Immer zum richtigen Zeitpunkt
Von Helga Baumgarten
Eine Arbeit ohne das »PASSIA Diary« können sich internationale Organisationen und NGOs in Palästina kaum vorstellen. Der Kalender der Palästinensischen akademischen Gesellschaft für das Studium internationaler Beziehungen (Palestinian Academic Society for the Study of International Affairs, PASSIA) verbindet drei wichtige Informationsquellen: Ein umfassendes Telefonbuch mit allen relevanten Adressen – von der UNO bis zur kleinsten NGO, von der palästinensischen Autorität und ihren Ministerien bis zu allen Universitäten; auch Krankenhäuser, Ärzte und Presse fehlen nicht. Ein Kalender mit den wichtigsten Daten zur palästinensischen Geschichte sowie Feiertagen (christliche, islamische und jüdische). Und schließlich eine Zusammenstellung der wichtigsten Informationen zur palästinensischen Geschichte und Nationalbewegung inklusive der relevanten Karten.
Gegründet wurde PASSIA im Frühjahr 1987 durch Dr. Mahdi Abdul Hadi, zusammen mit einer Gruppe der wichtigsten palästinensischen Akademiker, von Bethlehem über Jerusalem und Birzeit bis Dschenin. Die Freie Universität Berlin hat eine ganz besondere Beziehung zu PASSIA und Abdul Hadi. Ich war zu dieser Zeit in Jerusalem im Rahmen eines Forschungsprojektes der Arbeitsstelle Politik des Vorderen Orients. In Jerusalem bzw. in Birzeit lernte ich ihn kennen und wir diskutierten, ob unsere Arbeitsstelle vielleicht ein Seminar mit PASSIA machen könnte. Mit Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung konnte ein zweitägiges Seminar zu den deutsch-palästinensischen Beziehungen stattfinden. Die SPD-nahe Stiftung war so beeindruckt von PASSIA, dass sie seitdem die Arbeit der Organisation unterstützt, inklusive der Finanzierung des jährlichen Tagebuchs/Kalenders.
Über die Jahre hat PASSIA wichtige, hochinteressante Veranstaltungen organisiert, sowohl als Konferenzen im kleinen Rahmen als auch als Seminare mit mehr als hundert Teilnehmern. Abdul Hadi brachte es immer fertig, die zum jeweiligen Zeitpunkt relevanten und interessanten Redner einzuladen oder Podiumsdiskussionen zu organisieren. Wie bei allen Jerusalemer Organisationen gab es in den 90er Jahren einen Bruch nach dem Golfkrieg bzw. dem Beginn der Osloer Verhandlungsperiode. Seitdem ist die Stadt durch Militärcheckpoints von der Westbank abgeschnitten, inzwischen fast hermetisch. Dadurch war die Arbeit extrem eingeschränkt. Zuhörer oder Gäste aus der Westbank konnten kaum mehr zu den Veranstaltungen kommen, und die Arbeit konzentrierte sich deshalb immer stärker auf die speziellen Fragen Jerusalems, nicht zuletzt unter den Bedingungen dieser Isolierung vom Rest des besetzten Palästina.
Vergangene Woche ist Mahdi Abdul Hadi gestorben. Sein Tod ist ein großer Verlust für Jerusalem, für die innerpalästinensische und für die palästinensisch-internationale Diskussion und überhaupt für die palästinensisch-internationalen Beziehungen. Die Trauerfeiern mussten, wie alle Trauerfeiern für Jerusalemer, sowohl in Jerusalem als auch in Ramallah stattfinden. Jerusalemer können nach Ramallah, umgekehrt ist dies praktisch unmöglich. Dabei konnte ich mit der langjährigen Assistentin von Abdul Hadi, Deniz Altayli (genau wie ich aus Stuttgart), sprechen. Sie sagte mir: »Dr. Mahdi verkörperte eine bewundernswerte Mischung aus akademischer Disziplin und herzlicher Menschlichkeit. Diese Kombination sowie seine strikte Weigerung, die Hoffnung auf ein Ende der Besatzung und eine bessere Zukunft für sein Volk aufzugeben, machte ihn zu einem inspirierenden Mentor für viele. Mit seiner außergewöhnlichen Gabe, differenzierte Lösungen für Probleme zu finden, komplexe Zusammenhänge verständlich darzustellen und politische Prozesse zu analysieren, hat er nicht nur mein Wissen nachhaltig geprägt. Mit seinem besonderen Charisma konnte er bei jedem ein tieferes Verständnis für palästinensische Perspektiven und Anliegen schaffen. Und gleichzeitig forderte er unerbittlich Gerechtigkeit ein – oft mit einem Lächeln und stets mit einer menschlichen Note. Unter seiner Leitung wurde PASSIA zu einer führenden Institution der Forschung über Palästina. Zahllose Publikationen und wichtige Dokumentationen entstanden, zuletzt mit besonderem Schwerpunkt auf der Jerusalem-Frage. Er formte PASSIA zu einer unabhängigen Denkfabrik, die den unterschiedlichsten Akteuren eine Plattform für konstruktiven Dialog und offene Diskussion bot.«
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