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Aus: Ausgabe vom 24.01.2025, Seite 8 / Ansichten

Mehr Trump wagen

Donald Tusk spricht vor dem EU-Parlament
Von Reinhard Lauterbach
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Donald Tusk spricht im EU-Parlament (22.1.2025)

Geht es nach Polens Regierungschef Donald Tusk, sollen die Rüstungsausgaben der EU nur eine Richtung kennen: steil nach oben. Auf fünf Prozent des Bruttosozialprodukts will Tusk diesen Haushaltsposten klettern sehen – so wie im eigenen Land, wo er bereits jetzt bei 4,5 Prozent liegt. Nur ein bewaffnetes Europa sei ein sicheres Europa, tönte Tusk am Mittwoch vor dem EU-Parlament in Strasbourg. Der Schwache verdiene in der Politik nur Verachtung. Die »Werte«, von denen sich die EU nach Tusks Auffassung leiten lassen soll, sind die des Sozialdarwinismus US-amerikanischer Provenienz.

Tusk sparte nicht an Pathosformeln, die an das angekratzte Selbstbewusstsein EU-Europas appellierten: »Noch ist Europa nicht verloren, solange wir leben«, paraphrasierte er die polnische Nationalhymne, die Ende des 18. Jahrhunderts in einem historischen Moment entstanden ist, als Polen politisch am Boden lag – aufgeteilt unter Preußen, Russland und Österreich und 120 Jahre lang nur ein Punkt auf der Landkarte. Europa habe die Demokratie und den »freien Markt« erfunden, pries Tusk den alten Kontinent als Wurzel des Kapitalismus. Es sei immer »groß« gewesen und werde es bleiben, machte Tusk eine rhetorische Anleihe bei seinem Namensvetter aus Washington, und prahlte, nicht Amerika habe Europa »entdeckt«, sondern umgekehrt sei »Europa« in die neue Welt aufgebrochen. Man kann es auch als Apologie des Kolonialismus, des Völkermords an den amerikanischen Ureinwohnern und des Sklavenhandels verstehen. Alles ins Werk gesetzt von Europäern. Soll man darauf stolz sein?

Letztlich ist es das Vorbild der USA, an dem Tusk sich abarbeitete und an das sich anzugleichen er die EU aufforderte: mit »weniger Vorschriften« (wozu braucht man den Laden dann überhaupt noch?) und Abstrichen bei der Klimapolitik. Sie müsse »realistischer« werden und vermeiden, Hindernisse für die internationale Konkurrenzfähigkeit der EU aufzubauen. Nicht zuletzt im Interesse des angekündigten Rüstungskurses. Um den zu finanzieren und nicht »Populisten« eine Steilvorlage zu liefern, dürften gern die Klimaabgaben gesenkt werden, forderte der polnische Premier. Es ist ein Kurs mit Vollgas in zwei Katastrophen: die politische und die klimatische.

Wie viele von seinen Forderungen Tusk durchsetzen kann, sollte man nicht überschätzen. Die Ratspräsidentschaft ist ein Routineamt, das im wesentlichen daraus besteht, die laufenden Geschäfte der EU zu führen. Und sie dauert nur sechs Monate. Schon die gemeinsamen Anleihen, aus denen Tusk die Aufrüstung finanzieren will, stoßen in Teilen des Bündnisses auf Widerstand. Wahrscheinlich wird nicht alles so heiß gegessen, wie Tusk es aufkocht; aber bei der Richtung sind sich die Führer des kapitalistischen Europa weitestgehend einig. So stellen sie sich ihre Zukunft vor. Europa als Friedensmacht – diese Rhetorik hat ausgedient.

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