Gegründet 1947 Mittwoch, 29. Januar 2025, Nr. 24
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 27.01.2025, Seite 1 / Titel
Migrationspolitik

Neue deutsche Härte

Union legt Anträge für verschärfte Migrationspolitik und mehr Befugnisse für Geheimdienste vor. FDP, BSW mit Zustimmung. Grüne, SPD kritisch
Von Karim Natour
1Vari4.jpg
Ihm ist egal, wer am Ende den Anträgen zustimmt: CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (jW-Montage)

Über die einzelnen Maßnahmen war zuletzt spekuliert worden. Knapp vier Wochen vor den Bundestagswahlen hat die Union nun zwei Antragsentwürfe für den Bundestag vorgelegt, mit denen die »Wende in der Migrationspolitik« herbeigeführt werden soll. Kommende Woche sollen sie durch den Bundestag. Eine Mehrheit gilt als unwahrscheinlich, wäre aber möglich, wenn CDU/CSU, AfD, BSW und FDP gemeinsam abstimmen.

Die »aktuelle Asyl- und Einwanderungspolitik gefährdet die Sicherheit« der Bürger und das »Vertrauen der gesamten Gesellschaft in den Staat«, heißt es in dem kürzeren der beiden Entwürfe, der auch auf den jüngsten Messerangriff in Aschaffenburg Bezug nimmt. Die schärfsten Forderungen finden sich im zweiten Papier: Unter dem Titel »Für einen Politikwechsel bei der inneren Sicherheit« skizziert die Union 27 Maßnahmen, mit denen die Befugnisse des Staatsapparats umfassend ausgeweitet werden sollen. Unter dem Vorwand der »Stärkung der Sicherheit« werden mehr Befugnisse für Polizeibehörden und Geheimdienste sowie härtere Strafen für Angriffe auf Polizisten verlangt. Auch soll künftig vermehrt nach Afghanistan und Syrien abgeschoben werden. Bei schweren Straftaten soll Doppelstaatlern die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen werden können.

Im zweiseitigen Papier zum »Ende der illegalen Migration« fordert die Union dauerhafte Grenzkontrollen und die Zurückweisung aller illegalen Einreiseversuche. Auch sollen ausreisepflichtige Personen »unmittelbar in Haft genommen werden«. Das Aufenthaltsrecht für Straftäter und sogenannte Gefährder soll weiter verschärft werden. In dem Entwurf findet sich auch ein Passus zur AfD. Zuvor war Merz in die Kritik geraten, weil er hatte durchblicken lassen, dass die Verschärfungen auch mit AfD-Stimmen das Parlament passieren könnten. Die Partei »nutze Probleme, Sorgen und Ängste, die durch die massenhafte illegale Migration entstanden sind, um Fremdenfeindlichkeit zu schüren«, heißt es jetzt in dem Entwurf. Die Rechtsaußenpartei reagierte prompt mit Empörung. Parteichef Tino Chrupalla erklärte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) am Sonntag: »Diffamierungen politischer Gegner in Anträgen« entsprächen nicht den »guten parlamentarischen Standards«.

Zustimmung kam indessen von der FDP. Die Partei schlägt zudem vor, Ländern, die Staatsbürger nicht zurücknehmen, »keine Entwicklungshilfe mehr« zu zahlen, so Fraktionschef Christian Dürr am Sonnabend gegenüber Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Auch dem BSW gehen die Pläne nicht weit genug. »Wir werden zustimmen, aber die Merz-Anträge sind teilweise bloße Symbolik«, sagte Parteigründerin Sahra Wagenknecht. Das BSW schlägt vor, nur Asylsuchenden ein Verfahren und soziale Leistungen zu gewähren, die nicht über sichere Drittstaaten eingereist sind.

Die SPD kritisierte die Pläne. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte am Sonnabend auf mehreren Wahlveranstaltungen, die Maßnahmen seien nicht mit Grundgesetz und EU-Recht vereinbar. Auch die Grünen tadelten den Vorstoß. Fraktionschefin Katharina Dröge erklärte am Sonnabend bei Phoenix, CDU-Chef Merz schlage verfassungswidrige Maßnahmen vor. Kritisiert wurde der harte Kurs auch auf mehreren Demonstrationen. In Berlin, Köln und Halle (Saale), wo die AfD ihren Wahlkampfauftakt beging, versammelten sich am Sonnabend Zehntausende Menschen, um gegen das Erstarken rechter Kräfte zu protestieren.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Hans Wiepert aus Berlin (27. Januar 2025 um 16:05 Uhr)
    Das BSW hat recht. Die seit 2015 grassierende, unkontrollierte Migration belastet Kreise und Kommunen. Zahlreiche ausreisepflichtige Personen werden mehrfach straffällig und tauchen dann einfach unter. Dies erfordert eine Korrektur, wie sie viele europäische Staaten bereits vorgenommen haben. In den USA hat sich Bernie Sanders ebenfalls gegen unregulierte Einwanderung ausgesprochen: https://www.ipg-journal.de/regionen/nordamerika/artikel/die-unbequemen-wahrheiten-der-immigration-2206/ Wer das BSW an der Fünfprozenthürde scheitern sehen möchte, nimmt in Kauf, dass dann der Mandatsanteil der AfD noch etwas höher ausfällt.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (27. Januar 2025 um 11:39 Uhr)
    »Wir werden zustimmen, aber die Merz-Anträge sind teilweise bloße Symbolik«. So kommentiert das ehemalige Mitglied der Kommunistischen Plattform die Verschärfung der Migrationspolitik. Die Formulierung »bloße Symbolik« hat es in sich: Die rassistische Hetze und die Pläne des Herrn Merz gehen der überaus geschmeidigen Frau Wagenknecht nicht weit genug. Da kann man nur hoffen, dass diese Partei von Karrieristen und Steigbügelhalter von AfD und CDU/CSU nicht in den Bundestag einzieht.
  • Leserbrief von Raimon Brete aus Chemnitz (27. Januar 2025 um 10:43 Uhr)
    Man möchte es kaum glauben, aber das BSW will der Symbolpolitik eines Friedrich Merz in der aktuellen Asyldebatte zustimmen. Der neuen deutschen Härte der CDU sowohl in der Behandlung von Migrantinnen und Migranten als auch der fast grenzenlosen Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern will eine Partei ihren Segen geben, die angetreten war, die illusionäre Wertepolitik ernsthaft infrage zu stellen. Es kommt der Verdacht auf, Sahra Wagenknecht will einen ersten Schritt für eine mögliche Regierungsbeteiligung gehen. Was soll diese Anbiederung an die sogenannte politische Mitte und deren Geheimdienste und das in Aussicht gestellte Pro für CDU-Anträge, die dem Grundgesetz und dem europäischen Recht offensichtlich widersprechen. Selbst die SPD und die Grünen haben begründete Bedenken, dieser populistischen Verschärfung der Migrations- und Sicherheitspolitik zustimmen zu sollen. Es scheint sich nunmehr zu rächen, dass das BSW ein völlig unklares Programm zur Existent und zum Fortbestand des kapitalistischen Gesellschaftsmodells hat. Wagenknecht bejaht die soziale Marktwirtschaft eines Ludwig Erhard, die bekanntermaßen auf die Aneignung des Mehrwertes durch wenige gründet, und will gleichzeitig einen sozial gerechteren Staat für alle Bürgerinnen und Bürger. Ein unlösbarer Widerspruch. Der Niedergang vom Gipfel kommunistischer Ideale zur weiteren schrittweisen Unterstützung herrschender politischer und ökonomischer Grundüberzeugungen schreitet nunmehr deutlich fort. Raimon Brete und Matthias Schwander
    • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (27. Januar 2025 um 16:27 Uhr)
      Betreffs Frau Wagenknecht und ihr Bündnis: Ich stimme zu. Im Übrigen fällt mir auf, dass nirgends etwas über die ideologischen Grundlagen des BSW zu erfahren ist, auch nicht in der jW. Die Linkspartei, aus der Frau Wagenknecht hervorging, begründet stets ihr Reden und Tun mit den Schriften der Klassiker des Marxismus -Leninismus, zumindest auf Nachfrage. Dagegen bleiben Marx, Engels, Lenin bei Frau Wagenknecht und ihrem BSW unerwähnt, und leider fragt sie auch niemand danach. Dabei müsste sie sich besonders gut darin auskennen, schließlich war sie einst Chefin der Kommunistischen Plattform in der Linkspartei. – Wieso diese Distanz? Will sie nichts mehr mit »ML« zu tun haben? Mit welcher Ideologie begründet sie nun stattdessen ihr Tun? Ich wüsste es gern!
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (26. Januar 2025 um 20:48 Uhr)
    Deutschland ist meine Wahlheimat. Obwohl ich keine deutsche Schule besucht habe, kenne ich dieses Land und seine Geschichte besser als viele seiner Bürger. Dennoch stehe ich als Einwanderer klar gegen eine unkontrollierte Migration. Es ist aus meiner Sicht reiner Opportunismus, wenn die CDU jetzt plötzlich eine restriktive Migrationspolitik fordert. Wo war diese Entschlossenheit der Partei, als unter der Führung von Angela Merkel – ihrer Kanzlerin – 2015 Hunderttausende Flüchtlinge ins Land kamen? Eine »Wende in der Migrationspolitik« ist zweifellos notwendig und überfällig. Aber Friedrich Merz und die CDU widersprechen mit ihrem aktuellen Vorstoß ihrer eigenen Politik der jüngeren Vergangenheit. Genau das ist das Kernproblem der gesamten politischen Klasse in Deutschland: Wie ein Wetterhahn drehen sie sich nach dem aktuellen Wind, anstatt konsequent und glaubwürdig zu handeln. Das macht diese Maßnahmen schwer ernst zu nehmen – sie wirken unglaubwürdig und populistisch.

Ähnliche:

  • In diesem Kasten sitzt das höchste Gericht der BRD (Karlsruhe, 1...
    11.10.2024

    Festung Karlsruhe

    Ampel und Union einig bei Regelungen zum Verfassungsgericht. VDJ kritisiert »Wagenburgmentalität«
  • Das muss russische Einflussnahme sein: Annalena Baerbock bei der...
    24.09.2024

    Der reine Horror

    Nach Wahl in Brandenburg: Grüne wüten gegen »Handlanger« Putins. CDU-Spitze zählt Kretschmer an.
  • Abstimmung über den Gesetzvorstoß der Regierungskoalition im Ple...
    13.04.2024

    Mit Plaste auf Stimmenfang

    Bundestag: Ampel beschließt mit BSW und AfD Grundlage für bundesweite Einführung von Bezahlkarten