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Aus: Ausgabe vom 25.01.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kunst

Ambivalenz der Form

Die große Ausstellung »Die Neue Sachlichkeit« in der Kunsthalle Mannheim
Von Reinhard Lauterbach
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George Grosz: »Grauer Tag« (Öl auf Leinwand, 1921)

Was haben die Kunstrichtung »Neue Sachlichkeit« und die Staatengruppierung BRICS gemeinsam? Soviel, dass beide Namen Marketingbezeichnungen sind, die einen inneren Zusammenhang mehr behaupten als belegen. Im Fall der »Neuen Sachlichkeit« war es der Mannheimer Museumsdirektor Gustav Hartlaub, der 1925 eine Ausstellung über »deutsche Kunst seit dem Expressionismus« plante und ihr diesen griffigen Titel gab. Der Name setzte sich in der Kunstwelt durch; 100 Jahre nach der Hartlaub-Exposition rekapituliert noch bis Anfang März die Mannheimer Kunsthalle, was damals dort ausgestellt wurde – und mehr als das. Hatte die ursprüngliche Ausstellung 140 Werke umfasst, von denen nicht mehr alle vorhanden sind, so sind es in der aktuellen 100 Arbeiten mehr.

Dabei zeigt die Kunsthalle nicht nur Hauptwerke jenes kühlen Stils, den der Zeitgenosse Ernst Bloch mit der Resignation über die gescheiterte Revolution und dem Arrangement mit der sich stabilisierenden bürgerlichen Republik in Verbindung brachte. Sie schreckt auch vor den Abgründen dieser Malschule nicht zurück. Wer wusste schon bisher, dass Christian Schad, dessen fotorealistische Frauenakte als Ikonen der Stilrichtung gelten, gleich 1933 der NSDAP beitrat? Wie nicht wenige Künstler übrigens, die in den 20er Jahren »neusachlich« – man könnte auch sagen: naturalistisch – malten. Einige, etwa Adolf Wissel, der in Mannheim mit einer altmeisterlich-gravitätisch gemalten Bauernfamilie vertreten ist, wurden sogar ausgesprochen regimenahe Künstler und brachten es im Nazistaat zu hohen Ehren, Ankäufen durch Hitler persönlich und zur Aufnahme in die Liste der »Gottbegnadeten«. Andere mussten sich im Exil irgendwie durchschlagen – wie die mit zwei kleinformatigen Arbeiten vertretene Lotte Laserstein. Für die Nazis galt die Neue Sachlichkeit en bloc als Kulturbolschewismus.

Aber das war zehn Jahre, nachdem diese Richtung sich aus den ideologischen Trümmern des Ersten Weltkrieges heraus entwickelte. In Mannheim sind Hauptwerke von George Grosz und Otto Dix zu sehen, etwa Grosz’ »Grauer Tag« aus Berlin oder sein »Leichenbegängnis. Widmung an Oskar Panizza« aus Stuttgart – wobei letzteres eigentlich nur mit einiger Mühe der »Neuen Sachlichkeit« zuzuordnen ist, denn es ist rein malerisch eher ein Wimmelbild Bruegelscher Tradition mit dem dazugemischten apokalyptischen Ton Hieronymus Boschs.

Man sieht auch den berühmten »Agitator« von Curt Querner und ein paar Bilder weiter eine kleine Arbeit von Rudolf Schlichter, »Passantinnen und Reichswehr«: vier Frauen vor dem Hintergrund eines Lkw mit gesichtslosen Uniformierten. Wobei die Silhouetten der Passantinnen offenkundig Ernst Ludwig Kirchners expressionistischen Damen am Potsdamer Platz – ausgestellt in der Berliner Neuen Nationalgalerie – nachempfunden sind. Man sieht Arbeiter auf den Barrikaden des Ruhrkampfes von 1920 (in Kopie), ein Tafelbild der »Internationale« von Otto Griebel mit Proletariern aller Hautfarben in dicht gedrängten Reihen, dessen Motivik später auf dem Plakat des berühmten italienischen Kinofilms »1900« zitiert wurde. Genrebilder von Arbeiterfamilien, Otto Dix’ bewegender »Streichholzhändler« oder Bilder abgehärmter Tuberkulosekranker repräsentieren eine Kunst, die »ins Volk ging«.

Aber darin erschöpfte sich die »Neue Sachlichkeit« nicht. Sie hinterließ melancholische Genrebilder wie ein an Edward Hopper erinnerndes Bahnwärterhäuschen bei Nacht, viele Darstellungen von Industriearchitektur und vermutlich seinerzeit opulent honorierte Porträts von Industriellengattinnen – und als Folge dann eben auch ein vom bürgerlichen Selbstbewusstsein des arrivierten Künstlers zeugendes Selbstporträt von George Grosz in Taubenblau, mit Hut auf dem Kopf und der Pfeife in der Hand. Denn es stimmt ja: In den Stabilisierungsjahren der Weimarer Republik kamen die besten Vertreter der Neuen Sachlichkeit zu Professuren an den Kunsthochschulen und machten Karrieren, die für die meisten nach 1933 abrupt abbrachen.

Ein wichtiger Aspekt der Neuen Sachlichkeit war, dass sie auch die neue Rolle der Frauen in der Gesellschaft nach Kriegsende und Revolution in den Blick nahm: Frauen wurden nicht mehr nur als Geliebte, Mütter oder Aktmodelle porträtiert – das gab es alles weiter –, sondern auch als arbeitende Fachkräfte. Eine Laborantin im weißen Kittel etwa, gemalt von Richard Birnstengel: Trotz ihrer Arbeitskleidung wirkt sie elegant, ihre Pipette markiert die Bilddiagonale.

Eine Abteilung mit Bildern im Stil der Neuen Sachlichkeit aus anderen europäischen Ländern zeigt aber auch, dass diese Stilrichtung nicht zwangsläufig mit Sozialkritik verbunden war; dass sie sich in Deutschland eine Zeitlang in diese Richtung entwickelte (und übrigens auch Künstler der frühen DDR an die Leistungen dieser Vorläufergeneration anknüpften), war ein nationales Spezifikum eines Landes, das gleichzeitig die Widersprüche des Kapitalismus und der Kriegsniederlage auszuhalten hatte.

Ein bestürzendes Seherlebnis hatte der Autor übrigens einen Tag vor dem Besuch der Mannheimer Ausstellung in Halle (Saale). Dort hängt in der Kunstsammlung Moritzburg ein Bild, das auf den ersten Blick an den bräunlich-monochromen Stil von Otto Dix’ »Flandern«-Gemälde aus den 1930er Jahren erinnert. Es handelt sich aber um einen nur wenige Jahre später, 1942, entstandenen Nazischinken mit dem Titel »Kampfgeist« – dort bearbeitet durch etwas zu zwanghaft tagesaktuelle Applikationen einer zeitgenössischen Künstlerin. Eine direkte Beeinflussung scheint unwahrscheinlich. Dix war, als er »Flandern« malte, schon in der inneren Emigration. Der Zufallsfund zeigt aber jedenfalls eines: Es gibt keine fortschrittlichen oder reaktionären Malstile an sich. Die Kritik an der Moderne als »formalistisch« im Realsozialismus war nicht nur eine Einschränkung der schöpferischen Freiheit der Künstler; sie war vor allem inhaltlich falsch.

»Die Neue Sachlichkeit. Ein Jahrhundertjubiläum«, Kunsthalle Mannheim, bis 9.3.2025

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  • Leserbrief von Arne Kagel (4. Februar 2025 um 14:09 Uhr)
    Reinhardt Lauterbach kann als weitfassend gebildeter Journalist und exzellenter Analytiker gelten; zur DDR-Kunstbetrachtung weite Lücken nicht zu konstatieren, fällt schwer. Ist biografisch erklärbar. Auf der DDR deswegen herumzuhacken, weniger. So darf ich zur Ehrenrettung dieses Staates aus eigener Kenntnis in und über Kunstausbildung, auch an der Humboldt anmerken, dass die Neue Sachlichkeit nicht nur in Bildender Kunst (von Dix bis Grundig über etwa einhundert weitere Künstler) höchst anerkannt, ausgestellt und besprochen war, sondern auch gelehrt wurde, und ebenso wie in der Literatur (Brecht bis Noll) zu sämtlich denkbaren Ehren kam. Ich glaube, kein anderes Land in Mitteleuropa hat sich (unter anderem) so um die Neue Sachlichkeit bemüht und verdient gemacht wie eben diese DDR. Hier wäre eine Replik Ihres DDR-Kunst-kennenden und bekennenden Autors und Experten Peter Michel am Platze. Der Vorwurf der Formalismus-Debatte passt zu DDR und Neuer Sachlichkeit wie ein Vorschlaghammer zur Hinterglasmalerei. Ja, es gab diese teils etwas überspitzte Formalismus-Diskussion (für eine kurze Zeit und unabhängig von der Neuen Sachlichkeit). Dann betraf sie eher die Abstrakte Kunst und insbesondere die gegenstandslose. Und wer sagt denn, dass Formalismus (Form der Form wegen) Kunst sei? R. Lauterbach? Das möge er begründen.

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