rechtsförmig darzustellen. Zu den Methoden des Union Bustings gehören regelmäßige Diskriminierung, juristische Nachstellung und seelische Körperverletzung, falsche Anschuldigungen und Prozessbetrug.«
Seit längerem verzeichnen Verdi und IG Metall Aktivitäten der Kanzlei Schreiner + Partner in der Region. Trotz konzertierter Obstruktionen durch die Kanzlei gelang es dem IG-Metall-Sekretär Andreas Köppe im Jahr 2021 jedoch, beim Metallsägenhersteller Wikus in Spangenberg einen Betriebsrat zu gründen. Bei der GöVB hatte ein Betriebsratsmitglied bereits aufgrund juristischer Nachstellung die Segel gestrichen, nun bestätigte die 4. Kammer des Arbeitsgerichts Göttingen unter Vorsitz von Richter Michael Seutemann die Kündigung eines weiteren Verdi-Mitglieds im Betriebsrat. Obwohl die vorgetragenen Vorwürfe oft hanebüchen und konstruiert wirken, gibt es keine Gewähr, dass sie vor Gericht als unsubstantiiert und bösartig zurückgewiesen werden. Bei Richter Seutemann und seinen ehrenamtlichen Beisitzern hatte Schreiner + Partner diesmal leider Erfolg.
Der rund dreißig Personen umfassende Ottobock-Vertrauenskörper, den Köppe als Sekretär betreut, war dagegen vor Gericht erfolgreich. Der »Weltmarktführer in der Prothetik« gab nicht zuletzt aufgrund schlechter Presse klein bei. Business Insider und Wirtschaftswoche veröffentlichten Negativschlagzeilen. Eine Abmahnung gegen den Leiter des Vertrauenskörpers wegen Meinungsäußerungen im Intranet – angebliche Falschbehauptungen – wurde zurückgezogen. Ebenso eine willkürliche Lohnkürzung gegen einen Beschäftigten, weil er eine Betriebsratssprechstunde besucht hatte. Beim Kündigungsversuch gegen den Konzernbetriebsratsvorsitzenden gab es allerdings keine gütliche Einigung. Das Beschlussverfahren findet am 5. Mai statt.
Hintergrund der Aggression: Der patriarchal geführte Familienbetrieb des schillernden wie umstrittenen Milliardärs Hans Georg Näder ist seit Jahrzehnten tariffrei. Gleichzeitig macht der Konzern, für den weltweit 9.000 Beschäftigte arbeiten, satte Gewinne. »Während Rheinmetall die Gliedmaßen abschießt, schraubt Ottobock sie wieder an«, kommentierte Köppe. In Sachen Arbeitsbedingungen und Löhne aber hinkt der Prothesenhersteller der Konkurrenz hinterher. Das will die IG Metall ändern.
Aber was haben die städtischen Verkehrsbetriebe GöVB plötzlich gegen den Betriebsrat? Nach langen Jahren sozialpartnerschaftlicher Gemütlichkeit ist das Gremium in den Augen der Geschäftsleitung offenbar zu frech geworden. Unter dem Motto »#WirFahrenZusammen« kam 2024 in Zusammenarbeit mit Fridays for Future frischer Wind in Tarifauseinandersetzungen, was offenbar zu einem gesteigerten Selbstbewusstsein der Interessenvertreter führte. Verdi-Geschäftsführer Wertmüller interpretiert die Angriffe politisch und kritisierte Oberbürgermeisterin Petra Broistedt (SPD), die zugleich Aufsichtsratsvorsitzende bei der GöVB ist, für den Einsatz von Schreiner + Partner: »Es ist schon ein ziemlicher Hammer, dass eine 100prozentige Unternehmenstochter der Stadt mit einer langen Kultur der Sozialpartnerschaft solche Firmen für sich arbeiten lässt!«
Solidarität jetzt!
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